Am späten Nachmittag erledigen wir die Ausreiseformalitäten und fahren auf die Fähre. Mit einer Stunde Verspätung legt sie am 8. Oktober 1991 Richtung Ägypten ab. Um 22 Uhr erreichen wir Nuweiba, aber erst um 2 Uhr früh sind die Einreiseformalitäten erledigt. Wir werden als letzte Fahrzeuge abgefertigt, weil wir Touristen sind und ja Zeit haben. Nach der grenzpolizeilichen Kontrolle macht sich der Zoll an die Arbeit. Wir müssen die Fahrzeuge auf eine Grube fahren, damit die Zöllner kontrollieren können, ob wir auch wirklich kein Rauschgift ins Land schmuggeln. Mit einem Draht fingern sie im Chassis rum und hoffen, versteckte Pakete zu entdecken. Nachdem wir als sauber erklärt werden, wird das Carnet de Passages ausgefüllt, eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen, und wir erhalten eine Fahrgenehmigung samt dazugehörigem ägyptischen Nummernschild.
Nach vier Stunden Schlaf fahren wir gemeinsam mit den Österreichern bis nach Sharm as‑Sheikh. Die drei Hotels sind mit Israelis gefüllt. Weil der Sinai noch immer unter UNO‑Beobachtung steht, dürfen sie ohne grosse Umstände mit ihren Fahrzeugen bis hierher fahren. Sie kommen vor allem, weil hier das Tauchen viel billiger und besser ist als bei ihnen in Eilat. Für uns hat Sharm as‑Sheikh nicht viel zu bieten. Nicht einmal einkaufen, können wir hier. In den paar wenigen kleinen Läden gibt es ausser Brot, Zitronen und Thonbüchsen nichts zu kaufen.
Nach zwei Tagen fahren wir auf der anderen Seite den Sinai wieder hoch. Wir wissen, dass wir nächstens auf den Suez‑Kanal stossen werden. Als aber plötzlich ein Schiff die Strasse kreuzt, trauen wir unseren Augen kaum. Da man das Wasser nicht sieht, scheint es, als fahre das Schiff mitten durch die Wüste. Hatten wir gehofft, den Kanal auf einer Brücke zu überqueren, so werden wir enttäuscht: Die Strasse führt in einem Tunnel unter der wichtigen Schifffahrtsstrasse durch.
Bald darauf stürzen wir uns in das Chaos von Kairo. Weil wir immer noch keinen Reiseführer und entsprechende Detailkarte von Kairo haben, fahren wir etwas hilflos durch diese Grossstadt. Auf dem Weg zum Campingplatz werden wir von der Dämmerung überrascht. Es käme uns nie in den Sinn, z.B. in Indien nachts unterwegs zu sein, aber nach einer halben Stunde Fahrt in Kairo, ziehen wir Indien bei Nacht vor! Der Verkehr hier ist enorm schnell und rücksichtslos. Auf einer richtungsgetrennten Strasse fährt Albi mit ziemlich grossem Abstand hinter einem neuen BMW her, weil die Rücklichter so hell sind, dass sie blenden. Plötzlich kommt uns von der Gegenfahrbahn ein fliegendes Taxi entgegen. Mit dem Dach landet es auf der Windschutzscheibe des BMW’s, spickt wieder weg und kommt dank Albis Vollbremsung einen Meter vor uns zum Stillstand. Auf dem Dach natürlich! Der Fahrer kriecht unverletzt aus dem noch intakten Hyundai, aber der BMW sieht gar nicht gut aus. Drei scheinbar unversehrte Frauen steigen aus, aber vom Fahrer ist durch die total eingequetschte Dachfront nicht mehr viel zu sehen. Weil es genug Leute auf der Unfallstelle hat, machen wir uns aus dem Staub. Als Ausländer möchten wir nicht unnötig die Bekanntschaft der Polizei machen, auch nicht als Zeugen eines Unfalls. Abgesehen davon ist der Unfallhergang klar ersichtlich, und es hat genügend einheimische Leute, um wenn nötig oder noch möglich zu helfen.
Körperlich und auch seelisch erschöpft erreichen wir den Campingplatz. Hier hat es ein paar deutsche Touristen, die mit nacktem Oberkörper draussen sitzen und abend essen. Wir kochen uns ebenfalls etwas, aber bei kalten 20° C ziehen wir dazu unsere wärmsten Kleider an. So tiefe Temperaturen hatten wir seit Ewigkeiten nicht mehr. Wir verkriechen uns schnell in die warmen Schlafsäcke.
Als erstes stehen natürlich die Pyramiden von Ghiza auf dem Programm. Bereits vom Campingplatz aus haben wir ihre Spitzen durch die Palmenhaine erblicken können. Wir haben uns die Sache sehr touristisch vorgestellt und sind überrascht, dass wir die Denkmäler in Ruhe besichtigen können. Nachdem wir auch noch die Sphinx bewundert haben, reicht es für den ersten Tag.
Den nächsten Tag widmen wir ganz der riesigen Stadt Kairo. Mit dem Landy fahren wir endlos um dieses Gebilde herum und quer durch, wie uns der Verkehr gerade leitet. Das ist eine Art Stadtbesichtigung, die viele Leute verachten. Wir aber erhalten innert kurzer Zeit einen Überblick über eine Stadt, und während wir durch die Strassen fahren und speziell bei den vielen Rotlichtern, die es in jeder Stadt hat, können wir sehr viel aufnehmen. Zu Fuss hat man natürlich viele andere Vorteile, aber man bewegt sich nur in einem kleinen Raum, hingegen mit dem Auto schafft man es sogar in Kairo, die Stadt zu erkunden. Wo es uns interessiert, machen wir dann Halt und steigen aus.
Noch wichtiger als die Pyramiden ist das ägyptische Museum. Im Verkehrschaos, das vor dem Museum herrscht, werden wir reich beglückt: Mit einem Parkplatz! Danach wandeln wir durch die unermesslichen Schätze aus der Zeit der Pharaonen. Um diejenigen aus dem Grab Tutenchamuns zu besichten, müssen wir anstehen, weil die vielen Reisegruppen vor allem deswegen kommen. Aber im Rest des Museums findet man immer genügend Platz und Ruhe, um alles zu bewundern.
Bei einem Hotel in der Nähe des Campingplatzes sehen wir komische Autowracks. Es handelt sich dabei um die ausgeschiedenen Fahrzeuge der Pharaonen‑Rallye. Wir nehmen sie in Augenschein. Auch ein paar Ägypter sind hier. Bei einem Fahrzeug, das vorne stark beschädigt ist, erklärt uns einer der Männer, dass der Fahrer schwer verletzt sei. „No legs“ meint er zu uns. Wir schauen uns die Sache genauer an und entdecken den, auf der Seite aufgemalten Namen des Fahrers: Clay Regazzoni! Wir versuchen ausfindig zu machen, wo die Rallye im Moment durchfährt, um vielleicht zuzuschauen, aber das ist unmöglich. Jeder weiss von der Rallye, aber niemand hat eine Ahnung, wo sie gerade ist. Also lassen wir’s sein.
Dafür machen wir uns auf den Weg nach Süden. Immer dem Nil entlang fahren wir durch den schmalen Streifen, der durch das Wasser fruchtbar gemacht wird. Rechts und links vom Fluss ist alles grün, bevor ganz abrupt die Wüste beginnt. Unterwegs nach Luxor besichtigen wir den einen und anderen Tempel. Wir sind begeistert von diesen Bauwerken und denken, dass es in Luxor auch nicht schöner sein kann. Weit gefehlt! Die Tempelanlage von Karnak oder der Luxor‑Tempel bei Sonnenuntergang sind etwas vom Eindrücklichsten, was wir bisher gesehen haben. Wir verbringen drei Tage hier und lernen viel kennen. So zum Beispiel die Tatsache, dass eine Wasser‑ oder Colaflasche an der Hauptstrasse (wo es Touristen hat) doppelt so teuer ist, wie in einer Nebenstrasse (wo sich die Touristen offenbar nicht hin begeben).
Weiter Nil aufwärts fahren wir bis Assuan. Hier besichtigen wir den Damm des Nasser‑Stausees, einen der drei grössten Staudämme der Welt. Jetzt können die alljährlichen Überflutungen und die später folgende Dürre verhindert werden. Dafür fehlt den Bauern die natürliche Düngung, und in etwa 40 Jahren wird der ganze Stausee mit dem Nilschlamm gefüllt sein. Nachdem wir dieses sowjetisch-ägyptische Freundschaftsprodukt genug bewundert haben, nehmen wir die 300 km Wüstenstrecke nach Abu Simbel in Angriff.
Dieses von Ramses II erbaute Denkmal wird zweimal im Jahr von Leuten überflutet. Am 22.2. und am 22.10. erreichen die ersten Sonnenstrahlen des Tages das Innerste des Tempels. Wir haben heute den 22. Oktober 1991 und entsprechend gross ist der Ansturm auf den Tempel kurz vor Sonnenaufgang. Auch wir würden dieses Spektakel gerne miterleben, aber die zahlenden Touristen dürfen erst hinein, nachdem die geladene Prominenz genug gesehen hat. Mittlerweile ist das Innerste natürlich wieder im Dunkeln.
Bei der Kasse entdecken wir ein Schild, wo die Eintrittspreise aufgelistet sind. So steht in Englisch geschrieben, dass der Eintritt 21 ägyptische Pfund kostet. Bei der arabischen Version kostet es nur 0.50 E£. Bereits in Petra war es so, dass die einheimische Bevölkerung nur die Hälfte bezahlen musste, aber hier wird uns Touristen 40 Mal mehr abverlangt als den Einheimischen, von denen die meisten heute wohl eh nichts bezahlt haben, weil sie zur politischen Elite gehören. Der armen Bevölkerung kommt der tiefe Preis nicht zugute. Wie sollen sie auch Zeit und Geld haben, in diese abgelegene Gegend reisen zu können. Und ausserdem war es die UNESCO, die es ermöglicht hat, dass wir dieses Denkmal überhaupt noch besichtigen können. Wäre es nach dem ägyptischen Staat gegangen, stünde es jetzt überflutet im Assuan Stausee. Die UNESCO, mit Hilfe der Gelder der westlichen Welt, hat dieses Bauwerk Stein für Stein von seinem alten Standort entfernt und hier wieder aufgebaut.
Wir fahren zurück nach Luxor, wo wir zuerst auf dem staatlichen Reisebüro eine Schiffspassage nach Griechenland buchen. Dann wollen wir nach Theben und ins Kings Valley. Dazu müssen wir auf die andere Seite des Nils. Es gibt keine Brücke, und man sagt uns, die Autofähre sei ausser Betrieb. Den meisten Touristen ist das egal, da sie ohne eigenen fahrbaren Untersatz hier sind und eine der zahlreichen Feluken zur Überfahrt brauchen. Aber wir sind lieber mit dem Landy unterwegs, so dass wir auch unsere Übernachtungsmöglichkeit mit dabei haben. Also fahren wir 50 km Fluss aufwärts zur nächstgelegenen Brücke.
Am Eingang müssen wir Eintrittsgebühr bezahlen. Für jeden einzelnen Tempel und jedes Grab müssen wir hier ein Ticket lösen. Wir werfen kurz einen Blick in den Reiseführer, bevor wir entscheiden, was wir besichtigen möchten. Dann kaufen wir die benötigten Tickets und machen uns auf den Weg. Wir sind froh, das eigene Fahrzeug zu haben, denn es ist so weitläufig, dass man ein Taxi bräuchte. Und die sind hier natürlich beinahe unbezahlbar.
Zuerst fahren wir ins Tal der Könige. Für die Pharaonengräber haben wir ein 3er Ticket gelöst. Das heisst, dass wir in drei der unzähligen Gräber hinabsteigen dürfen. Die Auswahl, welche das sein sollen, fällt uns nicht sonderlich schwer. Von den grösseren und berühmteren Gräbern sind die meisten geschlossen, so dass nicht viele zur Besichtigung zur Verfügung stehen. Pro Tag werden nur eine gewisse Anzahl Leute in ein Grab gelassen, damit durch die Körperfeuchtigkeit die Malereien nicht zerstört werden. Wir nehmen an, dass die schönsten Gräber für Gruppen reserviert bleiben. Aber auch so ist es eindrücklich, in die Kammern zu steigen und sich vorzustellen, dass die ganze Gegend durchlöchert ist. Im Tal wie auch in den Gräbern ist es enorm heiss.
Gegen Mittag kommen wir nach Theben. Hier besichtigen wir verschiedene Tempel, unter anderem auch den von Seti I. Besser gesagt, wir möchten ihn gerne besichtigen, haben wir doch dafür ein Ticket gelöst und bezahlt. Aber alles ist abgeschlossen und niemand in Sicht. Wir warten, aber es kommt niemand. Nachdem wir den Rest gesehen haben, fahren wir zum Eingang zurück. Dort erklären wir, dass wir den Tempel nicht besichtigen konnten und verlangen das Geld zurück. Der Ticketverkäufer sagt uns, es sei unmöglich, dass der Tempel verschlossen und niemand dort sei. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang seien alle Tempel immer geöffnet, also gebe er uns nichts zurück. Mittlerweile ist ein Polizist von der Tourist‑Police bei uns und meint, wir sollen nicht lügen, er wisse ganz genau, dass jemand beim Tempel sei. Nachdem immer mehr Leute drohend auf uns einreden, machen wir, dass wir davon kommen. Dabei haben wir nur freundlich das Geld für ein nicht gebrauchtes Ticket zurück verlangen wollen!
Am Abend erfahren wir auf dem Campingplatz, dass die Autofähre in Betrieb war. Wir sind ziemlich frustriert und überlegen uns, was man aus dem arabischen Namen von Ägypten, von Misr, ableiten könnte.
Durch die Wüste fahren wir ans Rote Meer. Wir suchen einen Ort, wo wir ein paar Tage Ferien machen können. Albi möchte auch noch ein wenig tauchen. Aber die Gegend um Hurghada besteht nur aus Wüste, Abfall und Baustellen. Das einzig wirklich schöne in diesem Ort ist die neue Moschee. Überall wird gebaut, es scheint, als erwarten sie in den nächsten Jahren einen riesigen Touristenansturm. Wir können uns das nicht so recht vorstellen. Wer möchte hier schon Ferien verbringen, es gibt ausser dem Meer nichts. Der einzige Campingplatz ist absolut trostlos und leer, und einfach ans Meer zu fahren und dort zu campieren, trauen wir uns nicht. Die ganze Küste ist vom Sechstagekrieg her noch immer vermint, wovor auch überall gewarnt wird. Da Albi ausserdem erkältet ist und so gar nicht tauchen könnte, fahren wir wieder in die Wüste. Nach ein paar Kilometern hat es auch keinen Abfall mehr, und wir fühlen uns wieder wohl.
Die restlichen paar Tage bis zur Abfahrt der Fähre verbringen wir in Ghiza. Wir fahren wieder viel in Kairo rum, besuchen die Zitadelle und Old Cairo. Weil es tagsüber noch angenehm warm ist, sitzen wir viel im ruhigen und gemütlichen Garten des Campingplatzes.
Am 2. November 1991 ist es dann soweit. Wir nehmen die kurze Strecke nach Alexandria unter die Räder. Dort begeben wir uns auf das Mena‑Tour Office. Mehr als eine Stunde dauert es, bis das Reisebüro die Tickets für die gebuchte Fährpassage nach Athen ausgestellt hat. Dann übergeben wir dem Cashier die mehrfach abgezählten 2300 E£. Er zählt das Geld durch und erklärt, es fehlen 400 E£ (Fr. 200). Das ist unmöglich. Er streckt uns das Bündel entgegen, damit wir nachzählen können. Und natürlich sind es mittlerweile nur noch 1900 E£! Aber wie sollen wir unseren Verdacht, dass er beim Zählen ein paar Noten abgezwackt hat, beweisen können? Ausserdem fährt in wenigen Stunden unser Schiff. Wir haben also gar keine Zeit, die Polizei davon zu überzeugen, dass wir betrogen worden sind. Nach unserer Erfahrung mit der Tourist Police, sind wir nicht erpicht darauf, einen Versuch zu machen. Also verlassen wir das staatliche Reisebüro um Fr. 200 erleichtert und laufen zum Landy. Der erwartet uns mit einem flachen Reifen.
Dieser Abschluss nach einem Monat Ägypten ist irgendwie nicht unpassend. Zwar ist das Land sehr schön, die meisten Leute freundlich, und die Kulturdenkmäler sind einzigartig. Aber überall wo wir mit staatlichen Institutionen in Kontakt gekommen sind, fühlten wir uns immer irgendwie ausgenommen. Zwar willkommen als zahlende Touristen, aber gleichzeitig auch störend. Sei es am Zoll, auf dem staatlichen Campingplatz von Assuan, an den Zahlstellen bei Denkmälern und an anderen Orten wurden wir nie höflich und schon gar nicht freundlich empfangen. Man könnte jetzt sagen, das liege am Massentourismus. Das stimmt jedoch nicht. Erstens hat es an vielen Orten (wie z.B. der Zoll in Nuweiba), wo wir als Einzelreisende waren, fast keine Touristen, und ausserdem gibt es vielerorts auf der ganzen Welt Massentourismus. In Phuket beispielsweise sind die Einheimischen ebenso freundlich wie im Rest von Thailand. Die einfachen Leute jedoch sind, wenn auch nicht so herzlich wie in Syrien und Jordanien, meistens freundlich.
Die Bilder zur Reise 1990-1991 findest du hier: Flickr