Westafrika, Südostasien, Indien, Naher Osten 1990-1991


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Als ich Ende 1989 Albi kennen lernte, schwärmte ich ihm vor, wie gerne ich reisen gehen würde. Worauf er erwiderte, er habe für nächsten Herbst eine Afrikareise geplant; ich solle doch mitkommen. So beschlossen wir, die Reise gemeinsam in Angriff zu nehmen. In der Zeit bis zur Abreise lernten wir uns besser kennen, kündigten auf September unsere Stellen (im Februar), heirateten (im April), bastelten am Reisegefährt (dauernd), kauften Karten und Reisebücher, fuhren mit zwei alten offenen Landrovern zu siebt nach Sardinien (im August), räumten unsere beiden Wohnungen leer und stellten die Sachen in einen Estrich.

So sind wir jetzt, am Freitag, 12. Oktober 1990, in der Autobahnraststätte von Gruyère. Hier warten wir auf unsere Freunde, die uns auf dieser Reise begleiten werden. Die ersten sind Ruedi und seine Mutter Margrith. Sie will nur die ersten paar Monate der Reise mitmachen und dann zurückfliegen. Als nächstes trifft Tinu mit Reisepartner Dänu ein. Die beiden haben nur ein paar Wochen Zeit und werden uns in Algerien wieder verlassen. Auf Urs und René müssen wir ganz schön lange warten. Urs verlegt zu Hause seinen Pass. Nach ewig langem Suchen findet er ihn endlich hinter einem Radiator und stösst doch noch zu uns. Nun sind wir alle beieinander, und das Abenteuer kann beginnen.

Die nächsten fünf Tage sind recht eintönig. Mit unseren vier Landrovern sind wir auf den französischen und spanischen Autobahnen nicht gerade die Schnellsten. Speziell Tinu mit seinem schwachen Diesel, auch Stinkerchen genannt, kämpft manchmal vergebens gegen den starken Gegenwind.

Nachdem wir in Gibraltar erfolglos eine Autofähre suchen, fahren wir nach Algeciras, wo wir innert kurzer Zeit fündig werden. Am Nachmittag überqueren wir die Strasse von Gibraltar. In der spanischen Enklave Ceuta verlassen wir die Fähre und gehen gleich an die Grenze zu Marokko. Hier herrschen bereits aussereuropäische Sitten. Es hat sehr viele Menschen, jeder drängelt, und keiner weiss, wo er wofür anstehen muss. Wir auf jeden Fall haben keine Ahnung! Aber dafür ist gesorgt: Es hat genug Schlepper, die einem für ein „bescheidenes“ Entgelt den Papierkram erledigen. Wir weisen sie jedoch weg und klappern die entsprechenden Schalter selber ab. Was am Anfang so chaotisch aussah, ist nach einer halben Stunde ein recht ordentlicher Ablauf: Zuerst den Einreisezettel ergattern und ausfüllen, am Einreiseschalter anstehen und den Pass abstempeln lassen. Nun folgt das Ganze für das Auto. Ebenfalls ein Papier organisieren und ausfüllen, dann vom Zoll abstempeln lassen und darauf warten, dass ein Zöllner die Autoinspektion vornimmt und einen schliesslich zur Schranke fahren lässt. Dort werden alle Papiere nochmals geprüft, bevor wir ins Königreich Marokko einreisen dürfen.

Bei Nieselregen fahren wir durch das Rif‑Gebirge. Wir bekommen nicht viel von der Landschaft mit, denn alles ist in dichten Nebel gehüllt. So tauchen denn auch die unzähligen Haschischverkäufer erst im letzten Moment vor unseren Augen aus den Nebelschwaden hervor. Winkend, rufend und ab und zu auch drohend versuchen sie, uns ihre Ware zu verkaufen. Wenn wir in einer Ortschaft anhalten, werden wir von den jungen Männern regelrecht bestürmt, und sie können oder wollen es nicht glauben, dass wir nicht kiffen.
Kaum fahren wir vom Gebirge in die karge Wüstenlandschaft, stehen wir schon vor der Grenze zu Algerien. Die Einreise ist recht einfach: Man stellt sich zu den bereits Wartenden auf den staubigen Zollhof, besorgt sich die erforderlichen Formulare, füllt sie aus und wartet darauf, dass ein Zöllner auftaucht. Unterdessen haben wir genügend Zeit, die anderen Leute und ihre Fahrzeuge zu betrachten. Es hat sehr viele algerische Gastarbeiter, die ebenso wie wir durch Spanien und Marokko gefahren sind, nur sind sie auf dem Heimweg und haben ihre Autos dementsprechend mit allem Möglichen und wohl auch Unmöglichen vollgestopft. Wir können uns nicht vorstellen, wie diese Fahrzeuge mit den massiv überfüllten Dachträgern die weite Strecke geschafft haben. Dann hat es hier auch noch ein paar Autoschieber. Das sind die ausnahmslos männlichen und meist französischen Fahrer, die einen Peugeot 504 durch die Sahara an die Westküste Afrikas fahren und dort möglichst gewinnbringend verkaufen. Für die Wüstendurchquerung sind sie mit Sandblechen, Schaufeln und mit Treibstoff gefüllten Ölfässern ausgerüstet. Nach drei Stunden ist es dann soweit, und wir werden nach Algerien eingelassen.

Tlemcen ist die erste algerische Stadt nach der Grenze. Hier hat es einen Campingplatz, wo wir uns für ein paar Tage niederlassen und uns von der ersten Etappe erholen. Ich wasche die schmutzigen Kleider und Albi schaut, ob es am Landy etwas zum Schrauben gibt. Wir lernen die uns fremde Mentalität der Nordafrikaner ein wenig kennen, und vor allem setzen wir uns viel mit unseren Reisekameraden zusammen und freuen uns auf die kommenden Wochen und Monate. Wir diskutieren darüber, wie es wohl aussieht südlich der Sahara, und ob es wirklich ein Durchkommen gibt in Zaire. Und ob das Geld noch reichen wird, um von Kapstadt wie geplant nach Südamerika zu verschiffen. Tinu wird uns in ein paar Tagen verlassen, und dann werden wir noch zu sechst mit drei Autos unsere Pläne verwirklichen.

Eine Tagesetappe weiter südlich bleibt Ruedis Landy stehen. Wegen eines defekten Simmeringes verliert das Getriebe soviel Öl, dass es nicht mehr möglich ist, weiter zu fahren. Ruedi hat das entsprechende Ersatzteil mit dabei, weil er schon länger wusste, dass der Simmering undicht ist. Natürlich wäre es einfacher gewesen, die Reparatur vorsorglich bereits in der Schweiz vorzunehmen, aber Ruedi ist nun mal so! Die Männer steigen in ihre Überkleider und machen sich an die Arbeit. Das V8‑Getriebe runter holen, Dichtung wechseln und das schwere Ding wieder befestigen. Nach sieben Stunden ist die Operation erfolgreich beendet. Alle sind verstaubt und schmutzig und fluchen über die Hitze und den Sand.

In Aïn Sefra machen sich die ersten kleinen Meinungsverschiedenheiten in unserer Gruppe bemerkbar. Urs, René, Albi und ich möchten gerne mal wieder auswärts essen gehen. Wir wollen davon profitieren, dass es hier noch Restaurants hat und glauben, dass wir früh genug aus unseren eigenen Kochtöpfen werden leben müssen. Ausserdem wollen wir mit unseren Vorräten möglichst sparsam umgehen, solange wir noch nicht darauf angewiesen sind. Ruedi und Margrith dagegen wollen unbedingt auf dem Campingplatz Lagerfeuerromantik haben und dazu ein paar Konservendosen öffnen. Wir sind der Meinung, dass man auch in einer Gruppe nicht immer alles gemeinsam unternehmen muss und gehen daher nur zu viert essen.

Die Gegend wird immer einsamer, und als wir gegen Abend die Oase Taghit erreichen, sehen wir im Abendrot die riesigen Sanddünen des Grand Erg Occidental. Gleich am nächsten Morgen steigen wir die ersten paar Dünen hoch und sind beeindruckt vom Blick gegen Osten, wo sich das Dünenmeer Hunderte von Kilometern zum Horizont erstreckt. Leider haben wir nicht daran gedacht, Plastiksäcke mitzunehmen, um darauf die Dünen runter zu schlitteln. Aber auch das Hinunterrennen ist toll, wenn man daran denkt, wie mühsam der Aufstieg war.
Die restliche Zeit verbringen wir mit der Erkundung dieser schönen Oase. Und zum Abendessen gibt es endlich einmal ein Couscous. Leider macht es sich am folgenden Morgen bei Urs und Albi im Magen und Darm bemerkbar. Böse Zungen behaupten, dass sowas beim selber Kochen nicht passieren würde.
Weil die anderen zur Weiterfahrt drängen, packen wir zusammen und ich setze mich ans Steuer, damit sich Albi nicht anstrengen muss. Weit fahren wir heute jedoch nicht. Beni Abbes ist ein so angenehmer Ort, dass wir hier bleiben. Etwas abseits der Häuser setzen wir uns an eine Mauer gedrängt in den kargen Mittagsschatten und ruhen uns aus. Wir bleiben aber nicht lange alleine. Ein Mann erkundigt sich, wer wir sind und lädt uns zu einem Tee ein. Nachdem wir eine Weile geplaudert haben, möchte er uns zu seiner Familie zum Abendessen einladen. Wir versuchen höflich abzulehnen, weil wir doch immerhin acht Personen sind, aber es ist zwecklos. Wir müssen versprechen, bei ihnen zu erscheinen. Der Abend verläuft sehr unterhaltsam, und das festliche Couscous schmeckt ausgezeichnet.

Zum Glück können wir uns am nächsten Tag bei der Familie revanchieren. Damit sie das in 12 m Tiefe gelegene Grundwasser auf die Gemüsefelder bringen können, benötigen sie eine Wasserpumpe. Diese funktioniert jedoch seit ein paar Tagen nicht mehr. Also machen sich Urs, René und Albi zusammen mit den Männern der Familie an die Reparatur.
Unterdessen werde ich von der weiblichen Hälfte des Clans in die Mitte genommen und zuerst mal gründlich ausgefragt: Über mein Leben in der Schweiz, ob wir verheiratet seien, Kinder etc. Dann erfahre ich sehr viel über ihren Alltag und ihre Freuden und Sorgen und bin erstaunt zu hören, dass die eine Frau vor ein paar Wochen ihren Ehemann verlassen und eine Scheidung eingereicht habe, weil er „zu nichts tauge“. Jetzt ist sie wieder zurück bei ihrer Familie und sucht einen neuen und hoffentlich besseren Ehegatten. Soviel zur Stellung von moslemischen Ehefrauen! Während wir plaudern und Tee trinken, reparieren die Männer den Motor der Wasserpumpe.

Nach diesem recht anstrengenden Tag sind wir alle vier ziemlich müde. Wir gehen mit dem Rest unserer Reisegruppe ins Hotel Abendessen und verabschieden uns danach von Tinu und Dänu, die noch nach Tamanrasset fahren wollen, bevor ihre Ferien zu Ende sind. Gerade im letzten Moment dieser Abschiedszene, als wir um unsere Fahrzeuge stehen, sagt uns Ruedi kurz und bündig, er und Margrith werden mit Tinu mitfahren, steigt ins Auto und fährt in die dunkle Nacht. Wir stehen sprachlos und schockiert da: Acht kleine Negerlein, und da waren’s nur noch vier! Wir wissen nicht, woher dieser Sinneswandel kommt, es ist doch gerade Ruedi, der sich enorm auf Schwarzafrika gefreut hat, der unbedingt der Schweiz „entfliehen“ wollte. Natürlich haben auch wir gemerkt, dass in unserer Gruppe nicht immer alles stimmt, aber Anfangsschwierigkeiten gibt es immer, und wir wollten mit einer „Aussprache“ warten, bis Tinu nicht mehr mit dabei ist. Dass sich Albis bester Freund einfach so aus dem Staub machen würde, dazu noch mit einem Teil der gemeinsamen Ersatzteile, das hätten wir nie und nimmer für möglich gehalten. Wir vier setzen uns zusammen und beraten die neue Situation. Dabei stellen wir fest, dass an unseren Reiseplänen eigentlich nichts ändert, ausser, dass wir nur noch mit zwei Fahrzeugen unterwegs sind, und dass wir eventuell froh sein können, ist diese Sache jetzt und nicht erst mitten in der Wüste passiert.

Am 2. November 1990 melden wir uns auf der Polizeistation in Reggane ab. Dabei wird kontrolliert, ob wir für die Saharadurchquerung auch entsprechend ausgerüstet sind. Dann werden wir in ein Buch eingetragen, und wir dürfen mit Allah’s Segen aufbrechen. Die ersten 60 km sind äusserst mühsam, weil es das Gelände nicht erlaubt, neben der Piste zu fahren, und diese Piste besteht nur aus Wellblech, das uns und unsere Landys durchschüttelt. Danach wird die Landschaft topfeben, und wir können fahren, wo wir Lust haben. Einfach die Balisen müssen wir im Auge behalten, dann kann nichts schief gehen.
Bei Kilometer 200 sehen wir einen riesigen Wald am Horizont, und wir sind überzeugt, eine Fata Morgana vor uns zu haben. Aber auch nachdem wir uns nähern, verschwindet nicht alles, nur ist es kein grosser Wald mehr, sondern nur noch ein paar Bäume. Ein paar Kilometer später stehen wir dann vor ein paar kleinen Büschen, die vor einem grossen Haus stehen. Es ist ein Hotel (mitten in der Wüste!), wo der Besitzer das Wasser aus über 100 Metern Tiefe pumpt. Während wir uns im Wasser, das dann den Garten bewässert, abkühlen, kocht er uns etwas. Die Nacht jedoch verbringen wir lieber alleine in der Wüste. Am ersten Abend schmerzen uns die Ohren, so still ist es hier. Man versucht, irgend einen Laut wahrzunehmen und strengt sich dabei so stark an, dass man richtiggehend Ohrensausen kriegt. In der zweiten Nacht besucht uns eine Ente. Wir haben keine Ahnung, ob das Tier fliegend die Sahara überquert, oder ob es irgendwo ab einem Transporter gefallen ist. Wir stellen der Ente etwas Wasser hin, aber sie ist bereits so verwirrt, dass sie gar nichts davon trinkt. Am Morgen ist sie auf jeden Fall wieder verschwunden.

Nach zwei Tagen Fahrt haben wir die Grenze zu Mali erreicht. Auf der algerischen Seite befindet sich eine kleine Ortschaft – Bordj Moktar. Hier erledigen wir die Ausreiseformalitäten und fahren weiter Richtung Süden. Auf der malischen Seite ist gar nichts, der Zoll befindet sich erst in Tessalit. Bis dorthin ist es eine Tagesetappe auf einer steinigen und harten Piste. Dort angekommen begrüsst uns ein Zöllner freudig mit den Worten „Ich habe Sie zuerst gesehen, ich werde Sie abfertigen!“. Dann erklärt er uns, dass er fünf Liter Motorenöl und zwei Liter Getriebeöl brauche. Wenn wir das abgefüllt hätten, würde er wieder zu uns kommen und den Zoll erledigen. Auf solche Forderungen hat uns der Lonely Planet Reiseführer nicht vorbereitet, aber wir sind nicht bereit, die Korruption zu fördern. Wir merken jedoch schnell, dass die Zöllner hier in diesem einsamen Nest alle Zeit der Welt haben, um uns schmoren und unsere Visa ablaufen zu lassen. Also sind wir eindeutig am kürzeren Hebel. Wir handeln die Menge noch etwas herunter und bekommen die Carnet de Passages (die Zolldokumente fürs Fahrzeug) abgestempelt. Dann folgt noch das gleiche Spielchen mit der Immigration. Dieser Beamte liebäugelt mit einem Walkman‑Kopfhörer, der dann nach langem Verhandeln den Besitzer wechselt. Dafür bekommen wir unsere Einreisestempel in die Pässe.

Es hat noch ein anderes Reisefahrzeug in Tessalit. Es ist dies ein uralter Renault Geländelieferwagen, der von fünf Franzosen gefahren wird. Sie haben einen Führer mit dabei, und wir schliessen uns ihnen für die nächsten zwei Tage an. Später merken wir, dass es gar kein Führer ist, sondern ein Tuareg, der den Franzosen bei einer Panne mitten in der Wüste mit einem Ersatzgetriebe ausgeholfen hat. Die Franzosen hatten nicht genug Geld dabei, um den wohl überrissenen Preis zu bezahlen, aber es blieb ihnen gar nichts anderes übrig, als auf den Handel einzugehen. Sie werden in Bamako ihr Fahrzeug verkaufen und den Grossteil des Erlöses dem Tuareg abliefern. Dieser lässt den Renault natürlich nicht aus seinen Augen, um sicher zu gehen, dass er zu seinem Geld kommt. Aus irgend einem Grund müssen wir einen grossen Bogen um die Hauptpiste machen, und wir sind froh, diese Route nicht alleine fahren zu müssen.

In Anéfis verabschieden wir uns von den Franzosen und fahren alleine weiter. Die Piste ist kaum befahren und sehr stark versandet. Wir kommen kaum vorwärts, und die Motoren laufen auf höchsten Touren und sind entsprechend kurz vor dem Kochen. Wir besprühen immer wieder den Kühler mit Wasser, weil sich der Motor durch die fehlende Luftfeuchtigkeit kaum abkühlen kann.
Dann endlich erreichen wir in Bourem den Nigerfluss. Hier befinden wir uns nun eindeutig in Schwarzafrika – die vielen Kinder lassen keine Zweifel aufkommen. Wir werden von ihnen bestürmt und können uns kaum wehren: Jeder will etwas von uns, sei es ein Cadeau, ein Bic oder einfach Geld. Auch steigen sie auf unsere Fahrzeuge und versuchen, alles runter zu holen, was nicht angekettet ist. Die Leiter, um in unser Dachzelt zu steigen, zum Beispiel, ist nur mit Spannsets befestigt. Diese sind schnell mit einem Messer zerschnitten. Der erwachsenen Bevölkerung scheint es egal zu sein, dass ihre Kinder die ausländischen Besucher so belästigen. Da wir uns hier nicht willkommen fühlen, kaufen wir nur kurz Getränke ein, steigen ins Auto und fahren wieder in die einsame Wüste.

Gao wird im Reiseführer folgendermassen beschrieben: Wenn man aus dem Süden kommt, ist es nur ein kleines Provinznest, wo es nichts gibt. Erreicht man die Stadt jedoch von Norden, nach tagelanger Saharadurchquerung, soll man sich laut Reiseführer in einem Paradies wähnen. Wir müssen noch eine Weile warten, bis wir uns davon überzeugen können, denn bei der Ortseinfahrt sitzt ein Polizist in einem Häuschen, den wir jedoch übersehen, weil nichts angeschrieben ist. Darauf setzt er sich auf ein Mofa und holt uns wieder ein. Zurück bei seinem Häuschen schaut er sich unsere Fahrzeuge genau an und beschliesst, wir hätten eine „Infraction“ begangen: Die Rakoboxen in unserem Landy seien nicht genügend gesichert. Dabei sind sie sogar noch mit Zurrgurten befestigt. Wir merken jedoch schnell, dass, wenn nicht die Ladung, dann halt etwas anderes Anstoss erregen würde. So verhängt er uns eine Busse von CFA 9000, was ca. 60 Schweizer Franken sind. Wir lachen ihn zuerst einmal aus, denn soviel Geld verdient er sicher nicht einmal in einem Monat. Nach etwa zwei Stunden müssen wir feststellen, dass wir ihn von der Busse selber nicht abbringen können (er macht uns bedeutungsvoll klar, dass der Richter von Gao auch ein Schwarzer sei), aber der Betrag ist handelbar. Nach weiteren zwei Stunden plaudern, Tee trinken und Spässchen machen, haben wir die „Busse“ dann auf 5 US‑Dollar runter gehandelt. In CFA können wir ihn nicht bezahlen, weil wir noch gar keine Gelegenheit hatten, irgendwo Geld zu wechseln. Heute schaffen wir das auch nicht mehr, denn mittlerweile ist später Nachmittag geworden, und somit ist die Bank geschlossen. Wir fragen uns, ob das der Zweck der Busse und des darauffolgenden Verhandelns war, denn so sind wir darauf angewiesen, auf dem Campingplatz die Nacht zu verbringen und morgen erst Geld zu wechseln. Er begleitet uns auf jeden Fall zum Campingplatz und holt sich dort wohl seine Kommission ab.
Auf dem Campingplatz trinken wir endlich einmal wieder ein eiskaltes Cola – auf Kredit natürlich, wie auch das Abendessen. Es ist auch sehr schön, unter der Dusche zu stehen und von Kopf bis Fuss sauber zu werden.

Am nächsten Tag, einem Freitag, gehen wir auf die Bank. Dort warten wir eine Ewigkeit, bis wir an die Reihe kommen. Wir dürfen nicht mehr als $100 pro Person wechseln.
Da sie an der offiziellen Tankstelle nur CFA nehmen, und wir davon nicht genug haben, suchen wir auf dem Schwarzmarkt nach Benzin. Auf einem Hinterhof erhalten wir gegen Dollar algerisches Schmuggelbenzin, das erst noch billiger ist als das an der staatlichen Tankstelle. Aus grossen Fässern füllen wir kannisterweise 370 Liter Benzin in unsere Tanks. Dann besuchen wir noch den Markt. Er ist zwar sehr bunt, aber zu kaufen gibt es nicht viel.

Da heute Samstag ist, und die Bank somit für zwei Tage geschlossen ist, verbleibt uns nach der Abrechnung mit dem Campingplatz noch gerade genügend Geld, um die Fähre über den Niger zu bezahlen. Leider gibt die Autobatterie von Urs’s Landy gerade auf dem Schiff den Geist auf, so dass wir ihn von der Fähre schleppen müssen. Das wird von den wartenden Polizisten natürlich nicht übersehen und soll verboten sein. Nur mit einer Stange darf ein Fahrzeug abgeschleppt werden. Der grosse Umfang und die Spiegelsonnenbrille des Polizisten zeigt uns ziemlich schnell, dass er nicht gewohnt ist nachzugeben. Weil wir keine CFA haben, können wir durch eine komplizierte Devisenrechnung (soviel CFA sind soviel FF, soviel FF sind soviel CHF und soviel CHF sind soviel US$) die Busse gering halten. Bevor er den Umrechnungsfehler bemerkt, machen wir uns aus dem Staub. Um nicht noch einmal einen Verstoss zu begehen, schieben wir den Landy mit unserem Fahrzeug an – Stossstange an Stossstange! Das ist ziemlich unauffällig und zudem kräfteschonend.

Den Sonntag verbringen wir 40 km vor der nächsten grösseren Ortschaft. Da wir ohne einheimisches Geld sind, warten wir auf den Montag, damit wir in einer Bank Geld wechseln können. Der Lonely Planet Reiseführer hat uns geraten, für Westafrika Traveller Checks und Bargeld in US‑Dollars mitzunehmen. Hier angekommen, merken wir, dass wir mit französischen Francs viel besser dran wären, weil die nämlich überall als Zahlung angenommen werden. Kein Wunder, denn der CFA ist fest an den FF gebunden. Also sitzen wir auf unseren Dollars und sind auf die Banken angewiesen. Nach den ersten Eindrücken von Mali ist das Barometer unserer Reisefreude erheblich gesunken. So haben wir es uns nicht vorgestellt. Uns hat nichts auf die unfreundliche Bevölkerung und die geldgierigen Beamten vorbereitet.

Mopti ist wunderschön gelegen. Auf einem 10 km langen Damm fährt man durch überflutetes Gebiet, bis man die Stadt erreicht hat. Dort herrscht emsiges Treiben, vor allem im Fischerhafen ist einiges los. Auf der Bank werden wir auf den Nachmittag vertröstet, was uns nicht allzu sehr stört. Denn Mopti ist interessant und wir geniessen es, den Leuten zuzuschauen. Am Nachmittag können wir dann endlich soviel Geld wechseln, wie wir wollen bzw. brauchen.
Zum Übernachten fahren wir wieder in die Savanne. Als es dunkel ist, hören wir plötzlich über uns ein gewaltiges Rauschen. Wir wissen nicht, was es ist, denn wir spüren keinen Wind. Nachdem wir mit der Taschenlampe gegen den Himmel zünden, sehen wir die Ursache – ein riesiger Heuschreckenschwarm. Minutenlang fliegen die gefrässigen Viecher über unseren Köpfen hinweg. Ab und zu knallt ein Exemplar gegen unsere Autos. Die Taschenlampe machen wir schnell wieder aus, denn sie zieht die Heuschrecken an, die dann mit uns kollidieren. Bei ihrer Grösse ist das recht schmerzhaft.

Mittlerweile haben wir herausgefunden, weshalb wir uns hier in Mali wie Milchkühe vorkommen: Bis vor ein paar Monaten seien viel mehr Touristen durch ihr Land gefahren, hat uns ein Polizist bei einer Strassenkontrolle erzählt, da habe es gereicht, wenn jeder nur ein wenig Bakshish gab. Aber jetzt, wo fast keine Touristen mehr nach Mali kommen, werden eben die paar wenigen gezwungen, viel mehr zu geben. Sonst ginge ja die Rechnung nicht auf! Wir sind mit dieser Einstellung nicht einverstanden und verzichten entsprechend auf den Besuch des Dogonlandes und der Hauptstadt Bamako. Wir sind nicht gewillt, bei jeder Kontrolle (und es hat sehr viele) dem Beamten einen Lohnzustupf zu bezahlen.
Deshalb fahren wir ohne Umwege Richtung Elfenbeinküste. Unterwegs legen wir noch einen Ruhetag im Gebüsch ein. Die ganze vorherige Nacht bin ich aus dem Dachzelt gestiegen und habe Magen und Darm geleert. Wegen den vielen Mücken bin ich jedes Mal mit schwachen Beinen wieder ins Zelt hochgestiegen, nur um ein paar Minuten später alles zu wiederholen. Die Männer nützen den Tag, um die Landys zu warten.

Der Grenzübertritt in die Elfenbeinküste ist absolut problemlos. Im Land erwartet uns eine tiptoppe Strasse mit feinem Teer und sogar einem Mittelstreifen. Wir sind gebührend beeindruckt und hoffen, dass es dem Land immer noch so gut geht wie früher, als es auch die Schweiz von Afrika genannt wurde. Vor allem hoffen wir, dass der Staat den Polizisten genügend Lohn zahlt, so dass wir nicht auch noch einen Teil dazu beitragen müssen.
Von Ferkessedougou aus wollen wir den Comoe Nationalpark besuchen, aber der ist leider wegen der erst abklingenden Regenzeit noch nicht geöffnet. Dafür fahren wir nach Kong, wo wir eine alte, im sudanesischen Stil erbaute Moschee besichtigen. Dabei werden wir von der gesamten Dorfjugend begleitet.

Von Ferkessedougou fahren wir über Korhogo und Odienné nach Man. Das liegt im westlichen Teil des Landes. Unterwegs befinden wir uns plötzlich nicht mehr in der Savanne sondern im Urwaldgebiet. Es ist feucht, und dadurch scheint es uns viel heisser zu sein, obschon es sicher zehn Grad kühler ist hier als in der Wüste. Wir fahren durch die Gegend und sehen uns die sehenswerten Dinge an: Die Wasserfälle, die Lianenbrücke (bzw. deren Kopie) und vom Antennenturm des 1200 m hohen Mont Tonkoui haben wir eine wunderbare Aussicht auf dem dampfenden Dschungel.

Weiter geht es dann nach Danané, wo wir 20 km südlich zu der originalen Lianenbrücke kommen. Hier wird sie von den Leuten auch wirklich gebraucht. Es sieht nicht einfach aus, wie die Frauen, den Kopf mit Kleider oder Ware beladen die schwankende Hängebrücke überqueren. Wenigstens haben sie so die Hände frei und können sich an den Lianen festhalten.
Wir fahren nun an der Grenze zu Liberia südwärts. Die Piste ist sehr schlecht, und das Ausweichen, wenn mal jemand entgegenkommt ist schwierig. Einmal müssen wir ein paar Stunden warten, weil sich ein Lastwagen und ein Bus nicht einigen konnten, wie sie kreuzen wollten. Dabei sind beide am Rand der Piste im Morast versunken und warten nun auf Hilfe. Zum Glück kommt bald ein Holztransporter, der genügend Kraft hat, die Fahrzeuge aus dem Schlamm zu ziehen.
Auf dieser Strecke gibt der Lenkungsdämpfer vom 110er den Geist auf. Als dann die Piste besser wird, und man eigentlich schneller fahren könnte, merken wir, dass die Vorderräder von Urs’s Landy bei einer gewissen Geschwindigkeit zu flattern beginnen. Das sieht ganz schön gefährlich aus und wird fürs Fahrzeug auch ungesund sein. So fahren wir dann mit einer Geschwindigkeit von unter 50 km/h zuerst nach Sassandra. Dort erhoffen wir uns, einen Platz zu finden, wo wir ein paar Tage ausspannen können.
Leider erweist sich Sassandra als fremdenfeindlicher Ort. Im Restaurant heisst es, sie können uns nichts zu essen geben, obschon alle anderen Gäste den Kopf über die Teller gebeugt am Mittagessen sitzen. Wir verstehen nicht, weshalb sie uns nichts anbieten wollen, schliesslich würden sie ja Geld verdienen. Aber offenbar ist die Abneigung gegen Fremde grösser als die Notwendigkeit, Geld zu verdienen.

Wir machen uns wieder aus dem Staub und fahren stattdessen nach San Pedro, der Stadt mit dem zweitgrössten Hafen. Hier finden wir einen schönen Campingplatz am Strand. Wir setzen uns zu einem guten Abendessen unter die Palmen und besprechen unsere Reisepläne. Eines ist uns allen schnell klar: So soll es nicht weiter gehen! Uns macht es keinen Spass, Länder zu bereisen, wo wir nicht willkommen sind. Wenn man unseren Reiseführern glauben darf, wird es noch schlimmer, in Togo scheint einem sogar die Polizei ausrauben zu wollen – mit Waffen! So haben wir uns das Reisen nicht vorgestellt. Wir haben es nicht nötig, allen Widrigkeiten zum Trotz den Kontinent zu durchqueren. Wir möchten neue Gegenden kennen lernen, aber auch auf die dort lebenden Leute zugehen können und von ihnen und ihrer Kultur zu lernen. Seit Algerien haben wir uns mit niemanden richtig unterhalten können, ausser es ging um Cadeau oder Bussen. Wir beschliessen, Afrika den Rücken zu kehren und unsere Autos zu verschiffen. Nun stellt sich die Frage wohin. Eigentlich ist Südamerika geplant, aber dort ist es im Moment wegen der Wirtschaftskrise alles andere als ruhig, man hört von europäischen Auswandern, die Hab und Gut zusammenpacken und wieder in ihre Heimatländer ziehen. Wir nehmen die Weltkarte hervor und schauen uns die Möglichkeiten an. Wir entscheiden uns für Asien. Wir können die Landys nach Singapore verschiffen und Südostasien bereisen, dann vielleicht noch Australien. Ziemlich schnell können wir uns für die neuen Pläne begeistern, und wir freuen uns darauf.

Heute ist der 23. November 1990 und ein Freitag. Wir müssen mal wieder Geld wechseln, aber das sollte hier in dieser Stadt kein Problem sein. Denken wir! Es hat fünf Banken, aber keine will unsere Dollars. Auf der einen Bank sei der Telex mit den Währungskursen aus Abidjan noch nicht eingetroffen – wir werden auf den Nachmittag vertröstet. Auf der zweiten Bank erklären sie uns nach langem Warten, dass sie am Freitag keine US$ wechseln. Bank Nr. 3 und 4 wechseln überhaupt kein Geld, so dass wir am Nachmittag wieder auf der ersten Bank landen. Aber leider ist der Telex noch immer nicht eingetroffen, und nein, es sei nicht möglich, nach Abidjan anzurufen. Während wir warten, stattet Albi der fünften und letzten Bank noch einen Besuch ab. Hier heisst es schon recht deutlich: „Jetzt wird nicht gewechselt, schon gar nicht für Ausländer!“ Mittlerweile wird uns auch auf der ersten Bank gesagt, dass man Weisse eben nicht so gern sehe. Dafür lernen wir einen hier ansässigen Libanesen kennen, der uns mitten in der Bank $ 400 zu einem sehr guten Kurs wechselt.

Die nächsten zwei Tage verbringen wir auf dem Weg nach Abidjan. Da Urs keine Ersatzteile fürs Auto auftreiben konnte, fahren wir im Schneckentempo in die grösste Stadt des Landes. Wir nehmen im Hotel des Sports zwei Zimmer und kümmern uns um die Verschiffung unserer Fahrzeuge. Dazu suchen wir das Büro der Maersk Line auf. Dort geben sie uns den Termin, wann das nächste Schiff ausläuft. Es ist dies in sechs Tagen, am nächsten Sonntag. Das sollte eigentlich problemlos möglich sein. Wir erhalten auch die Adresse einer Firma, die den ganzen Papierkram für die Verschiffung erledigt. Wir fahren aber heute vergebens dorthin, der zuständige Monsieur Blanc (weiss oder nicht weiss?) ist abwesend. Wir machen für morgen einen Termin ab.

Am nächsten Tag werden wir dann von M. Blanc (er ist so, wie er heisst) empfangen. Er erklärt uns, dass er problemlos einen Container organisieren könne, aber für die Ausfuhrpapiere sei die Zeit etwas knapp. Wir sehen nicht so recht, weshalb das nicht klappen sollte, schliesslich ist heute erst Dienstag. Er verspricht, sein Möglichstes zu tun, damit bis Sonntag alles erledigt ist. Das Ganze kostet für einen 40‑Fuss‑Container (wo beide Fahrzeuge Platz haben) ca. Fr. 6600!

Bis am Freitag haben wir Zeit, die Stadt kennen zu lernen und die für die kommenden Wochen benötigten Sachen aus dem Landy zu räumen. Am Nachmittag fahren Urs und Albi zum Hafen, um die Autos in den Container zu stellen, aber nach ein paar Stunden sind sie wieder zurück. Es hat nicht geklappt, weil der Zollinspektor nicht erschienen ist. Der Agent hat aber versprochen, dass morgen alles erledigt wird. Also fahren Urs und Albi am Samstag erneut in den Hafen, während René und ich uns um einen Flug kümmern. Wir wollen über Paris fliegen, damit wir uns dort mit meiner Freundin Monika treffen können. Sie hat mittlerweile den Lenkungsdämpfer für Urs besorgt. Der billigste Flug nach Paris kostet Fr. 800 und für Albi das Doppelte, weil er für den Jugendtarif bereits zu alt ist.

Nachdem die Landys endlich im verschlossenen und plombierten Container sind, und der ganze Zoll erledigt ist, fehlt uns nur noch die „Bill of Lading“. Diese Papiere werden jedoch erst ausgestellt, nachdem das Schiff den Hafen verlassen hat. Nun scheint das Schiff ein, zwei Tage Verspätung zu haben, so dass wir ohne die Schiffspapiere wegfliegen. Monsieur Blanc verspricht uns, dass er die Papiere nach Singapore schicken werde.

Am 3. Dezember 1990 setzen wir uns ins Flugzeug der UTA und verlassen Afrika mit zwiespältigen Gefühlen. Einerseits sind wir froh, diesen Kontinent zu verlassen, andererseits fragen wir uns, ob wir uns mehr hätten anstrengen sollen, um das Afrika zu entdecken, wovon viele Leute so begeistert sind. Aber dann denken wir wieder an die dicken Polizisten mit den dunklen Sonnenbrillen, die alle einen Teil von unserem Reisegeld fordern. Wir bereuen es nicht, unsere Afrikareise abgebrochen zu haben. So freuen wir uns jetzt auf den nächsten Abschnitt unserer Reise.

Paris um viertel vor acht in der Métro: Die Leute sind wegen der Kälte in dicke Kleider gehüllt, niemand lacht, keiner spricht uns an, jeder weicht dem Blick des anderen aus, als wäre es verboten, sich anzusehen. Wir lassen uns die gute Laune nicht nehmen und geniessen die drei Tage. Zuerst holen wir Monika vom Bahnhof ab, dann besorgen wir uns Flüge nach Singapore, und den Rest der Zeit verbringen wir in Geschäften und Restaurants, weil es einfach zu kalt ist, um draussen zu sein.
Nachdem wir uns von Monika bereits wieder verabschiedet haben, besteigen wir das Flugzeug, das uns via Bahrain nach Singapore bringt. Der Service der Gulf‑Air ist ausgezeichnet, und wir geniessen den Platz im höchstens zu einem Viertel gefüllten Flugzeug.

Singapore heisst uns mit 30° C und einem fast klinisch sauberen Flughafen willkommen. Wir fahren mit dem Bus in die Stadt und versuchen unser Glück im YMCA. Leider ist diese Jugendherberge, die eigentlich schon fast ein Hotel ist, total ausgebucht. Aber mit einem Rucksack am Rücken läuft man in Singapore nicht weit. Bereits hundert Meter vom YMCA entfernt werden wir angesprochen, ob wir eine Unterkunft suchen. In einem ehemaligen Wohnhaus sind ein paar Stockwerke zu Backpackers Lodges umfunktioniert worden. Pro Wohnung hat es zwei Doppelzimmer, die mit einem Bad verbunden sind, dann hat es noch ein Doppelzimmer ohne Bad, und im Wohnzimmer stehen sechs oder acht Betten – das Dormitory. Weiter hat es eine Küche und noch ein Bad. Wir haben Glück und erhalten zwei Doppelzimmer, eines mit angrenzendem Bad und eines ohne.

In den nächsten sieben Tagen, erkunden wir die Stadt: Wir besichtigen die Vergnügungsinsel Sentosa, die Crocodile Farm, das Science Center und den Botanischen Garten. Wir machen eine Hafenrundfahrt, stürzen uns mit Gusto in die klimatisierte Welt der Shoppingcenter oder setzen uns in irgend einen Bus und fahren einen halben Tag plan- und ziellos auf der Bodensee‑grossen Insel umher.
Auch kulinarisch kommen wir auf unsere Kosten. Neben den gelben M’s und den vielen Restaurants hat es überall die sogenannten Food Stalls, das sind Gebäude, wo sich die ehemaligen kleinen Strassenküchen jetzt befinden. Hier haben sie fliessend Wasser, und sie können vom Staat auf Hygiene überprüft werden. Man läuft von einer kleinen Küche zur anderen und wählt sich aus dem riesigen Angebot etwas aus. Das Bestellte wird einem dann an den mit Nummern versehenen Tisch gebracht. Für zwei, drei Franken bekommt man einen Teller Fried Rice oder eine Prawn Mee Soup oder ein Nasi Lemak oder ein Carrot Cake (eine Art Rösti aus weissen Rüben). So sitzt man dann zusammen an einem Tisch, aber jeder bekommt sein Essen aus einem anderen „Restaurant“. Wir versuchen immer wieder neue Sachen aus, und alles, was wir essen schmeckt ausgezeichnet.

Weil das Schiff mit unseren Autos erst gegen Ende des Monats hier eintreffen wird, packen wir die Rucksäcke und steigen in den Bus nach Malaysia. In Cherating an der Ostküste steigen wir aus. Cherating ist ein kleines Fischerdorf, wo sich in den letzten Jahren ein Ferienort für Rucksackreisende entwickelt hat. Es hat ein paar einfache mit Palmblättern bedeckte Hütten, eine Batikwerkstatt und zwei Restaurants: Ein chinesisches Sea‑Food‑Lokal und ein kleines Traveller‑Café. In Maznah’s Guesthouse finden wir für 4 Franken pro Person eine Unterkunft mit Halbpension. Das Essen ist ausgezeichnet, und man fühlt sich wie in einer grossen Familie.
Zusammen mit ein paar anderen Reisenden verbringen wir die Weihnachtstage im friedlichen Cherating. Wir befinden uns mitten in der Regenzeit, und entsprechend trüb ist das Wetter. So können wir zwar am schönen Strand spazieren gehen, aber zum Baden lädt es uns nicht ein. Wir setzen uns viel auf die Veranda und lesen ein Buch oder plaudern mit den anderen Leuten. Vor dem Abendessen sehen wir uns im Wohnzimmer die Nachrichten im TV an. Das Hauptthema weltweit ist im Moment die irakische Besetzung von Kuwait. Nach dem Essen setzen wir uns wieder in die Sessel und weiter geht’s mit friedlichen Diskussionen über Gott und die Welt. Wir fühlen uns hier so richtig wohl, dass wir kaum noch an das abweisende Westafrika denken. Wir sind froh, dass wir nicht an unseren Reiseplänen festgehalten haben und nach Asien gekommen sind.

Nach vier Tagen Regen scheint endlich mal die Sonne. Wir nutzen die Gelegenheit und fahren mit einem Boot den Fluss hoch. Wegen der hohen Luftfeuchtigkeit kommen wir beim Rudern ganz schön ins Schwitzen. Aber der Ausflug ist sehr schön. Neben der uns unbekannten tropischen Vegetation entdecken wir auch viele Tiere: Insekten, Fische, Vögel und sogar eine Schlange.

Am 26. Dezember 1990 fahren wir mit dem Bus zurück nach Singapore. Wir quartieren uns erneut in der Peonie Mansion ein. Auf dem AA, wo wir unser Carnet de Passages bescheinigen lassen müssen, treffen wir Mandi und Caroline, ein Schweizer Paar, das ebenfalls mit einem Landrover unterwegs ist. Später treffen wir sie vor einem Hotel in der gleichen Strasse, wo wir wohnen. Wir besuchen zusammen den Zoo und haben uns gegenseitig viel zu erzählen. Sie kommen von Indien und wollen nach dem Besuch von Malaysia nach Australien verschiffen. Wir werden uns vielleicht in zwei Wochen in Cherating wieder treffen.
Während Mandi und Caroline ihren Landy packen und nordwärts fahren, verbringen wir noch den Jahreswechsel hier in Singapore. Die berühmte Orchard Road ist für den Verkehr gesperrt. Halb Singapore befindet sich auf der Strasse und feiert fröhlich aber sehr gesittet das Ende des alten Jahres.

Noch bevor wir unsere Landys in Empfang nehmen können, ist es für Urs klar, dass er sein Fahrzeug gleich wieder verschiffen wird und zwar nach Europa. Weil er und Monika (meine Freundin, die uns in Paris besuchte) in der Zwischenzeit mehrmals miteinander telefoniert haben, will er in die Schweiz zurückkehren und schauen, ob aus ihnen beiden ein Paar werden kann. Er lässt es sich von uns nicht ausreden, und so sind wir nur noch drei Reisende mit einem Fahrzeug. Es ist nicht möglich, zu dritt in unserem Landrover zu reisen, dafür fehlt klar den Platz. So kauft sich René einen Rucksack und zieht wie die vielen anderen Backpacker mit dem Bus los.

Am 2. Januar 1991 ist es dann soweit: Der Container ist eingetroffen! Wir gehen in das Hafengelände, fahren die Autos durch den Zoll, und die Reise kann weiter gehen. Wir verabschieden uns von Urs, dem etwas wortkargen Freund, den wir in den letzten drei Monaten lieb gewonnen haben. Wir wünschen ihm alles Gute und gehen nun alleine dem weiteren Abenteuer entgegen.

Wir sind froh, wieder mit den eigenen Rädern unterwegs zu sein, vermissen aber Urs. Abends sitzen wir im Dunkeln und fühlen uns in den ersten Tagen recht einsam. Nachdem wir die ehemals holländische Stadt Melakka besichtigt haben, fahren wir quer durch den Urwald an die Ostküste, wo wir uns erneut in Cherating niederlassen. Wir haben einiges am und im Auto zu tun, und hier können wir alles ausräumen und uns darum kümmern. Als erstes muss der Benzintank runter – er leckt! Wir putzen ihn, lassen ihn gut trocknen und dichten ihn mit Silikon. Nun müssen wir die Sache einige Tage aushärten lassen.
Wir studieren die in Singapore gekauften Reiseführer, damit wir die Zukunft etwas planen können. Wir haben vor, Malaysia und Thailand zu bereisen und dann von Penang (Malaysia) aus mit der Fähre nach Indonesien zu fahren. Dort steht Sumatra, Java, Bali, Lombok und Timor auf dem Programm, bevor wir nach Australien übersetzen.

Während der Tank am Trocknen ist, treffen Mandi und Caroline in Cherating ein. Wir verbringen ein paar gemütliche Tage zusammen. Entweder basteln wir gemeinsam an unseren Landys, oder wir sitzen auf der Veranda und erzählen uns gegenseitig von unseren Erlebnissen. Wir geniessen ihre Gesellschaft, und nach drei, vier Tagen, bevor wir uns wieder voneinander verabschieden, haben wir das Gefühl, uns schon gut zu kennen. Mandi und Caroline fahren wieder nach Singapore, um ein Schiff nach Australien zu finden, und wir machen uns auf den Weg, Südostasien zu entdecken.

Über Marang kommen wir in den Norden nach Kota Bharu. Von hier aus fahren wir auf der East‑West‑Highway an die Westküste. Die Strasse ist ziemlich neu und führt durch das ehemalige Rückzugsgebiet der kommunistischen Rebellen. Wir verstehen, dass sich die Rebellen hier gut verstecken konnten, denn der riesige Urwald ist hier nur durch die neue Strasse zugänglich. Es tut gut, soviel grün zu sehen.
Unser nächstes Ziel sind die Cameron Highlands. Hier haben sich früher die englischen Kolonialisten von der Hitze erholt. Nach zweistündiger Kurvenfahrt befinden wir uns im Teeanbaugebiet. Wo nicht noch Urwald steht, hat es Teebüsche. Die Plantagenarbeiter sind fast ausschliesslich Tamilen, die von den Engländern aus Indien geholt wurden. Böse Zungen sagen dazu: Die einheimischen Malaien seien zu faul und die ansässigen Chinesen zu schlau gewesen, um in den Plantagen zu arbeiten. Also wurden die arbeitsfreudigen und genügsamen Tamilen ins Land geholt. Mittlerweile bilden sie einen festen Bestandteil der zusammengewürfelten malaysischen Bevölkerung.

Bei einem Traveller‑Guesthouse finden wir einen Platz, wo wir ruhig stehen können. Als erstes nehmen wir unsere warmen Kleider hervor. Seit Paris haben wir diese Sachen tief unten verstaut und nicht gedacht, dass wir sie so schnell wieder benötigen. Aber hier oben wird es speziell nach Sonnenuntergang sehr kalt. Nun sind wir gerüstet, die Highlands zu erkunden.
Wir besuchen eine Teeplantage und sehen zu, wie aus den von Hand gepflückten Blättern Tee wird. Ausser den paar ausländischen Touristen und den Wochenendausflüglern aus der Hauptstadt Kuala Lumpur ist die Teeproduktion der Haupteinnahmezweig in den Cameron Highlands. Die Dreckstrassen sind voll von alten und uralten Landrovern, die hoch beladen die mit Tee gefüllten Körbe in die Fabriken bringen. Albi hat seine helle Freude an so vielen englischen Oldtimern. Natürlich geniessen wir auch das für mich recht ungewöhnliche indische Essen. Es ist sehr scharf, schmeckt aber ausgezeichnet!

Leider ist uns das Wetter nicht wohlgesinnt. Der Regen und die Kälte treiben uns wieder ins Flachland, genauer in die Hauptstadt. Wir quartieren uns im Kowloon Hotel im Zentrum von Kuala Lumpur ein. Zuerst beantragen wir auf der thailändischen Botschaft ein Visum, dann profitieren wir von den Annehmlichkeiten, die eine Stadt bieten kann. So zum Beispiel eine Pizza. Auf dem American Express Büro stocken wir unseren Vorrat an Travellers Checks auf.
Nachdem wir die Visa in den Pässen haben, fahren wir zur Stadt heraus und machen noch einen Halt bei den Batu Caves. Hier findet jedes Jahr das grösste tamilische Fest statt. Während dem Taipusam lassen sich viele Männer in Trance versetzen und mehrere Metallhaken in die Rückenhaut stecken. Damit ziehen sie dann kleinere oder grössere Wagen kilometerweit zu den Tempeln der Batu Caves. Teilweise lassen sie sich auch Pfeile durch die Wangen oder sogar durch die Zunge stecken. In den Höhlen angekommen werden ihnen die Haken oder Pfeile wieder entfernt. Offenbar kommt es kaum zu Blutungen, nicht einmal bei den Zungenverletzungen. Leider sind wir zu früh dran, um auf den diesjährigen Taipusam zu warten.

Auf dem Weg nach Thailand machen wir nur kurz einen Abstecher nach Penang. Weil wir später von hier aus mit der Fähre nach Sumatra fahren wollen, werden wir noch genug Gelegenheit haben, die Insel zu erkunden. Was uns aber beeindruckt, ist die neue Brücke, die Penang mit dem Festland verbindet. Sieben Kilometer lang ist sie, und man hat das Gefühl, ewig über Wasser zu fahren. Wir stürzen uns kurz ins Gewühl von Georgetown und sind am nächsten Tag bereits wieder unterwegs. Diesmal setzen wir mit der Fähre aufs Festland über und fahren an die Grenze zu Thailand.

Heute ist der 27. Januar 1991. Die Einreise nach Thailand verläuft problemlos. Es gibt zwar etliche Formulare auszufüllen, aber bereits nach einer halben Stunde befinden wir uns im Königreich. Wir stellen sofort ein paar Unterschiede zu Malaysia fest: Die Lastwagen sind nicht mehr untermotorisiert, und alles, was irgendwo geschrieben steht, ist für uns unleserlich.
In der Nähe von Krabi machen wir ein paar Tage Ferien. Hier am Meer, wo vor ein paar Jahren zwischen den Kalksteinfelsen ein James Bond Film gedreht wurde, finden wir einen schönen Strand. Es gibt höchstens ein Dutzend einfache Bungalows zu mieten, und entsprechend ruhig ist es hier. Wir faulenzen am Meer oder geniessen das ausgezeichnete Essen.

Irgendwann wird es uns aber zu langweilig, und wir fahren weiter – diesmal nach Phuket. Wegen dem Golfkrieg wagen sich offenbar viele Europäer nicht ins Flugzeug, so dass die bekannte Ferieninsel halb leer ist. Dafür finden wir zu einem Spottpreis ein gutes Zimmer an der Patong Beach. Das ist der Hauptstrand der Insel, dort wo sich alles konzentriert: Die Touristen, die Restaurants, die Bars, die Souvenirläden, die käuflichen Girls und auch die Tauchläden. Wir wollen nämlich einen Tauchkurs machen. Wir finden Susie, eine mit einem Thai verheiratete Schweizerin, die uns in den nächsten vier Tagen durch den Kurs führen wird.
Am Morgen nehmen wir jeweils die Theorie durch, und am Nachmittag steigen wir ins Wasser, wobei das Wasser am ersten Tag aus einem Swimmingpool besteht. Dort lernen wir die ganze Ausrüstung und deren Bedienung kennen. Es ist schon ein komisches Gefühl, sich unter Wasser zu befinden und trotzdem atmen zu können. Richtig abenteuerlich wird es am zweiten Nachmittag, als wir mit Sauerstoffflasche und Lungenautomat behangen, Flossen und Maske in den Händen durch die sonnenverbrannten Touristen über den Strand ins Meer laufen. In nur drei Metern Tiefe machen wir unsere Übungen und steigen nach einer Stunde wieder aus dem Wasser. Die Touristen beäugen erstaunt die drei Taucher und fragen sich wohl, weshalb wir nicht wie alle anderen auch von einem Boot aus tauchen. In Strandnähe wird es sicher nichts zu sehen geben – ausser vielleicht ein paar Touristenbeine.
Am dritten Tag ist es dann soweit: Wir fahren mit einem Boot in offene Wasser und gehen richtig tauchen. Die Sicht ist sehr gut, und die Zeit vergeht im Nu. Als wir dann am späten Nachmittag zurück zu unserem Hotel fahren, passiert etwas, was man sich nie und in einem fremden Land noch weniger wünscht – ein Unfall. Wir stehen auf der linken Strassenseite (in Thailand herrscht Linksverkehr), um in die Einfahrt zu unserem Hotel abzubiegen. Dabei haben wir den rechten Blinker gesetzt. Wir warten noch den Gegenverkehr ab. Als dann die Fahrt frei ist, biegt Albi rechts ab. Dabei übersieht er, dass von hinten ein Motorradfahrer mit stark übersetzter Geschwindigkeit kommt und uns überholen will, trotz gesetztem Blinker notabene. Während wir am Abbiegen sind, rammt er mit dem Töff den rechten Kotflügel und fliegt in hohem Bogen davon. Weil wir mitten auf der Strasse stehen, blockieren wir den gesamten Verkehr und fahren deshalb den Landy in die Hoteleinfahrt. Das hätten wir besser nicht getan, aber wie sollen wir wissen, dass man die hupenden Verkehrsteilnehmer einfach bis zum Eintreffen der Polizei ignorieren soll. Mittlerweile haben sich die Angestellten von unserem Hotel um den verletzten Motorradfahrer gekümmert. Er hat eine Wunde am Bein und wird ins Spital gefahren. Als dann die Polizei eintrifft, fängt das Palaver an. Nicht, dass wir viel dazu beisteuern können, denn die Polizisten verstehen kein Wort Englisch, und unser Thai beschränkt sich auf „Fried Rice“ und „Danke“, was uns hier nichts nützt. Zum Glück hat der Hotelportier den Hergang des Unfalles verfolgt und erklärt den Ordnungshütern, was passiert ist. Es ist eigentlich klar, dass unsere Schuld einzig darin besteht, dass wir das Fahrzeug nicht am Unfallort stehen gelassen haben. Der Portier erklärt uns in gebrochenem Englisch, dass wir warten müssen, bis der Töfffahrer aus dem Spital zurück ist. Offenbar ist seine Verletzung nicht schlimm, und es muss nur etwas genäht werden. Wir sagen, dass wir in der Zwischenzeit in unserem Zimmer warten.
Nach zwei Stunden werden wir wieder in die Hoteleinfahrt gerufen. Mittlerweile ist nicht nur der Fahrer wieder hier, auch der Besitzer des Motorrades hat sich eingefunden. Es scheint, als wäre der Verunfallte ein Thai aus Bangkok, der hier Ferien macht und dazu ein Motorrad gemietet hat. Nun ist natürlich der Vermieter zur Stelle, um sicher zu sein, dass er zu seinem Geld kommt. Der arme Tourist aus Bangkok wird, kaum aus dem Spital heraus, mit einer hohen Reparaturrechnung konfrontiert. Dabei wollte er sich doch nur ein paar Tage in Phuket amüsieren. Wir fühlen uns nicht schuldig, sind aber trotzdem betroffen und wollen ihm helfen. Nachdem wir ihm zuerst übersetzen lassen, dass eigentlich er für den Schaden am Kotflügel aufkommen müsste, schenken wir ihm ungefähr 25 Franken. Damit kann er das Spital und einen Teil der Reparatur bezahlen. Wir machen aber allen noch einmal klar, dass wir unschuldig seien und ihm nur helfen wollen. Mit dieser diplomatischen Lösung scheinen alle Beteiligten und auch die paar Zuschauer zufrieden zu sein. Uns erstaunt, wie freundlich alle Leute während der ganzen Geschichte geblieben sind. Nur der Verletzte wird von der Polizei ein paar mal etwas angefahren. Daraus entnehmen wir, dass der Unfall auch aus polizeilicher Sicht klar seine Schuld war. Wir sind froh, dass die Sache mit einer Naht am Bein, einem eingedrückten Kotflügel, einem teilweise abgerissenen Bullbar und einem ziemlich demolierten Motorrad ohne grosse Umstände und zur Befriedigung aller geregelt werden konnte. Nach diesem vom Tauchen eh schon anstrengenden Tag gehen wir erschöpft früh ins Bett.

Am vierten und letzten Tag unseres Kurses gibt es noch ein Letztes an Theorie, nämlich die schriftliche Prüfung. Wir bestehen beide. Der nachmittägliche Tauchgang ist dann leider nicht mehr so toll wie gestern. Das Wasser ist recht trüb, und dadurch sieht man kaum ein paar Meter weit. Wir bedanken uns bei Susie und gehen am Ende des Tages erstmals in eine der vielen Bars. Schliesslich müssen mir morgen nicht mehr so früh aufstehen, wie in den letzten Tagen. In den Bars ist es sehr interessant zuzuschauen, wie die alleinstehenden Männer von den jungen Frauen angesprochen werden. Es scheint ziemlich einfach zu sein, hier eine Ferienbegleitung zu finden.

Während den nächsten paar Tagen lassen wir es uns auf der Ferieninsel gut gehen. Wir spazieren am Strand entlang und setzen uns in die Restaurants, wo es von Cordon Bleu bis Pizza alles gibt, was sich ein Europäer wünschen kann. Natürlich kann man auch thailändisch essen, man muss jedoch bei der Bestellung mit Nachdruck erwähnen, dass man die Speisen normal gewürzt wünscht. Einfach so, wie wenn wir Thais wären. Denn sonst erhält man an europäische Gaumen angepasste Schärfe, und das ist sehr schade. Ein Thai Essen ohne die üblichen vielen Gewürze ist ein Vergehen gegen die kulinarischen Anstandsregeln.
In der Stadt holen wir uns auf dem Zollbüro eine Bewilligung, damit wir unseren Landy bis Ende März im Land behalten dürfen. An der Grenze erhielten wir nur eine provisorische Einfuhrgenehmigung für 14 Tage, die wir irgendwo auf einem Zoll verlängern können. Das klappt problemlos.

Nun sind wir gerüstet, um weiter zu fahren und das Landesinnere zu erkunden. Die Gummibaum‑Plantagen sind unsere beliebtesten Übernachtungsplätze. Man steht geschützt zwischen den Baumreihen und lässt sich durch das sanfte Rascheln der Blätter in den Schlaf wiegen. Der einzige Nachteil besteht darin, dass die Bäume morgens sehr früh, noch bei Dunkelheit, angezapft werden. So werden wir manchmal durch das Plaudern der Arbeiter geweckt. Aber kaum sind sie ein paar Bäume weiter, ist es wieder absolut ruhig im Wald.
Auf den Strassen gibt es einige Unterschiede zu Malaysia. Der Offensichtlichste davon ist die Motorisierung. Die Fahrzeuge, und zwar alle vom Mofa bis zum Lastwagen, haben genügend Motorleistung. Entsprechend ist der Verkehr viel schneller als im Nachbarland. Dann gibt es zum Beispiel die Sonderregelung bei der Kreuzung: Zum rechts abbiegen wird rechts geblinkt, zum links abbiegen links, und um die Kreuzung gerade zu überqueren, wird der rechte und linke, sprich der Warnblinker betätigt. Wir überlegen uns nicht gross, wie sinnvoll eine solche Signalisierung ist, sondern passen uns einfach den hier gängigen Gepflogenheiten an.

Kanchanaburi, im Westen des Landes ist eine gemütliche Stadt, die wegen ihrer Brücke berühmt ist. Hier führt die Eisenbahnbrücke über den River Kwai. Nachdem wir uns erkundigt haben, wann ein Zug darüber fährt, stehen wir früh auf, um das Bauwerk zu besichtigen. Zwischen den Gleisen liegen Bretter, auf denen der Zweiradverkehr den Fluss überquert. Als dann der Zug angefahren kommt, bremst er vor der Brücke ab, hupt und wartet, bis die Strecke frei ist. Nachdem Albi seine Eisenbahnbilder geschossen hat, gehen wir frühstücken.
Ausser an Touristenorten findet man in Thailand kein Frühstück im westlichen Sinn. Für die Thais ist das Frühstück einfach ein normales Essen, mit Reis, Suppe, Gemüse, Fisch etc. Wenn man verständlich machen kann, dass man gerne ein Ei möchte, erscheint das Omelette auf einem riesigen Berg weissen Reis. Uns ist das nur recht, wir essen gerne dreimal am Tag den wunderbaren Reis und die feinen Beilagen. Manchmal ist die Auswahl schwierig, wenn wir in einem Restaurant sitzen, die in Thai geschriebene Speisekarte in den Händen halten, und weit und breit niemand ist, der ein Wort Englisch spricht oder versteht. Da lassen wir uns jeweils einfach irgend etwas servieren, oder wir begnügen uns mit einem Fried Rice.

Unser nächstes Ziel ist Sukhothai. Hier befindet sich Old Sukhothai, die alte Hauptstadt des siamesischen Reiches. Wir quartieren uns in einem Guesthouse ein, dass heisst, wir stellen den Landy in den schönen Garten, wo wir im Dachzelt schlafen und benützen wie die anderen Gäste die Infrastruktur des Hauses. Von der ersten Minute an fühlen wir uns hier pudelwohl. Die Familie ist sehr freundlich, und speziell die geistig etwas behinderte erwachsene Tochter kümmert sich mit viel Enthusiasmus um uns. Wir verbringen wunderbare Tage an diesem idyllischen Ort. Zwischen den ausgezeichneten Mahlzeiten besichtigen wir die historischen Gebäude und Statuen von Old Sukhothai. Gerne würden wir noch länger hier bleiben und uns verwöhnen lassen, aber wir wollen noch mehr vom Land sehen.
Deshalb brechen wir nach Chiang Mai auf, der wichtigen Stadt im Norden. Hier sehen wir plötzlich wieder Touristen. Viele Leute gehen hier im sogenannten Goldenen Dreieck trekken oder mieten Motorräder und erkunden so die abgelegenen Gebiete mit den verschiedenen Eingeborenenstämmen. In der Stadt hat es viele zwielichtige Gestalten europäischer Herkunft. Man merkt, dass in der Gegend Opium angebaut wird. Nach einem Tag haben wir genug ausgemergelte Bleichgesichter gesehen, und wir fahren weiter. Auf einsamen Strassen erreichen wir die Grenzstadt Mae Salong. Wir befinden uns hier auf 1175 Meter über Meer. Entsprechend kalt ist es in der Nacht. Wir sind solche Temperaturen nicht mehr gewohnt und liegen warm angezogen in unseren Schlafsäcken.

Die zweite wichtige Stadt im Norden, Chiang Rai, haben wir schnell besichtigt. Weil heute Sonntag ist, läuft gar nichts, also sind wir hier nur auf Durchfahrt. Unser nächstes Ziel ist Nan. Wir nehmen aber nicht die Hauptstrasse, schliesslich wollen wir die meist unberührte Natur durchfahren. Zuerst fahren wir, ohne es zu wissen, durch einen Nationalpark. Erst als wir den Park verlassen, wird es uns bewusst, weil wir durch ein Tor fahren. Hier steht ein Parkwächter, der uns freundlich zuwinkt. Weiter geht’s auf einer Piste, die vor etwas 20 Jahren einmal geteert worden war, aber mittlerweile von der Natur wieder zurückerobert wurde. Nach ein paar Kilometer holt uns ein Motorrad ein. Es ist der Parkwächter von vorher mit einem Beifahrer. Dieser möchte offensichtlich mitgenommen werden. Da wir uns sprachlich nicht verständigen können, funktioniert es mit Händen und Füssen. Weil die Gegend so einsam ist, und wir uns nicht erinnern können, wann wir das letzte Fahrzeug gesehen haben, nehmen wir ihn mit. Schon bald sind wir froh um ihn. Denn die Strasse wird immer schlechter und wir sehen weder Häuser noch Leute. Aber unser Passagier macht uns klar, dass wir irgendwo hin kommen werden. Und nach weiteren Kilometern erreichen wir im Tal ein Dorf. Super, ab jetzt wird die Strasse sicher wieder besser. Wir verabschieden uns von unserem Mitfahrer, der hier aussteigen will. Dann sehen wir uns im Ort etwas um. Was uns sofort auffällt, sind die fehlenden Fahrzeuge. Es hat im ganzen Dorf kein einziges Auto oder Motorrad. Man sieht auf den Wegen auch gar keine Reifenspuren. Die wenigen Bewohner, die wir zu Gesicht bekommen, sind wie überall in Thailand sehr zurückhaltend. Aber die Kinder, die schauen uns an, als hätten sie noch nie westliche Leute gesehen. Wenn wir uns nach ihnen umdrehen, verschwinden sie sofort hinter einen Zaun oder ein Haus. Wir steigen wieder ins Auto und fahren Richtung Zivilisation.

Das erste Hindernis auf diesem Weg kommt kurz nach dem Dorf in Form einer Holzbrücke. Sie steht zwar noch, aber der eine Brückenpfeiler ist so schief, dass die Brücke entsprechend eingesackt ist. Schwere Fahrzeuge werden nicht mehr darüber fahren können. Aber für unseren Landy sollte es auf jeden Fall noch reichen, meint Albi. Ich bin mir nicht so sicher, aber ich bin eine ziemlich ängstliche Natur was Brücken angeht – von Holzbrücken ganz zu schweigen! Wohl um mich ruhig zu stellen, verbannt er mich aus dem Auto. Mit dem Fotoapparat in der Hand stehe ich und schaue zu, wie Albi den Landy über die Brücke fährt. Wohlüberlegt befinde ich mich noch auf der Dorfseite des Flusses, so dass ich im Notfall Hilfe holen könnte. Aber natürlich hält die Brücke. Ich laufe rüber und steige wieder ein.
Nun wird die Strasse derart steil, dass wir zum ersten Mal die Geländeuntersetzung brauchen. Wir haben uns getäuscht, wenn wir gedacht haben, die Strasse würde nun besser. Immer öfters fragen wir uns, wohin dieser Feldweg führt, oder besser, wann er enden wird. Wir kommen immer langsamer voran: Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 20 km/h, normal ist 5 – 8 km/h. Dabei führt der Weg immer wieder steil hinauf, um wenig später wieder ebenso steil runter zu kommen. Wir sehen auch absolut keine Anzeichen, dass hier irgendwelche Leute wohnen würden. Es hat weder Häuser noch Felder.
Und dann plötzlich, als wir unsere Hoffnung, die Piste führe irgendwohin schon fast aufgegeben haben, kommt uns in halsbrecherischem Tempo ein Fahrzeug entgegen. Nur weil wir so langsam fahren, können wir eine Frontalkollision vermeiden. Es ist ein 4×4 Pick‑up vollbeladen mit Gepäck und Leuten. Sie sprechen zwar kein Englisch, versichern uns jedoch, dass wir irgendeinmal irgendwo hin kommen. Das reicht uns, um frohgemut weiter zu fahren.
Wieder rauf und runter, bis wir zum nächsten Fluss kommen. Hier stand mal eine Brücke, und auch hier war der Brückenpfeiler in Schieflage geraten. Nun liegt der ganze Holzhaufen im Flussbett. Wir fahren etwas zurück und finden die Spur zum Fluss runter. Zum Glück ist Trockenzeit, und der Fluss führt kein Wasser. Das Tal ist mit einem Geländefahrzeug gut zu durchqueren. Bei Einbruch der Dunkelheit haben wir dann die erste Teerstrasse erreicht. Für die zurückliegenden 35 km haben wir praktisch den ganzen Tag gebraucht. Es war anstrengend aber sehr schön!

Auf dem Weg nach Bangkok kommen wir erneut in Sukhothai vorbei. Natürlich legen wir einen Halt von ein paar Tagen ein und geniessen die angenehme Atmosphäre und das gute Essen. Dann aber erwartet uns die Hauptstadt. Bereits 50 km vor dem Zentrum hat es auf der mehrspurigen Zufahrtsstrasse sehr viel Verkehr.
Das Hotel Royal hat einen eingezäunten und bewachten Parkplatz, also entschliessen wir uns, hier abzusteigen. In der Reception werden wir nach der Reservation gefragt. Albi schwindelt gekonnt vor, wie wir vor ein paar Tagen aus Sukhothai angerufen und ein Zimmer reserviert haben. Offenbar sehen wir in unserer Reisebekleidung nicht so vertrauenserweckend aus. Die Angestellte erwähnt den Zimmerpreis und fragt, wie wir bezahlen möchten. Albi nimmt das Portemonnaie hervor und lässt ihr die Wahl zwischen goldener Visa‑ oder Amexkarte. Daraufhin wird nach unserem Gepäck gefragt. Das befinde sich noch in unserem Auto, sagen wir und fragen sicherheitshalber noch nach, ob der Parkhof auch wirklich bewacht werde. Als die Angestellte dann herausfindet, dass wir mit dem eigenen Auto aus der Schweiz hierher gereist sind, steigen wir sofort enorm in ihrer Achtung. Sie kommandiert einen Portier ab, der unser Gepäck aufs Zimmer bringen soll. Wir übergeben ihm zwei grosse Rakoboxen und nehmen unser Luxuszimmer in Beschlag. Natürlich hätten wir für weniger Geld eine Travellerunterkunft kriegen können, aber dann wäre unser Landy nicht bewacht worden. Und ausserdem ist der Swimming Pool ganz angenehm bei dieser Hitze.

Überall liest und hört man vom schlimmen Verkehr in der Metropole und vom endlosen Stau. Deshalb lassen wir abends den Landy auf dem Parkplatz und setzen uns in ein Tuk‑Tuk. Das ist ein dreirädriges Motorrad, das zwei Passagiere transportieren kann. Im Gegensatz zu ihren lahmen indischen Verwandten sind die thailändischen Tuk‑Tuk nichts für schwache Nerven. Vor allem wenn der Fahrer die fast leeren Strassen voll ausnützt, um die ausländischen Touristen einzuschüchtern. Die Dinger sind höllisch schnell! Nach dem Abendessen beschliessen wir deshalb, für die Rückfahrt ein Taxi zu nehmen. Hätten wir lieber sein lassen! Der Taxifahrer sieht aus wie vierzehnjährig, und seine Augen befinden sich etwa auf Lenkradhöhe. Natürlich will auch er uns zeigen, wie furchtlos er ist. Dazu fährt er in rasendem Tempo durch die mittlerweile ausgestorbenen Strassen Bangkoks. Dabei schaut er mehr in den Rückspiegel als voraus – vielleicht weil er eh nicht über die Motorhaube hinweg sieht! Sogar Albi, den eigentlich im Strassenverkehr nicht so schnell etwas erschüttern kann, steigt mit ziemlich weichen Knien beim Hotel aus dem Taxi. Daraufhin beschliessen wir, in Zukunft mit unserem Auto zu fahren, vor allem da der Verkehr absolut problemlos ist. Später haben wir dann erfahren, dass jetzt Schulferien sind, und die Hauptstadt deshalb praktisch ausgestorben ist.

Am nächsten Tag, auf der Rückfahrt vom Post Office, fassen wir unsere erste und hoffentlich auch letzte Busse. Albi hat beim Spurwechsel eine Sicherheitslinie überfahren. Da hilft es auch nicht, dass wir doch nur unwissende Ausländer sind. Die ca. 20 Franken Busse müssen wir bezahlen, aber im Gegensatz zu einem Drittweltland läuft es hier korrekt mit Bussenzettel und Quittung.
Zurück im Hotel stellen wir den TV an, weil wir wissen wollen, was am Golf läuft. Aber jeder Sender strahlt dasselbe Programm aus: Ein uniformierter Thai verliest irgend eine Meldung, die wir natürlich überhaupt nicht verstehen. Stundenlang wird die gleiche Szene gezeigt. Am Abend hören wir über den Kurzwellenempfänger nicht die erwartetem Neuigkeiten aus dem Golf sondern: „Bangkok. In Thailand hat heute das Militär nach einem unblutigen Putsch die Macht übernommen. Nach zweijähriger Demokratie…“ Alles klar! Jetzt wissen wir, dass der Uniformierte im TV wohl der neue Militärmachthaber ist. Bei dem Putsch sollen sogar Panzer aufgefahren worden sein. Nicht dass wir von all dem etwas gemerkt haben, obschon wir nicht weit vom Regierungsgebäude entfernt logieren.

Wir besichtigen die wichtigsten der unzähligen Tempel, so zum Beispiel den Tempel mit dem goldenen Buddha. Diese über fünf Tonnen schwere Buddhastatue wurde erst vor ein paar Jahrzehnten wiederentdeckt. In der Zeit als die Khmer das Siamesische Reich überfielen, wurde dem goldenen Buddha ein Gipsmantel verpasst. So wurde verhindert, dass die massive Statue gestohlen wurde. Nach dem Ende der Feindseligkeiten schienen offenbar alle vergessen zu haben, dass unter dem unscheinbaren Gipsmantel ein kostbares Heiligtum versteckt war. Erst als der Tempel renoviert wurde, und dazu der Buddha vorübergehend umziehen musste, kam das Gold zum Vorschein. Beim Versuch, die schwere Statue mit dem Kran zu heben zerbrach die Gipsumhüllung. Es ist schon überwältigend, vor so einem riesigen „Goldberg“ zu stehen. Auch die vielen anderen Tempel beeindrucken uns ausserordentlich. Nach ein paar Wochen in Thailand meint man, keinen weiteren Tempel mehr sehen zu können, aber irgendwie ist doch einer schöner als der andere.

Frühmorgens statten wir dem Floating Market für Touristen (der echte ist ein paar Autostunden von Bangkok entfernt) einen Besuch ab. Dazu setzen wir uns in ein Boot der Marke „Luxus Stabmixer Nissan Diesel 6 Zylinder“. Überall auf dem Chao Praya Fluss fahren diese Boote mit den riesigen Lastwagenmotoren. An der verlängerten Kurbelwelle ist eine Schraube befestigt, und so motorisiert rasen die Gefährte in mindestens ebenso halsbrecherischem Tempo wie die Taxis umher. Nur eben auf dem Fluss. Hier gibt es im Gegensatz zur Strasse keine Rotlichter zu beachten, um man kommt viel schneller voran. Auch die meisten Waren werden vom Meer her mit Lastschiffen in die Hauptstadt transportiert. Das ganze Treiben ist sehr interessant. So sind wir nicht traurig, dass es auf dem Floating Market nichts ausser andere Touristen zu sehen gibt.

In Bangkok hat es wie in Singapore viele kleine Garküchen, nur sind es hier noch wirkliche Strassenküchen. Neben der mobilen Küche hat es ein, zwei kleine Tische und ein paar Stühle, wo man schnell eine kleine Malzeit isst. Fastfood eben! Alles wird frisch zubereitet, und es schmeckt lecker. Leider sind die Tage immer zu kurz, was das Essen betrifft! Neben den freundlichen Leuten ist das Essen wirklich der Höhepunkt in Thailand. Mittlerweile haben sich unsere Gaumen und Mägen vollständig an die heimische Schärfe gewöhnt, so dass wir auch mit den bösartigsten getrockneten Chiliflakes fertig werden.

Nachdem wir uns noch mit Levis 501‑Kopien eingedeckt haben, räumen wir nach einer Woche unser Hotelzimmer und fahren weiter. Diesmal wieder südwärts und nochmals nach Phuket. Wir haben noch einen Gutschein für zwei Tauchgänge, die wir einlösen wollen.
Unterwegs dorthin fahren wir durch ein Dorf, das vor zwei Wochen in die Schlagzeilen geriet. In einer engen Kurve kippte ein Lastwagen um und verlor seine gefährliche Ladung (Dynamit und Zündhütchen). Die neugierigen Dorfbewohner kamen alle herbeigelaufen, um zu sehen, was los war. Dabei schnappte jeder die glänzenden Zündhütchen. Der Polizist aus dem Geleitfahrzeug erklärte den Leuten, wie gefährlich das sei und wies sie an, die Dinger wieder zurückzulegen. Das geschah auch. In hohem Bogen flogen die Zündhütchen auf den Haufen Dynamit, und es gab einen gewaltigen Knall. Etwa 200 Tote und ein Dorf, das stellenweise dem Erdboden gleich gemacht wurde. Bei unserer Durchfahrt sehen wir, wie in der Mitte des Dorfes alles flach ist, das einzig Erkennbare ist ein verbogenes und verkohltes Lastwagenchassis.

In Phuket buchen wir eine Tauchfahrt. Leider fühlen wir uns an diesem Tag nicht so wohl. Wir haben gestern die Malariaprophylaxe ziemlich spät eingenommen. Während Albi mit den anderen ins Wasser hinabsteigt, bleibe ich auf dem Boot und hoffe, dass sich mein Magen bis zum zweiten Tauchgang am Nachmittag etwas beruhigt. Aber das Schaukeln des Schiffes hilft dabei nicht – im Gegenteil.

Ohne grosse Hoffnungen gehen wir noch einmal aufs GPO. Vielleicht sind die erwarteten Briefe ja doch noch eingetroffen. Und wirklich: Zwei Briefe von Grafs und einen von Heidi, Albis Tante. Sie und ihr Freund Hugo seien vom 19. Februar an für drei Wochen in Phuket. Heute haben wir den 5. März, also sollten sie noch hier sein. Nichts wie los ins Holiday Inn! Am Swimming Pool schleichen wir uns an die beiden heran und überraschen sie mit unserem Besuch. Die folgenden zwei Tage verbringen wir mit ihnen.

Danach zieht es uns wieder weiter. Über Surat Thani kommen wir nach Don Sak. Hier verkehrt eine Autofähre nach Ko Samui. Diese Ferieninsel ist touristisch noch nicht so erschlossen wie Phuket. Es hat recht viele Rucksacktouristen. Leider ist es uns an der schönen Lamai Beach viel zu laut. Nachts dröhnt bis vier Uhr Discomusik aus allen Lautsprechern und tagsüber wird wie wild gebaut. Wir verziehen uns schnell in den ruhigen und abgelegenen Norden der Insel.
Am Mae Nam Strand finden wir ein idyllisches Plätzchen. Die paar Bungalows werden offenbar hauptsächlich an thailändische Touristen vermietet, so dass wir im Moment die Anlage fast für uns alleine haben. Die Bungalows befinden sich im schattigen Wald, das Restaurant ist einfach und doch liebevoll eingerichtet und der Strand erhält von uns die Höchstnote. Von Kokospalmen gesäumt und leicht ins Meer abfallend ist er einfach traumhaft. Das türkisfarbene Wasser plätschert nur ganz sanft und ist glasklar, angenehme 28° C warm, und im Gegensatz zu manchen Stränden im Süden hat es hier keine Quallen. Ab und zu fahren wir mit dem Landy etwas auf der Insel umher oder gehen abends in ein Touristenzentrum essen. Aber sonst geniessen wir die Ruhe in unserem kleinen Paradies.

Bereits nach einer Woche haben wir das Strandleben satt. Wir wollen Neues entdecken. Per Fähre erreichen wir das Festland und fahren südwärts. Unterwegs höre ich immer wieder ein Geräusch. Jeder Landroverfahrer lernt sein Auto in‑ und auswendig kennen, und entsprechend sind die Ohren stets gespitzt, um irgendwelche Unregelmässigkeiten heraus zu hören. Dieses knackende Geräusch kommt von der Beifahrerseite und ist eindeutig geschwindigkeitsabhängig. Es verändert sich weder mit der Motordrehzahl noch bei Gangwechsel. Der erste Gedanke ist ein Stein im Reifen. So einfach ist die Diagnose jedoch nicht. Erst beim x‑ten Halt werde ich endlich fündig. Die vordere Felge ist gesprungen. Wenn wir da an die kurvigen und steilen Küstensträsschen von Ko Samui denken, wird es uns nachträglich etwas mulmig. Bei Landrover ist man sich einiges gewohnt, aber ein Riss in den Felgen? Wir montieren das Reserverad und warten mit der Suche nach einer neuen Felge bis Malaysia, wo es viele Landrover gibt.

In Phattalung lassen wir einen Ölwechsel machen und das Dachzelt flicken. Beim Kurbelmechanismus muss etwas geschweisst werden. Viele flinke Hände nehmen sich dieser Arbeiten an, so dass es schnell erledigt ist.

Nach zwei Monaten Thailand fällt es uns schwer, dieses wunderbare Land zu verlassen. Wir haben jeden einzelnen Tag genossen und wissen, hier sind wir nicht zum letzten Mal gewesen! Nun wollen wir nach Indonesien reisen. Dazu fahren wir nach Penang. Die malaysische Insel begrüsst uns mit einem unglaublich hektischen Treiben. Mitten drin, im Chinatown, quartieren wir uns in einem von der Strasse etwas zurückversetzten alten Herrschaftshaus ein. Die chinesischen Besitzer haben das langsam baufällige Haus zu einer Travellerunterkunft umgerüstet. In unserem kleinen Kämmerchen ohne Fenster können wir mit geschlossener Tür nicht schlafen, dazu ist es viel zu heiss. Natürlich hat es keine Moskitonetze, so dass uns die Mücken fast auffressen. Die abbrennbaren Moskitospiralen nützen gar nichts, im Gegenteil, die blutgierigen Viecher scheinen davon nur noch mehr angezogen zu werden. Nachdem wir den Kampf aufgeben müssen, gehen wir zu unserem Auto und steigen ins Dachzelt. Aber auch hier ist es viel zu heiss. Morgen früh müssen wir als erstes eine klimatisierte Unterkunft organisieren.

Im YMCA, dem Verein junger christlicher Männer, die vielerorts günstige Hotels unterhalten, erhalten wir ein Zimmer. Es macht sich ausbezahlt, dass wir verheiratet sind, denn unverheiratete Paare werden nicht aufgenommen. Nachdem wir uns im kühlen Zimmer ein wenig erholt haben, erkundigen wir uns nach der Fähre, die uns nach Sumatra bringen soll. Als Erstes hören wir, dass die Autofähre mal wieder abgebrannt ist, und deshalb nur Personenfähren über das Meer fahren. Auf dem indonesischen Konsulat erfahren wir dann, dass wir uns keine Gedanken machen müssen, wie wir unseren Landy nach Sumatra bringen können, denn seit Beginn dieses Jahres ist es nicht mehr erlaubt, ausländische Fahrzeuge nach Indonesien einzuführen. Keine Ausnahmen, auch nicht mit dem Carnet de Passages oder der Hinterlegung der Zollgebühren. Diese schlechte Botschaft lässt uns ein paar Stunden Trübsal blasen. Danach stellen wir fest, dass es wenigsten einen Vorteil hat. Da wir nun zum Verschiffen nach Singapore fahren müssen, können wir Cherating, dem kleinen Fischerdorf an der Ostküste einen weiteren Besuch abstatten.

Gesagt getan – zwei Tage später befinden wir uns in Cherating. Unterwegs haben wir noch eine Landroverfelge gekauft, und in Marang haben wir Regula und Susanne getroffen. Albi und Regula haben sich vor ein paar Jahren auf Bali kennen gelernt, und nun treffen wir uns in Malaysia. Sie wollen in ein paar Tagen ebenfalls nach Cherating kommen. Von Maznah und ihrem Ehemann werden wir herzlich willkommen geheissen. Wir fühlen uns hier richtig zu Hause.

Wir machen Kassensturz und rechnen aus, wie weit unser Geld noch reichen wird. Da wir auf dem Landweg nach Hause fahren wollen, muss nach Australien noch genügend übrig bleiben, um nach Indien zu verschiffen und von dort zurück zu fahren. Wir rechnen aus, dass es eigentlich reichen sollte und beschliessen, von Singapore aus den Landy nach Australien zu verschiffen. Wir räumen alles Essbare aus dem Auto raus, da wir gehört haben, dass man in Australien nicht einmal Konservendosen einführen darf. Da wir gerade dabei sind, machen wir noch einen grossen Putz und räumen die Kisten auf. Den Rest der Zeit verbringen wir faulenzend.

An der Grenze zu Singapore gibt’s plötzlich Probleme. Der Zöllner redet von einer Lizenz für unser Auto, damit wir auch in der Stadt rumfahren dürfen. Wir haben noch nie so etwas gehört und sind uns nicht sicher, ob das etwa ein 1. April‑Scherz sein soll. Wir erklären ihm, dass wir unser Auto nicht einführen wollen, sondern nur nach Singapore bringen, um zu Verschiffen. Daraufhin lässt er uns rein, und wir wissen immer noch nicht, was das Ganze soll. Wir fahren zur Poenie Mansion, stellen den Landy im Hof ab und machen uns an die Arbeit.
Zuerst holen wir auf der australischen Botschaft die Visaantragsformulare und füllen sie aus. Als wir am Nachmittag wieder erscheinen, um die Visa abzuholen, schickt uns die Angestellte weg. Sie wolle wissen, wie wir den Aufenthalt finanzieren wollen. Unsere gesamthaft vier Kreditkarten reichen ihr dazu nicht aus, Geld wolle sie sehen. Also holen wir alle unsere Traveller Checks hervor und voilà: die vielleicht 3000 Dollar sind ausreichend, um zu garantieren, dass wir in Australien nicht sozialhilfeabhängig werden.

Der nächste Schritt ist die Verschiffung. Die Maersk Line veranschlagt die Kosten für einen Container auf etwa 1300 US$. Während wir dann im klimatisierten Einkaufszentrum sitzen und überlegen, was wir bei unserer Planung alles vergessen haben, merken wir, dass wir effektiv eine wichtige Kleinigkeit übersehen haben – die Flüge. Von Singapore müssen wir nach Australien und von dort nach Indien fliegen. Vor lauter Containergebühren für den Landy haben wir vergessen, dass auch wir transportiert werden müssen. Da die Preise für Flugtickets von und nach Australien recht happig sind, können wir die Sache begraben. Entweder wir bereisen nur Australien, oder wir lassen Down Under wo es ist, verschiffen direkt nach Indien und fahren gemütlich Richtung Europa. Die Entscheidung fällt uns nicht schwer: Noch am gleichen Tag füllen wir auf der indischen Botschaft den Visumsantrag aus! Dann organisieren wir einen Container nach Madras.

Ein paar Tage später, am 18. April 1991, besteigen wir das Flugzeug, das uns auf den indischen Subkontinent bringen wird. In Madras angekommen, kämpfen wir uns durch das Chaos am Flughafen. Zuerst warten wir auf unser Gepäck, dann bringen wir die Immigration und den Zoll hinter uns. Vor dem Flughafengebäude werden wir von sehr vielen Leuten bestürmt. Viele wollen uns ein Taxi in die Stadt besorgen und fast alle sind am Geldwechseln interessiert. Indische Rupees haben wir während der Wartezeit aufs Gepäck gewechselt, und den Taxistand finden wir auch ohne Hilfe.
Wir setzen uns in einen schwarz‑gelben Fiat, Modell Vorkriegsjahr oder älter. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt etwa 40 km/h, aber bei diesem Verkehr erscheint es uns als viel zu schnell. Die Strasse dient je nach Bedarf und Platz als Fussgängerpromenade, als Weideplatz für spindeldürre Kühe oder auch als Strasse für Unmengen von Velos und dreirädrigen Bajaj’s. Da können sich die Autos nur mit ständigem Hupen hindurchquetschen. Für Albi, der bereits Indienerfahrung hat, ist das alles nichts Ungewöhnliches, aber für mich ist es überwältigend. Ein paar Stunden zuvor waren wir noch im sauberen und ordentlichen Singapore, und nun befinden wir uns im… . Mir fehlen die Worte, um dieses Treiben zu beschreiben.
Da es bereits dunkel ist, sind wir froh, dass das YWCA (Young Women) eine Ausnahme macht, und uns eine Nacht beherbergt. Es wäre zu spät, jetzt noch auf Hotelsuche zu gehen. Albi geht schnell etwas essen, aber ich bleibe im Zimmer, denn offensichtlich habe ich ein paar fiese Biester aus Singapore mitgeschleppt. Mein Magen‑Darm‑Trakt ist in Aufruhr.

Wir ziehen ins Hotel Imperial um. Während ich die Vorzüge einer angenehmen Toilette schätzen lerne, macht Albi einen ersten Besuch auf dem Frachtbüro. Natürlich kann er heute noch nicht viel erreichen, aber immerhin lernt er den für unseren Container zuständigen Agenten kennen. Weil ich noch nicht imstande bin, in einem Restaurant essen zu gehen, lassen wir uns das Abendessen aufs Zimmer bringen. Heute ist unser erster Hochzeitstag, da ist ein Festschmaus angesagt. Albi stürzt sich auf die feinen Currys, während ich mich mit etwas weissem Reis begnüge.

Die nächsten beiden Tage sind Wochenende, da arbeitet unser Agent natürlich nicht. Mein Magen beruhigt sich zusehends, so dass wir am Sonntag endlich mal auswärts essen gehen können. Die vegetarischen Thalis sind super. Man kriegt einen Riesen Haufen Reis in die Mitte des Tellers (oder des Bananenblattes). Dann folgen die verschiedenen Gemüse, die um den Reis verteilt werden. In einem Schälchen gibt’s noch die Raita, Joghurt aus Büffelmilch. Die ist sehr angenehm, um das Feuer im Mund zu stillen. Albi hatte mich gewarnt: Das südindische Essen sei so scharf, dass man es kaum essen könne. Davon merke ich nicht viel, obschon mein Magen in den letzten Tagen geruht hat. Die thailändischen Speisen scheinen unsere Gaumen an jegliche Schärfe gewöhnt zu haben. Gut, denn so können wir zulangen, von Hand natürlich. Denn gegessen wird hier mit den Fingern der rechten Hand – die linke wird anderweitig gebraucht, so nach dem Motto: Die Rechte befördert das Essen hinein, die Linke wischt mit Wasser die austretenden Reste weg.

Am Montag bin ich wieder fit. Wir machen uns auf zu unserem Agenten. Auf dem Schifffahrtsbüro erleben wir die indische Bürokratie. Eigentlich darf man ihnen deswegen nicht böse sein, denn es waren die Engländer, die die Bürokratie hier eingeführt hatten. Die Inder haben sie nur noch verbessert! Wir werden von Büro zu Büro geleitet und sehen überall riesige Aktenberge, haben jedoch keine Ahnung, wofür wir eigentlich herumgeführt werden. Aber wir haben Vertrauen in unseren Agenten und lassen ihn walten. Nach einem langen Arbeitstag verspricht er uns, dass wir morgen zum Container vordringen und den Landy einführen können. Mal sehen… .

Um neun Uhr befinden wir uns wie verabredet auf dem Samrat Shipping Office, eine Dreiviertelstunde später taucht auch unser Agent auf. Nach nochmaligem Studium aller Akten brechen wir zum Hafen auf. Dort weisen sie uns zurück, weil wir keine Eingangspässe haben. Auf dem Passbüro warten wir nur eine halbe Stunde, bis wir im Besitz der verlangten Dokumente sind. Zurück beim Eingang, lassen sie uns aufs Hafengelände. Schnell sichten wir unseren Container, aber zwischen uns und ihm befindet sich eine weitere Kontrollstelle. Und auch für diese benötigen wir eine Bewilligung! Nachdem wir endlich beim Container stehen, dauert es eine weitere halbe Stunde, bis wir einen Hafenarbeiter gefunden haben, der mit Hammer und Meissel die Plombe öffnen kann. Dann endlich – der grosse Augenblick: Der Landy ist noch intakt! Rausgefahren haben wir ihn schnell, aber nur ein paar Meter, denn schon ist ein Zollbeamter zur Stelle. Er nimmt uns den Pass und das Carnet de Passages ab und verschwindet zusammen mit dem Agenten. Nach etwa einer Stunde taucht unser Agent wieder auf. Weil wir das Hafengelände nicht verlassen dürfen, bringt er uns etwas zu trinken und ein paar Biskuits. Wir sind froh, denn mittlerweile ist es schon deutlich nach Mittag. Er sagt, dass es nicht lange dauern wird und verschwindet wieder, um dem Zoll Beine zu machen.

Nach geschlagenen vier Stunden ist es dann soweit. Wir sind im Besitz der abgestempelten Papiere und dürfen den Hafen verlassen. Um sieben Uhr sind wir im Hotel zurück – erschöpft aber zufrieden!

Umgeben von den neugierigen Hotelangestellten verbringen wir den nächsten Tag im Innenhof. Albi bastelt am Landy und ich räume unsere Sachen wieder ein, so dass wir dann am 25. April 1991 bereit sind, Indien zu entdecken. Es dauert ziemlich lange, bis wir aus Madras raus sind und auch die letzten Vororte hinter uns gelassen haben. Nach einem Abendessen bestehend aus Paratha mit Curry und einem Chai, diesem unvergleichlichen indischen Tee, legen wir uns schlafen. Weil es aber über 30° C warm ist, wird es nicht eine erholsame Nacht.
Auf dem Weg nach Trivandrum legen wir in Srirangam und in Madurai einen Halt ein. In beiden Orten besichtigen wir die eindrucksvollen Tempelanlagen. Als Nicht‑Hindu dürfen wir nicht bis ganz ins Innerste des Heiligtums, aber auch so gibt es genug zu bewundern. Speziell die Tore über dem Eingang sind hier in Südindien wahre Meisterwerke!

In Trivandrum interessiert uns nicht die Stadt sondern der Weg nach Kovalam. Das ist der Strand von Kerala. Hier finden wir für 30 Rupees (Fr. 2.50) ein schönes Zimmer mit eigenem Bad und Terrasse. Während einer Woche geniessen wir die tolle Atmosphäre am Strand der traumhaften Sonnenuntergänge. Der Tagesablauf sieht wie folgt aus: Zum Frühstück setzen wir uns in eines der vielen einfachen Restaurants, essen eine Papaya und ein Pancake, dazu trinken wir ein Chai. Dann laufen wir etwas am Strand entlang und gehen vielleicht Bücher tauschen. Nach dem Mittagessen legen wir uns ins kühle Zimmer und lesen. Später setzen wir uns an den Strand, wo wir von der Fruchtverkäuferin angesprochen werden. Wir helfen ihr, den schweren Korb vom Kopf zu nehmen und schauen, was sie drin hat. Wir wählen eine Kokosnuss, ein paar Bananen, eine Mango, Papaya oder eine Ananas aus. Mit einem riesigen Messer schält und zerlegt sie die jeweilige Frucht in Windeseile in appetitliche Stücke. Danach müssen wir ihr wieder helfen, den schweren Korb auf den Kopf zu heben. Wir können ihn zu zweit kaum hochheben, aber die bereits recht alte Frau läuft am Strand herum, als hätte sie nichts auf dem Kopf. Den Sonnenuntergang feiern wir auf unserer Terrasse mit einer aus Singapore importierten kühlen Dose Coca Cola. Bisher gibt es in Indien nur Pepsi, und auch das ist noch nicht bis Kovalam vorgedrungen. Die Wahl des Restaurants fürs Abendessen haben wir meistens bereits tagsüber getroffen. Mit feinem Fisch schlagen wir uns die Bäuche voll und gehen dann früh schlafen.
Eines Nachts müssen wir unsere Betten verschieben, weil an der Wand, zehn cm neben unseren Köpfen ein ganzes Ameisennest vorbei getragen wird. Immer wieder verirren sich ein paar Dutzend Träger auf unser Bett, so dass wir etwas Abstand schaffen. Die Kolonie ist auf dem Weg ins Badezimmer, aber am nächsten Morgen sehen wir von ihnen keine Spur mehr. Diese Völkerwanderungen sind ein erster Vorbote auf den kommenden Regen und damit auf die Monsunzeit.
Bevor wir unsere Reise fortsetzen, müssen wir unseren Landy von einem Ameisennest befreien. Die Tiere haben sich unter dem im Fahrzeug befestigten Zusatztank niedergelassen. Da hilft kein Besen – wir müssen sie mit der Giftflasche aus dem Nest treiben.

Mitten in Trivandrum steigt plötzlich die Kühlertemperatur ins Rote. In einem original Landrover Ersatzteil fehlte die Dichtung, deshalb verlieren wir Kühlerwasser. Mit einem Tampon und Silikon machen wir eine Notreparatur. Wenn wir es jetzt mit Flüssigmetall dichten würden, müssten wir die Sache gut austrocknen lassen. Und dazu haben wir hier keine Lust.

Weil es sehr heiss ist, fahren wir nach Ooty. Das ist ein Hill Resort auf 2300 m. Hierher haben sich die Briten bei zu grosser Hitze zurückgezogen. Kühl ist es, aber das ist auch schon alles. Deshalb fahren wir am anderen Tag wieder in die Tiefe. In den Nationalparks von Mudumalai und Bandipur fahren wir durch feuchtes Urwaldgebiet, sehen leider aber keine der hier ansässigen Elefantenherden. Die sind aus Wassermangel nordwärts gezogen.

Mysore ist eine wunderschöne Stadt. Nicht zu gross aber trotzdem voller Leben. Hauptanziehungspunkt ist natürlich der prunkvolle Maharajapalast, den wir ausgiebig besichtigen. Ehrfurchtsvoll laufen wir durch die unzähligen Gemächer mit Marmorböden, kostbaren Teppichen und vielen Bildern aus der Zeit der Kolonialherrschaft.
Mysore ist die Sandelholzstadt. Aus den Wäldern der Umgebung kommen die wohlriechenden Hölzer, die hier verarbeitet werden. Es werden Schachteln und Figuren geschnitzt, und aus dem Pulver werden Räucherstäbchen und Seife hergestellt. Mysore ist die wohlriechendste Stadt Indiens! Der Geruch hängt in jeder Gasse und lenkt die Nase von den üblichen Gestänken (Fäkalien, Abfälle, Abgase, Kochfeuer aus Kuhdung) ab.

In Sravanabelgola betätigen wir uns mal wieder sportlich. Auf einem Steinhügel haben die Jains (eine hinduistische Sekte) eine Statue aus dem Fels gemeisselt. Der ganze Hügel ist ein Heiligtum, so dass wir die Schuhe unten lassen müssen und barfuss hinauf steigen. Es ist sehr heiss und das dunkle Gestein ist von der Sonne so richtig schön aufgeheizt. Wir können nicht anders, als schnell zu gehen! Auch so verbrennen wir uns fast die Fusssohlen. Bei jedem Stück Schatten machen wir einen Halt, um unsere armen Füsse zu kühlen. Oben angekommen stehen wir vor der riesigen Statue. Sie ist 17 Meter hoch und aus einem einzigen Stück Fels gehauen. Wenn man ihm zu Füssen steht, erscheint er noch viel grösser. Es findet gerade eine Zeremonie statt. Leider wissen wir nicht, worum es geht, aber im Schatten eines Gebäudes sitzend verfolgen wir die Zeremonie und geniessen die friedliche Stimmung.

Den uralten Tempeln von Belur und Halebid statten wir ebenfalls einen Besuch ab. Aber bei den Wasserfällen von Jog, den höchsten in Indien, gibt es für uns nicht viel zu sehen. Es fliesst fast kein Wasser, von Fällen kann man da gar nicht sprechen.

In Panjim angekommen, fühlen wir uns nach Portugal versetzt. Der kleine Gliedstaat Goa war zusammen mit Diu portugiesisches Kolonialgebiet, bis sich die Inder 1961 das Gebiet aneigneten. Die prachtvollen Kirchen, die Kleidung der Menschen sowie deren Namen wie Fernandez oder De Sousa zeugen von der Vergangenheit. Wir steuern gleich die Vagator Beach an. Hier treffen sich zu Weihnachten die Überlandfahrer, aber jetzt, Mitte Mai und kurz vor Beginn der Regenzeit steht weit und breit kein Fahrzeug. So ist es uns hier zu langweilig, und wir machen uns auf die Suche nach einem Ort, wo etwas Betrieb herrscht, es aber trotzdem ruhig ist. Am Strand von Calangute werden wir fündig. Bei einem kleinen Guesthouse können wir unter Palmen den Landy hinstellen. Wir schlafen im Dachzelt und haben eine Dusche/Toilette zur Verfügung. In unmittelbarer Umgebung hat es ein paar Strandcafés und weitere Restaurants. Aber ebenso wie in Thailand sind die Touristen nicht sehr zahlreich. Der Golfkrieg scheint die Leute vom Fliegen abzuhalten. Auch wir spüren die Auswirkungen des Krieges. Jeden Morgen liegt eine feine schwarze Puderschicht auf der Windschutzscheibe des Landys. Der Westwind bringt Russ von den brennenden Ölfeldern Kuwaits bis an den indischen Kontinent.

Wir verbringen zwei Wochen in Goa. Eigentlich wollten wir nicht so lange bleiben, aber am 21. Mai 1991 wird Rajiv Gandhi während einer Wahlkampagne in Madras ermordet. In manchen Orten des Landes kommt es daraufhin zu Ausschreitungen. Wir warten ein paar Tage im friedlichen Goa ab und lassen das Land wieder zur Ruhe kommen.

Als wir den ersten Tag wieder unterwegs sind, verfolgen uns dunkle Wolken. In der Nacht entladen sie sich dann als Gewitter. Wir stehen auf einer Ebene ohne irgendwelchen Schutz. Um uns herum blitzt und donnert es unaufhörlich. Weil uns das Dachzelt bei einem eventuellen Blitzschlag nicht schützt, setzen wir uns ins Auto. Nach einer Weile hat sich das Gewitter etwas verzogen, und wir legen uns hundemüde schlafen. Aber nach ein, zwei Stunden werden wir erneut geweckt. Das Gewitter befindet sich wieder in unmittelbarer Nähe. Also klettern wir runter und warten ein Stündchen auf den Sitzen, die sich leider nicht nach hinten klappen lassen. (Es ist schliesslich ein Landrover!) So vergeht die Nacht. Dreimal müssen wir insgesamt unser weiches Bett verlassen.

Am Morgen sind wir zwar nicht ausgeschlafen, dafür ist es ein wenig kühler geworden. Aber bereits nach ein paar Stunden Fahrt gegen Norden ist es erneut sehr heiss. Wir stellen fest, dass die Zeit vor dem Monsun nicht die angenehmste Reisezeit ist.

Als wir uns Bombay nähern, wird der Verkehr schlagartig dichter, und die Luft ist voller Abgase. Hier würde ein ordentlicher Regenguss auch gut tun! 50 km vor dem Zentrum müssen wir am Strassenrand anhalten und eine Notreparatur durchführen. Jedes Mal beim Steuern klemmt die vordere linke Bremse. Wir nehmen das Rad weg, und schon passiert etwas typisch Indisches: Innert Sekunden befindet sich eine ganze Traube Leute ums Auto. Jeder möchte uns helfen, sei’s mit tatkräftiger Hilfe, mit Werkzeug oder auch nur mit guten Ratschlägen. Wenn man bei grösster Hitze und stinkendem und lärmendem Verkehr nur knapp neben der Haupteinfallstrasse nach Bombay steht, kann man eigentlich auf die gut gemeinten Fragen verzichten. Aber die Inder sind so nette und hilfsbereite Menschen, dass wir uns die Zeit nehmen, mit ihnen über das Woher und Wohin, Name, Monsun, Verkehr und festklemmende Bremsen zu sprechen.
Nachdem Albi die Bremsen etwas gelockert hat, fahren wir in die Riesenstadt. Die Hauptstrasse ins Zentrum ist eine grosse Baustelle. Wir müssen höllisch aufpassen, dass wir im schnell schwindenden Licht der Dämmerung nicht in tiefen Gräben landen. Absperrungen gibt es natürlich keine, es kann ja jeder selber schauen, wo die Strasse durchführt. Erschöpft, durchnässt und mit russverdreckten Köpfen lassen wir uns in einem alten Hotel an der Strandpromenade nieder. Auf dem eingezäunten Grundstück kann Albi am nächsten Tag das Rad zerlegen und den Schaden beheben.

Weil uns die Hitze beinahe lahmlegt, lassen wir Bombay den Einheimischen und setzen unsere Reise nordwärts fort. Uns locken die kühlen Bergen des Himalayas. Aber auf dem Weg dorthin müssen wir noch heftig schwitzen. In den nächsten Tagen klettert das Thermometer regelmässig auf 50° C hoch, und nachts kühlt es dann auf etwa 44° ab! Dazu kommt ein heisser Wind, der Staub aus der Wüste bringt. Wie sehr würden wir uns eine Klimaanlage wünschen! Nachts liegen wir im 110 cm breiten Dachzelt und versuchen, uns nicht zu bewegen, denn nähern wir uns bis auf ein paar cm aneinander, brechen wir sofort in Schweiss aus. Aus lauter Erschöpfung schlafen wir etwas. Wenn’s geht, quartieren wir uns in ein Hotel mit Klimaanlage ein. Nur gibt es unterwegs nicht viele Ortschaften mit einer solchen Infrastruktur. Ab und zu erwischen wir ein Hotel mit Air‑Cooler. Das ist keine richtige Klimaanlage, sondern ein lärmender Kasten, wo mittels eines Ventilators durch Wasser gekühlte Luft ins Zimmer dringt. Bei dem Krach kann man sich fast nicht verständigen, geschweige denn schlafen. Aber sobald man das Ding ausschaltet, wird es sofort wieder drückend heiss. Also doch lieber mit Ohropax in den Ohren einigermassen kühl (ca. 35° C) schlafen.

Die National Highway zwischen Bombay und Agra ist gut ausgebaut, und entsprechend hat es viel und schnellen Verkehr. Wenn man mit 60, 70 km/h fährt, kommt es einem so vor, als wäre man auf einer europäischen Schnellstrasse. Natürlich hat es auch auf dieser wichtigen Verbindung alle nur erdenklichen Verkehrsmittel, vom Pilger, der mit Mundschutz versehen den Teer vor seinen Füssen mit einem Besen wischt, damit er ja keine Ameise zu Tode tritt, über Ochsengespanne, Velofahrer, Motorräder, Dreiräder, Autos, Lastwagen und natürlich Busse, das Schnellste, was sich auf der Strasse fortbewegt. Ab und zu war dann auch einer zu schnell unterwegs, und er landet neben der Strasse. Wir sehen sehr viele Unfälle, ein paar mit Bussen, aber das meiste sind Lastwagen. Manchmal versagen die Bremsen oder die Lenkung oder es geht plötzlich eine Achse verloren. Häufig sind es jedoch Frontalkollisionen. Weil die Tatas und Ashok Leylands immer massiv überladen sind, fahren sie grundsätzlich in der Mitte der Strasse. Wegen den starken Regenfällen sind die Strassen gewölbt, so dass das Wasser schnell von der Strasse abfliessen kann. Was aber den Nachteil hat, dass die Fahrzeuge in dauerndem Neigezustand fahren müssen. Bei den hoch geladenen Lastwagen besteht dann erhöhte Kippgefahr, also fahren sie am liebsten in der Mitte. Die entgegenkommenden kleineren Fahrzeuge müssen selber sehen, wie sie daran vorbeikommen. Bei zwei Lastwagen geht es darum, wer mehr Mut hat. Der Mutige geht davon aus, dass der andere mehr Platz macht, so dass man nur ein wenig zur Seite rücken muss. Normalerweise funktioniert diese Vorgehensweise ja auch, aber manchmal gibt es zwei Fahrer, die beide gleich mutig sind, oder einer, der verzweifelt ist, weil sein Fahrzeug so hoch und massiv überladen ist, dass er wirklich nicht ausweichen kann. Dann knallt es! Überlebende gibt es bei solchen Unfällen meist keine, und speziell bei den Frontlenkern empfiehlt es sich, beim Vorüberfahren nicht in die zerquetschte Führerkabine zu schauen. Die Fahrzeugwracks werden jeweils ziemlich schnell weggeräumt. Im Gegensatz zu den überfahrenen Kühen. Die werden an Ort und Stelle kremiert. Dazu wird der Kadaver mit einer Ladung Stroh zugedeckt und angezündet. Der Verkehr muss dann schauen, wie er das Hindernis umfahren kann.

Eines Nachmittags, wir sind gerade am Rand eines Dorfes, macht Albi eine Vollbremsung, stürzt aus dem Auto und schafft es gerade noch, die Hosen runter zu lassen, bevor es zu spät ist. Übergeben muss er sich auch noch. Die paar umherstehenden Kinder scheinen an solche Darbietungen gewöhnt zu sein, und Albi ist es zu elend, sich darum zu kümmern, ob ihm jemand zuschaut. Nur mit Mühe schleppt er sich wieder ins Auto, nun aber auf den Beifahrersitz, denn er ist viel zu schwach um zu fahren. Ich fahre ein paar Kilometer weiter auf einen Weg, der bei einem eingefallenen Gebäude endet. Hier setzen wir uns in den spärlichen Schatten und ruhen uns aus. Mein schlaues Medizinbuch sagt mir, dass Albi eine Hitzeerschöpfung hat. Mit viel Wasser, trinkend und auf der heissen Haut verdunstend, fühlt er sich schon bald wieder besser. Wir wissen jetzt, weshalb die indischen Chauffeure hauptsächlich nachts fahren und bei Tag ruhen. Es ist einfach zu heiss zum Fahren! Wir bleiben hier, bis es ein paar Grad kühler ist und fahren dann bei Dunkelheit in die nächste Stadt. Wegen einer Panne kurz vor dem Ziel (diesmal eine verstellte Zündung) erreichen wir das Hotel erst um 2300 Uhr. Zum Glück ist noch jemand dort, der uns ein Zimmer geben kann, zwar nur mit Air‑Cooler, aber was soll’s, wir sind froh um alles! Die Küche ist zwar schon lange geschlossen, aber ein Fried Rice können sie uns trotzdem noch kochen. Wieder einmal sind wir äusserst dankbar, dass die Leute hier so ausserordentlich hilfsbereit sind. Nach dem guten Essen, stopfen wir die Ohropax in die Ohren und schlafen wunderbar.

Gut erholt sind wir bereit, die restlichen 100 km bis Agra zu fahren. Vom kühlen Hotelzimmer aus machen wir Sightseeing. Am frühen Morgen statten wir Fatehpur Sikri einen Besuch ab und am späten Nachmittag ist der Taj Mahal an der Reihe. Dieses Grabmal ist wirklich einmalig schön, obwohl man es bis zur Genüge immer wieder auf Prospekten, in Bücher oder auf Postkarten gesehen hat. Der weisse Marmor wirkt inmitten des Staubes und Drecks einer Grossstadt noch viel mehr.

Den nächsten Halt legen wir in New Delhi ein. Hier haben wir ein paar Dinge zu erledigen. Dazu quartieren wir uns im angenehmen YWCA ein. Jeden Abend werden wir hier mit einem köstlichen Essen verwöhnt. Auch wenn wir die indischen Curries sehr gerne haben, ist es doch toll, einen Braten mit Kartoffelstock und anschliessendem Caramelpudding zu verzehren. Oder einen Wasserbüffelragout.
Auf der Schweizer Botschaft ist Post für uns da: Die neuen Kreditkarten, die Tauchausweise und ein neues Werkstatthandbuch, weil sich das alte in Algerien mit Ruedi aus dem Staub gemacht hat. Wir hatten diese Sachen auf die Botschaft in Jakarta schicken lassen. Weil es uns aber nicht möglich war, mit dem Auto nach Indonesien einzureisen, haben wir dem Botschaftspersonal einen Brief geschrieben und sie gebeten, das Paket nach New Delhi weiter zu senden. Jetzt sitzen wir hier im Botschaftsgebäude und können es kaum glauben, dass es geklappt hat. Wir sind überglücklich und bedanken uns herzlich. Immer wieder stellen wir fest, dass das Personal der Schweizer Botschaften uns äusserst zuvorkommend behandelt. Offenbar scheint das bei anderen Ländern nicht immer der Fall zu sein. Oder vielleicht kommt es auch darauf an, wie man sich benimmt.

Auf der pakistanischen Botschaft sind sie auch freundlich und stellen uns über Nacht ein Visum aus. Dort lernen wir Jean‑Louis und Danièle mit ihren vier Kindern kennen. Sie haben Frankreich für ein Jahr verlassen und Afrika durchquert. Von der ostafrikanischen Küste aus haben sie ihren VW‑Bus nach Bombay verschifft und fahren jetzt über Indien und Pakistan in die Heimat zurück. Sie wollen ebenfalls nach Ladakh, so dass wir uns in Manali verabreden, um gemeinsam über den 4000 m hohen Rohtang Pass zu fahren.

In einer Apotheke decken wir uns mit Chloroquin ein. Bisher haben wir zur Malariaprophylaxe Lariam geschluckt, so wie es uns der Arzt im Tropeninstitut Bern empfohlen hat. Aber bereits in Thailand hatten wir Nebenwirkungen des starken Mittels gespürt. Nur wussten wir damals noch nicht, woher diese kamen. Erst hier in Indien kam die Vermutung, dass es vom Lariam kommen könnte. Mir war es morgens jeweils übel, und ich musste mich immer zwingen, etwas zu essen. Dazu kamen die leichten Kopfschmerzen, die Appetitlosigkeit und die allgemeine Mattigkeit, die uns das Reisen nicht immer zur Freude machten. Nachdem wir auf dem Packungszettel gelesen haben, dass bei Überdosierung des Medikamentes (aber bei Behandlung, nicht bei Prophylaxe!) genau diese Nebenwirkungen auftreten können, haben wir mit der Einnahme sofort aufgehört. Man darf also auch die Ratschläge des Tropeninstitutes in Frage stellen.

Ab in die Kühle! Die nächste Stadt auf dem Weg in die Berge ist Chandigarh. Diese Stadt wurde von Le Corbusier entworfen und ist in riesigen Quadraten angelegt. Die Regierungsgebäude sehen auch heute noch, nach mehr als 30 Jahren, futuristisch aus. Aus dem Rest ist eine indische Stadt wie jede andere geworden.
Über Simla, Mandi und Kulu fahren wir nach Naggar, wo wir in luftiger Höhe bei einem alten Schloss halten. Es ist angenehm kühl hier, und die Augen werden vom satten Grün des Kulu‑Valleys verwöhnt. Bisher war alles braun, grau und staubig, aber hier hat die Landschaft wieder Farbe, und die Luft ist klar.
In Manali ist es so kühl, dass wir endlich wieder ohne zu schwitzen im Dachzelt übernachten können. Am Morgen sind wir jeweils froh um den heissen Porridge. Wir wohnen etwas ausserhalb der Ortschaft in luftiger Höhe. Das gediegene Hotel erlaubt uns, im Park zu übernachten und die Infrastruktur zu benützen. Stundenlang sitzen wir an der wärmenden Nachmittagsonne bei einem Glas Chai.

Wir erkundigen uns, ob der Rohtang Pass nach Ladakh offen ist. Leider nicht, erst in 10‑15 Tagen könne man ihn frühestens befahren. Das ist uns zu spät, denn in neun Tagen, am 21. Juni, findet in Hemis ein Klosterfest statt. Es ist das einzige solche Festival, das im Sommer abgehalten wird, und natürlich möchten wir dabei sein.
Wir machen uns auf die Suche nach den Franzosen, um mit ihnen zu besprechen, was wir machen sollen. Wir finden sie dort, wo etwas los ist: In einem Wald findet eine Zeremonie statt. Wir wissen nicht, worum es geht, aber es hat unglaublich viele Leute, in riesigen Töpfen wird Essen zubereitet, und der Höhepunkt bildet der Wasserbüffel, der geopfert wird. Mit 34 Machetenhieben wird ihm der Kopf abgetrennt. Dabei spritzt das Blut ganz schön weit. Wir setzen uns abseits auf ein paar Felsen und können so unentdeckt fotografieren. Mit dem Teleobjektiv können wir die Menschen unbemerkt ganz nah ins Bild holen.

Den Franzosen geht es ebenso wie uns: Eigentlich würden wir sehr gerne über den berüchtigten Rohtang Pass fahren, aber der Besuch des Klosterfestivals von Hemis ist uns wichtiger. Also bleibt uns nichts anderes übrig, als über Kashmir zu fahren. Die Inder erklären uns für lebensmüde, dorthin zu gehen, befinden sich doch die moslemischen Kashmiris in einem Kampf für die Unabhängigkeit. Weil aber die ausländischen Touristen die einzige Einnahmequelle der Bevölkerung ist, sind die Besucher nach wie vor äusserst willkommen. Offenbar hat es in Srinagar immer noch viele Touristen. Wir beschliessen, Ladakh auf diesem Weg zu erreichen.

Wir fahren zusammen mit Jean‑Louis und Danièle und ihren Kindern im Alter von sechs bis fünfzehn Jahren. Nach drei Tagen haben wir das grosse Kashmir Tal erreicht. Die Landschaft ist wunderschön und sehr fruchtbar. Leider sind wir auch hier zu früh dran. Der Zoji‑La Pass ist noch nicht geöffnet, so dass wir noch zwei Tage in Srinagar warten müssen.
Wir lassen unsere Fahrzeuge beim Polizeiposten stehen und mieten ein Hausboot. Hotelzimmer hat es hier nicht viele, denn die Hauptattraktion sind die schön geschnitzten Boote. Ihren Ursprung haben sie aus der Zeit der Engländer. Ihnen wurde hier an diesem schönen See verboten, Land zu erwerben und Häuser darauf zu bauen, so dass sie in grossen Hausbooten auf dem See lebten. Wir lassen uns von freundlichen Leuten verwöhnen. Das Essen ist ausgezeichnet, und alles was man sonst noch benötigt, erhält man vom Supermarkt‑Boot, das immer wieder vorbeifährt. Es wird uns nicht langweilig, schliesslich haben wir alle genug Gesprächsstoff, um interessante Diskussionen zu führen.

Im Nu sind die zwei Tage vergangen. Wir packen unsere Sachen, decken uns mit Lebensmitteln und Benzin ein und fahren los. In Sonamarg müssen wir noch eine Weile warten, bis der Gegenverkehr unten im Tal angekommen ist. Wir haben Glück: Heute ist der erste Tag, an dem Privatautos über den Pass fahren dürfen. Die Strecke nach Ladakh ist während höchstens drei Monaten im Jahr befahrbar. Bereits im September fällt der erste Schnee, und das abgelegene Gebiet ist erneut nur über den Luftweg erreichbar. Aber auch diese Verbindung ist unsicher. Bei schlechtem Wetter ist es unmöglich, die 7000 Meter hohen Gebirgszüge zu überfliegen.
Am Mittag können wir losfahren. Wir sind die vordersten zwei Fahrzeuge, die den Zoji‑La hochfahren. Der Pass ist „nur“ 3500 m hoch und somit der tiefste auf der Strecke nach Leh. Da aber auf dem Gebiet von Ladakh beinahe keine Niederschläge erfolgen, sind die höheren Pässe bereits schneefrei, während der Zoji‑La noch meterhoch verschneit ist. Beidseits der geräumten Piste türmen sich immer noch drei Meter hohe Schneewände. Wenn wir Jean‑Louis vor uns haben, werden wir vom VW‑Bus in eine schwarze Rauchwolke eingehüllt. Unsere Geschwindigkeiten sind total unterschiedlich. Unser Landy fährt in gleichbleibendem Tempo im zweiten Gang den Berg hoch. Beim Bus jedoch kommt es ganz darauf an, ob der Turbo einsetzt oder nicht, und entsprechend unregelmässig fährt er. Weil man kaum mal überholen kann, bremsen wir uns gegenseitig immer wieder aus, aber wir nehmen es gelassen und freuen uns, dass wir Begleitung haben.

Die Nacht verbringen wir im nassen und kalten Kargil in einem Hotel. Hier befinden wir uns geographisch eigentlich eher in Pakistan als in Indien, auch die roten Henna‑Bärte und die Kleidung der Männer (Frauen hat es offenbar keine!) deuten darauf hin. Weil noch andere Touristen nach Hemis wollen, sind die Hotelzimmer bald einmal gefüllt, und die später eintreffenden Reisenden müssen sich mit einem Platz im Korridor zufrieden geben.

Auf dem Fatu‑La Pass befinden wir uns auf 4100 Metern Höhe. Von hier aus haben wir einen tollen Blick nach Ladakh, das auch Kleintibet genannt wird. Die Landschaft ist karg und unfruchtbar, nur wo ein Stück Land bewässert wird, wächst etwas. Auf den folgenden paar Kilometern schlängelt sich die Strasse 1000 Meter in die Tiefe. Nun sind wir am tiefsten Punkt Ladakhs angekommen. Das Tal befindet sich auf durchschnittlich 3500 m über Meer. Die meisten Touristen, die von Delhi direkt hierher fliegen, müssen sich zuerst an die Höhe gewöhnen und sind während den ersten paar Tagen etwas kurzatmig.

Was uns sofort auffällt, sind die Gebetsfahnen, die bei jeder Steinansammlung oder den wenigen Häusern im Wind wehen. Die schlitzäugigen Ladakhis sind Buddhisten. Schon bald sehen wir das erste Kloster. Weil jeglicher Reichtum der Bevölkerung in die Kloster fliesst, sind das jeweils mächtige Bauten, während die normale Bevölkerung in einfachen kleinen Steinhäuschen wohnt. Nachdem wir eines dieser Kloster besucht haben, schlagen wir abseits der Strasse unsere Zelte auf. Im Gegensatz zum südlichen Teil Indiens sind wir hier fünf Minuten später nicht von neugierigen Leuten umgeben. Wir geniessen eine absolut stille und eisig kalte Nacht.

Wir fahren nun dem Indus Fluss entlang. Die Provinzhauptstadt Leh umfahren wir, weil es Zeit ist, dass wir nach Hemis kommen. Das kleine Dorf ist festlich geschmückt. Auf einem Platz neben dem Kloster stellen wir unsere Autos hin. Es soll sich bei diesem Platz um einen Campingplatz handeln, aber Einrichtungen hat es gar keine. Nach langem Suchen entdecken wir die Toilette: In einem halb zerfallenen Gebäude nähert man sich in absoluter Dunkelheit einem Abhang. Dort erledigt man seine Geschäfte. Dabei braucht man jemanden, der Wache steht, und man muss aufpassen, wohin man tritt, denn nicht jeder hat sich bis zum Abhang gewagt.
Kurz nach uns erscheint die indische Polizei und schlägt ihre Zelte gleich neben uns auf. Offenbar scheint es eine ziemlich grosse Sache zu geben. Wir lernen Park kennen. Er kommt aus Südkorea und ist mit dem Fahrrad im Himalaya unterwegs. Wir vergleichen unsere Reisepläne und stellen fest, dass wir in etwa die gleichen Strecken fahren werden, nur wir natürlich etwas schneller, auch wenn er behauptet, er sei manchmal ebenso schnell wie ein Linienbus. Wir tauschen noch unsere Adressen aus, für den Fall, dass er es mal mit dem Velo bis nach Europa schafft.

Am nächsten Morgen holt uns Disco‑Musik aus dem Bett. Da wir eh früh aufstehen wollten, ist uns dieser Weckdienst nur recht. Wir packen den Fotoapparat und viele Filme ein und gehen ins Gompa. Hier sind wir erstaunt, wie viele Leute es bereits hat. Auf dem Flachdach finden wir ein Plätzchen. Von hier aus haben wir einen guten Überblick in den Klosterhof, wo alles voller Leute ist. Das meiste sind farbenfroh gekleidete Einheimische, aber es hat auch viele Touristen. Sogar eine japanische Reisegruppe wurde für das Fest eingeflogen. Über das Verhalten gewisser Touristen sind wir ziemlich schockiert. Manche benehmen sich, als würde das Fest ihretwegen stattfinden.

Für das Fest wurde die Tongkha (eine Art Wandteppich) an die Klosterwand gehängt. Nach den ersten Trompetenstössen erscheinen verkleidete Mönche. Mit ihren furchterregenden Masken vertreiben sie tanzend die bösen Geister. Dann folgt eine Prozession: Zuerst wird feierlich ein Bild des Dalai Lamas in den Hof getragen, dann erscheint der Rimpoche, der Abt des Klosters. Dieser Abt reiste in den fünfziger Jahren zum Dalai Lama nach Lhasa. Darauf wurde das Tibet von den Chinesen annektiert, und der Abt kehrte nie mehr nach Hemis zurück. Niemand wusste, was mit dem Abt geschehen war. Deshalb konnte er auch nicht durch einen neuen ersetzt werden. So findet das Festival seit über 40 Jahren ohne ihn statt. An seiner Stelle wird eine überlebensgrosse Figur in den Hof geleitet, die dann unter einem Sonnenschirm sitzend das Fest mitverfolgt. Wir verstehen die ganzen Abläufe der Zeremonie nicht genau, aber das hindert uns nicht daran, uns an den schönen Gewändern der Mönche oder den einheimischen Festbesuchern zu erfreuen. Am Abend sind wir total erschöpft und lassen uns durch die laute Musik, die bis spät in die Nacht lärmt nicht stören.

Um fünf Uhr morgens ertönen erneut Trompetenstösse, eine Stunde später laufen die Discos wieder auf Hochtouren. Wir stehen auf und gehen ins Kloster, dort aber hat es praktisch keine Leute mehr, so dass wir auf den Campingplatz zurückkehren. Gegen Mittag beginnt eine Schlägerei zwischen einer Gruppe Tibetaner und einheimischen Ladakhis. Worum es dabei geht, wissen wir nicht. Die Polizei nimmt ein paar Leute fest und fährt sie zusammen mit einigen Verletzten nach Leh. Eine Viertelstunde später flammt der Streit erneut auf, diesmal bedrohlicher und ganz in unserer Nähe. Wir parkieren unsere Autos um. Im letzten Polizeilastwagen werden weitere Verletzte und Verhaftete nach Leh transportiert.

Am nächsten Morgen ist alles ruhig. Die Polizei hat ihre Zelte abgebrochen, die Discos sind verschwunden, die Touristen und die Randalierer sind abgereist. Auch wir packen unsere Sachen zusammen und fahren Richtung Leh. Unterwegs wollen wir im Tikse Kloster Halt machen und dieses grosse, hoch auf den Felsen gelegene Bauwerk besichtigen. Aber auf dem Parkplatz des Klosters kehren wir wieder um. Dort steht ein Mietwagen, an dem sich ein paar Mönche zu schaffen machen. Sie lassen Luft aus den Reifen und reden irgend etwas von bösen Moslems. Wir verzichten auf einen Besuch und machen uns aus dem Staub. Unterwegs nach Leh kommt uns ein Polizeiauto entgegen. Wir halten an und erzählen ihnen, was wir gesehen haben. Sie sind offenbar auf dem Weg nach Tikse, weil es dort zu einer Auseinandersetzung zwischen Ladakhi und Moslems gekommen sein soll. Die Touristen mit dem Mietambassador sind einfach in einem dummen Moment dazwischen gekommen. Später erfahren wir, dass die fünf Polizisten von den aufgebrachten Mönchen entwaffnet und zusammen geschlagen wurden. Der Mietwagen wurde total zerstört, und die Touristen flüchteten zu Fuss. Wir verstehen die Sache nicht, fragen uns aber, wie buddhistische Mönche eine solche Tat begehen können.

In Leh verbringen wir noch ein paar Tage mit unseren französischen Freunden, bevor wir uns von ihnen verabschieden. Die Piste nach Manali ist immer noch nicht geöffnet, sie ist frühestens am 1. Juli befahrbar, und heute ist erst der 25. Juni. Die Franzosen wollen die Strecke unbedingt fahren, aber wir verzichten auf eine solch lange Wartezeit und fahren dorthin, wo wir hergekommen sind, über die drei Pässe nach Kashmir. In Srinagar wimmelt es nur so von Polizei und Militär. Auf dem Hausboot der Familie Pala angekommen, erfahren wir, was in der Zwischenzeit passiert ist. Letzte Nacht wurden sechs Israeli von Freiheitskämpfern entführt. Die Kashmiris haben ihnen vorgeworfen, im Auftrag des indischen Militärs spioniert zu haben. Während des Morgengebetes konnten die Israeli ihre Bewacher überwältigen. Dabei gab es drei Tote: ein Israeli und zwei Kashmiri. Jetzt sind alle Touristen aus Srinagar weg, und auch wir bleiben nicht wie beabsichtigt ein paar Tage, sondern fahren am nächsten Morgen weiter.

Kaum lassen wir die Berge hinter uns, sind wir wieder in der Hitze. Wir haben vergessen, wie heiss es hier unten ist. Nachts können wir wie gewohnt kaum schlafen. So sind wir froh, wieder nach New Delhi zu kommen, wo uns ein kühles Zimmer im YWCA erwartet. Wir haben in der Stadt einiges zu erledigen. Zuerst beantragen wir eine Verlängerung des dreimonatigen Visums. Dann schicken wir die Pakete mit unseren Souvenirs ab und erkundigen uns, ob Post für uns bereit liegt. Das Mittagessen nehmen wir im Nirula’s ein. Hier gibt es die berühmten Burger, aus Lamm, da die Kühe ja heilig sind und deshalb nicht gegessen werden dürfen. Am Nachmittag gehen wir einkaufen und schreiben Postkarten.
Den folgenden Tag verbringen wir abwechselnd im Nirula’s oder auf der Post. Es ist in Indien nicht einfach, Briefmarken zu kaufen, die frankierten Karten am Schalter abzugeben und darauf zu bestehen, dass der oder die Beamte/r alle 50 Postkarten vor unseren Augen abstempelt. Wirft man die Karten einfach in einen Briefkasten, kann es vorkommen, dass die Briefmarken entfernt werden und die Karten natürlich nie ankommen.

Unsere Hoffnung, dass der kommende Monsun in der Zwischenzeit die Temperatur etwas gesenkt hat, wurde nicht erfüllt. Es ist heiss wie eh und je. Seit 37 Jahren wurden keine solchen Hitzewerte mehr erreicht. Aber auf Rajastan verzichten wir trotzdem nicht. Wenn immer möglich, werden wir in Hotels übernachten.
Über Amber erreichen wir Udaipur. Dort steigen wir in einem Mittelklassehotel ab und ziehen am nächsten Morgen unsere feinsten Kleider an. Schliesslich wollen wir den heutigen Tag und die Nacht im Lake Palace Hotel verbringen, dem durch den James Bond Film berühmten Luxushotel mitten im See. Wir lassen uns mit dem Schiff dorthin fahren und geniessen den Komfort in dieser Oase der Ruhe. Das Essen ist ausgezeichnet, die Musik angenehm, und bezahlen können wir zum Glück mit der Kreditkarte.

So gestärkt kann uns auch das hektische Treiben von Udaipur nichts anhaben, dafür haben wir den ersten platten Reifen auf dieser Reise. Wir lassen ihn flicken und fahren weiter nach Ranakpur. Hier steht der Jain Tempel, der für seine Säulen bekannt ist. Jede dieser 1444 Säulen ist verschieden geschnitzt. Wir sind beeindruckt von diesem wunderschönen Tempel, der sich abseits in einem Wald befindet.

Auf dem Weg nach Amritsar durchqueren wir das sogar für indische Verhältnisse stinkende und lärmende Jodhpur und besichtigen den Rattentempel in der Nähe von Bikaner. Hier werden die Ratten (die als Heilige wiedergeboren werden) gefüttert, vergöttert und mit Netzen vor Raubvögeln beschützt. Es ist ziemlich eklig, barfuss durch diesen Tempel zu gehen und die mit Tumoren übersäten Ratten zu betrachten. Aber gesehen haben muss man es!

Die Reifen des Landys sind bereits ziemlich abgefahren. So erstaunt es uns nicht, dass wir erneut mit einem Plattfuss dastehen. Irgendwo in einem kleinen Wüstendorf lassen wir den Reifen mit einem neuen Schlauch montieren. Während Albi mit dem Pneuhändler beschäftigt ist, bildet sich um mich herum eine Menschentraube. Ich werde angestarrt, angesprochen, ausgefragt und bewundert, hauptsächlich wegen meinem blonden Haar. Es scheint sich kaum ein Tourist hierher zu verirren, entsprechend gross ist der Andrang, ein paar Worte mit mir zu sprechen.

Wieder unterwegs stellen wir fest, dass wir kaum noch indische Rupees haben. Nach der Extraausgabe für den neuen Schlauch sind wir noch im Besitz von 200 Rupees, was etwa 15 Franken entspricht. Das sollte eigentlich problemlos bis Amritsar reichen, aber wir stellen fest, dass unser Landy aus irgend einem unbekannten Grund plötzlich die doppelte Menge Benzin verbraucht als gewohnt. So wird der Treibstoff nicht bis nach Amritsar reichen. Überhaupt ist das Benzin die teuerste Ausgabe hier in Indien. Für den Liter bezahlen wir 12 Rupees, also 85 Rappen. Für indische Verhältnisse, wo ein einfaches vegetarisches Essen 5‑10 Rupees und ein gutes Essen mit Fleisch 30 Rupees kostet, sind die Treibstoffpreise enorm hoch. Die Taxifahrer stellen bei jeder sich bietenden Gelegenheit, wie z.B. bergab, den Motor ab, um ein paar Tropfen zu sparen. Mit unseren 200 Rupees können wir nicht einmal 20 Liter tanken, und damit kommen wir gerade mal 100 km. In Bathinda haben wir Glück und können in einem Hotel ein paar Dollars wechseln. Natürlich ist heute Samstag, und die Banken haben heute und morgen geschlossen.

Irgendwann halten wir am Rand der Strasse an und nehmen uns den Landy mal genauer vor. Er säuft so viel, dass wir immer wieder nach einem Leck im Tank gesucht hatten – vergebens. Beim Luftfilter werden wir nun endlich fündig. Als wir sehen, was er in diesen drei Monaten Indien alles an Staub und Dreck angesaugt hat, bekommen wir grosse Augen. Da muss ihm ja die Puste ausgehen! So gelangte viel zu wenig Luft in die Brennkammer, und entsprechend viel Benzin wurde unnötig verbrannt. Wir setzen einen neuen Filter ein und fahren beruhigt weiter.

In Amritsar besichtigen wir natürlich den Goldenen Tempel, das Heiligtum der Sikhs. Albi muss sich dazu den Kopf mit einem Tuch bedecken. Die Anlage ist wunderschön, und die Atmosphäre ist ausgesprochen feierlich. Wir fühlen uns richtig privilegiert, auf den kühlen weissen Marmorplatten um den kleinen See zu laufen. Aus Lautsprechern ertönt in leisem Gemurmel die Lesung aus dem heiligen Buch der Sikhs, und die Gläubigen nicken uns wohlwollend zu. Vor ein paar Wochen wurden wir von einer Sikh Familie aufgefordert, unbedingt den Goldenen Tempel zu besuchen, wenn wir in Amritsar seien. Jetzt können wir bestätigen, dass sich der Besuch auf jeden Fall lohnt.

Das war es jetzt! Indien ade! Wir sind froh, Dich verlassen zu können, denn Du bist ganz schön anstrengend. Aber wir wissen schon jetzt, dass wir Dich bereits in ein paar Tagen vermissen werden!

Doch auch die Ausreise soll nicht ganz so einfach sein. Das Carnet de Passages und Albis Pass sind kein Problem, aber mich will der gut genährte turbantragende Beamte nicht ausreisen lassen. Mein in Singapore ausgestelltes Indienvisum ist nicht unterschrieben! Irgend jemand hat vergessen, seine Unterschrift unter den Stempel zu geben. Bei der Einreise in Madras hat das niemanden gestört, und auch bei der Visaverlängerung in Delhi hat niemand bemerkt, dass eine Unterschrift fehlt. Nun, meint dieser Beamte, das sei nicht sein Problem. Er sei zwar „very, very sorry, Madam“ aber in Madras hätten sie mich mit diesem fehlerhaften Visum nicht einreisen lassen dürfen, also müsse ich dort wieder ausreisen, er könne mir da nicht helfen. Es ist ihm auch sonnenklar, dass wir nicht wieder durch ganz Indien nach Madras fahren, um dort auszureisen. Also geht es nur um Bakshish. Innerlich reibt er sich bereits die Hände und malt sich wohl aus, wieviel er uns abknöpfen kann. Da ist er an die Falschen gelangt, denn wir haben in Asien noch nie Schmiergeld bezahlt und wollen nicht hier an der dafür berüchtigten Grenze anfangen. Schliesslich waren wir in Westafrika und haben gelernt, uns mit geeigneten Mitteln zur Wehr zu setzen. Albi setzt eine versöhnliche Miene auf und sagt ihm, dass er ihn vollkommen verstehe. So würden wir jetzt das Auto wenden und nach Delhi zurück fahren. Dort würden wir schauen, dass wir von der Fremdenpolizei eine spezielle Ausreisegenehmigung für mich erhalten. Um dort vorstellig zu werden, müssen wir jedoch den Namen und die Identifikationsnummer der zuständigen Beamten, also von ihm und seinem Vorgesetzten, haben. Wir können ja nicht einfach dort auftauchen, ohne sagen zu können, wer diesen Fehler im Visum entdeckt hat. Natürlich sähen wir ein, dass er mich so nicht ausreisen lassen kann, aber er verstehe sicher auch, dass wir in Delhi ihre Namen melden müssen.
Daraufhin weist er uns an zu warten und verschwindet im Büro seines Vorgesetzten. Nach einer Viertelstunde bittet er uns hinein. Sein Chef eröffnet uns, er wolle sich für einmal grosszügig zeigen und uns die lange Fahrt nach Delhi ersparen und mir die Ausreise auch ohne die Unterschrift auf dem Visum erlauben. Dass es nicht anders kommen konnte, davon waren wir überzeugt. Notfalls hätten wir ja immer noch, als zweitletzten Versuch sozusagen, den Ausreisestempel mit einem kleinen Geschenk erkaufen können. Und hätte das nicht geklappt, oder wäre der Preis des Beamten zu hoch gewesen, hätten wir eben das Auto wirklich gewendet und wären nach Delhi gefahren.

Im Gegensatz dazu klappt die Einreise nach Pakistan vorzüglich und schnell. Freundlich und ohne unnötige Bürokratie werden wir willkommen geheissen. Unser erstes Ziel ist Islamabad. Hier lassen wir uns auf dem Tourist Camp nieder. Dieser etwas heruntergekommene Campingplatz ist am Rand des Zentrums in einem Wald gelegen. Durch die vielen Bäume ist es angenehm kühl. Hier treffen wir auch ein paar andere sogenannte Overlander, d.h. Reisende mit dem eigenen fahrbaren Untersatz. Da hat es eine österreichische Musikband, ein deutscher Tourist mit einem Sattelschlepper und eine Schweizerin, die bereits seit neun Jahren alleine in ihrem Kastenwagen die Welt bereist. Nord‑ und Südamerika, Australien und den grössten Teil Asiens hat sie hinter sich, jetzt wartet noch der Nahe Osten und Afrika auf sie. Park, den südkoreanischen Velofahrer, treffen wir hier auch wieder an. Er ist also wirklich ebenso schnell wie wir unterwegs!

Nachdem ich Passfotos mit Kopftuch habe machen lassen, gehen wir auf die iranische Botschaft und füllen die Visaantragsformulare aus. Da wir vorhaben, den Norden Pakistans zu bereisen, müssen wir unsere Pässe wieder mitnehmen. In der Zwischenzeit werden die Anträge aber behandelt, so dass wir bei unserer Rückkehr nach Islamabad nur drei Tage auf das Visum werden warten müssen.

Nach getaner Arbeit brechen wir unsere Zelte ab und kehren der Hitze den Rücken zu. Die Karakorum Highway, die dem Indus Fluss in den Himalaya folgt, soll laut Reiseführer das letzte Abenteuer dieser Welt sein. Für unseren Landy scheint’s wirklich ein Abenteuer zu sein. Wie sonst kommt es, dass sich die Federn beim Kurvenfahren hin und her bewegen? In Mansehra lassen wir die Sache begutachten: Die Federaugen sind hin! Für uns kein Problem! Als erfahrene Landybesitzer sind wir gerüstet und haben Ersatzteile mit dabei. Die Mechaniker der Freiluftgarage wollen davon aber gar nichts wissen. Es sei eine Verschwendung, die noch fast intakten Federaugen zu ersetzen, wenn man sie doch reparieren könne. Albi lässt die Mechaniker gewähren und setzt sich mit dem Chef in den Schatten. Da es in dieser Ortschaft keine Frauen zu geben scheint, bleibe ich im Auto sitzen. Wie es sich hier gehört, werde ich nicht beachtet. Nur als der Tee serviert wird, erhält Albi zwei Gläser, damit auch ich nicht zu kurz komme. Mittlerweile werden die Federaugen mit viel Gefühl aus der Halterung geschlagen. Dann werden sie mit Blech von leeren Konservendosen umwickelt und wieder eingesetzt. Albi traut der Sache nicht so recht und ist überzeugt, dass sich die Federn bereits in der nächsten Kurve wieder bewegen. Wenn es so sein sollte, kehren wir eben wieder zurück und bestehen darauf, dass die neuen Teile eingesetzt werden. Die Mechaniker sind jedoch überzeugt, dass ihre Reparatur erfolgreich war.
Albi fährt los, und wir strengen unsere Ohren ganz schön an, um das verdächtige Knacken von der Vorderachse zu hören. Aber dort ist und bleibt alles ganz ruhig, die Federaugen bleiben, wo sie sein sollen. Toll!

Über Gilgit fahren wir weiter Richtung Norden, bis wir in Sust, der letzten pakistanischen Ortschaft sind. Von hier aus wollen wir bis zur chinesischen Grenze auf den 5000 m hohen Kunjerab Pass fahren. Dazu müssen wir hier unsere Pässe bei der Polizei abgeben, damit wir nicht illegal aus Pakistan ausreisen. Mit dem eigenen Fahrzeug ist es unmöglich, nach China einzureisen, also haben wir auch kein Visum und dürfen nur bis zur 80 km entfernten Grenze fahren. Als wir uns um halb fünf Uhr nachmittags ins Kontrollbuch der Polizei einschreiben, sehen wir, dass heute um elf Uhr der Südkoreaner Park hier durchgeradelt ist. Wir werden ihn morgen wohl aufholen. Weit gefehlt bereits ein paar Stunden später, kurz vor Einbruch der Dunkelheit, kommt er uns entgegen. Auf dem Pass war er bereits und ist nun auf dem Rückweg. Wir kochen gemeinsam etwas Warmes. Weil es zu hageln beginnt, setzen wir uns zu dritt in den Landy und essen zusammengepfercht unser Mahl.

Nach einer eiskalten Nacht (das Thermometer fiel auf 5° C) können wir unsere steifen Glieder kaum mehr bewegen. Aber Park schwingt sich voller Energie aufs Fahrrad und winkt uns fröhlich zu. Wir befinden uns ca. 10 km vor dem Pass und machen uns nun auf den Weg dorthin. Kaum losgefahren rennt eine grosse helle Katze über die Strasse: ein Schneeleopard! Natürlich geht alles viel zu schnell, um auch nur an den Fotoapparat zu denken, geschweige denn, ihn zur Hand zu nehmen. So bleibt uns die Erinnerung an ein fast weisses Raubtier, das vor uns ihn langen Sprüngen die Strasse überquert. Viel später überzeugen wir uns in einem Zoo, dass es wirklich ein Schneeleopard war. Genug zu essen gibt es für dieses Tier hier auf jeden Fall. Überall hat es Murmeltiere und zwar Riesendinger, die gar nicht scheu sind.

Auf dem Pass stehen wir dann auf 5000 m ü.M., bewundern die schönen Grenzpfosten und das grandiose Bergpanorama und frieren uns beinahe alles ab. Der Wind bläst eiskalt aus China, wie um zu sagen: Touristen nicht erwünscht! Wir kehren um und fahren gemütlich zurück nach Sust.

Pünktlich zum Mittagessen sind wir in Sust und setzen uns ins Restaurant, wo Park gerade dabei ist, seine erste von drei Portionen zu vertilgen. Wir setzen uns zu ihm, begnügen uns aber mit je einem Teller. Wir erzählen den Leuten, dass wir einen Schneeleoparden gesehen haben und fragen, ob das hier üblich sei. Nein, kriegen wir zu hören, es sei sehr, sehr selten, dass man eines dieser Tiere sehe. Auch benötigen sie ein solch grosses Revier, dass es nur wenige Exemplare hat. Gerade vor ein paar Wochen sei ein amerikanisches Filmteam hier gewesen, auf der Suche nach einem Schneeleoparden, jedoch erfolglos. Nach einem Monat seien sie wieder abgereist.

Um nach Karimabad, dem Heimatort vom Aga Khan zu gelangen, müssen wir einen Jeep‑Track fahren, weil die Karakorum Highway wegen einer Veranstaltung gesperrt ist. Vom Besitzer eines gemütlichen Guest Houses erfahren wir, dass es sich dabei um ein shiitisches Fest handelt. Dabei geisseln sich die Gläubigen öffentlich mit der Peitsche. Er finde es abscheulich, dass sich Leute den Rücken blutig schlagen, spuckt Richtung Festzug und verkündet voller Stolz, er sei eben kein Schiite sondern ein Ismaili. Uns soll’s egal sein. Wir erfreuen uns lieber der umwerfenden Aussicht aufs Tal und vor allem auf die Berge. Vor uns steht schneebedeckt der Rakaposi, mit über 7700 m Höhe einer der höchsten Berge der Gegend.

Bei der Dorfbesichtigung treffen wir auf ein englisches Ärzteteam, das eine Studie übers Altern macht. Sie versuchen herauszufinden, weshalb die Leute in diesem Tal so alt werden, obschon es hier fast keine medizinische Betreuung gibt. Sie glauben, es liege an der Höhe und dem mineralhaltigen Wasser. Dieses Wasser ist so mineralhaltig, dass es gar nicht mehr durchsichtig ist. Die Glimmerteilchen sieht man sogar noch im Tee! Für die Einheimischen scheint dieses Wasser äusserst gesund zu sein, aber wir Touristen sind uns nicht soviel Mineralien gewöhnt. Alle Ausländer, die wir in dieser Gegend treffen, klagen über leichte bis mittelschwere Darmprobleme. Kaum ist man weg vom mineralhaltigen Wasser, sind auch die Beschwerden weg. Aber trotz diesem kleinen Übel geniessen wir den Aufenthalt in dieser wunderschönen Landschaft.

In Gilgit, dem Hauptort im Karakorum bleiben wir ein paar Tage. Die meiste Zeit verbringen wir mit den paar Reisenden, die sich ebenfalls im Tourist Cottage niedergelassen haben. Wir tauschen Erfahrungen und Erlebnisse aus und geniessen es, mit Leuten richtig diskutieren zu können.

Bevor wir die Berge wieder verlassen, machen wir noch einen Abstecher ins Skardu Tal. Für uns ist diese Fahrt am Indus entlang eine Sackgasse, aber eigentlich wäre es der logische Weg nach Ladakh, wo ja der Indus seinen Ursprung hat. Aber politisch ist es nicht möglich, von hier ins ein paar Kilometer nach der Grenze gelegene Dorf Kargil zu fahren. Unterwegs treffen wir erneut auf Park, den Radfahrer. Sein nächstes Ziel ist der K2, oder besser gesagt, das Basislager dieses zweithöchsten Berges. Sozusagen als Abwechslung zum ewigen Velo fahren möchte er hoch hinauf wandern. Zum letzten Mal verabschieden wir uns herzlich und wünschen einander alles Gute für die Weiterreise.

Am 1. August 1991 treffen wir wieder in Islamabad ein. Wir decken uns in der French Bakery mit feinen Sachen ein und lassen uns im Tourist Camp nieder. Der nächste Tag ist Freitag, und somit ist alles geschlossen. Am Samstag können wir dann Traveller Checks besorgen und auf der iranischen Botschaft unsere Pässe abgeben. Nach zwei Stunden Wartezeit, geben die Beamten uns Bescheid, dass es mindestens eine Woche dauern wird, bis wir die Visa erhalten. Auf unser Drängen sind sie dann doch bereit, uns zu versprechen, dass wir die Pässe am Donnerstag abholen können.

Weil es auf dem Tourist Camp auch tagsüber nur so von Mücken wimmelt, quartieren wir uns in ein günstiges Hotel ein. So kurz vor der Regenzeit ist es sehr heiss und schwül. Abgesehen vom Essen und Einkaufen verbringen wir die meiste Zeit im Hotel.

Am Donnerstag ist es dann soweit. Nach erneutem zweistündigem Warten auf der iranischen Botschaft erhalten wir die Pässe mit den Visa zurück. Uff, geschafft! Es gibt recht viele Reisende, die in Islamabad stecken bleiben, weil ihnen die Iraner grundlos (oder weil sie Engländer, Deutsche oder sonst wer sind) das Visum verweigern. Dass die Amerikaner keine Durchreiseerlaubnis bekommen, ist ja klar, aber von denen wagt sich auch kaum einer in diese Gegend. Wir jedenfalls packen unsere Sachen und fahren südwärts. Immer wieder kommen wir in ein Gewitter mit starkem Wind und Regen.

In Deragazi Khan fahren wir westlich ins Gebirge. Hier durchfahren wir sogenanntes Stammesgebiet. Dabei handelt es sich um ein Gebiet, wo das pakistanische Recht nur ganz beschränkt gültig ist. Für die meisten Dinge gilt Stammesrecht, das von Stamm zu Stamm unterschiedlich sein kann. Solange wir jedoch auf der Strasse bleiben, kann uns nichts passieren, denn hier gilt noch das pakistanische Recht. Die meisten Männer in diesem Grenzgebiet zu Afghanistan haben sich ihr Spielzeug (Gewehr und Munitionsgürtel) umgehängt und sehen dementsprechend wenig vertrauenserweckend aus.

In Quetta, der letzten Stadt in Pakistan machen wir noch einen Halt, bevor wir in die Wüste fahren. Ab jetzt wird es einsam, nur ab und zu hat es ein paar Häuser neben der immer schlechter werdenden Strasse. Als wir am Abend draussen sitzen, bekommen wir ein grandioses Spektakel geboten: Ohne irgend eine störende Lichtquelle sitzen wir unter einem Sternenhimmel, wie wir es noch nie erlebt haben. Wir sehen die Milchstrasse und Millionen von Sternen. Dazu kommen die vielen Sternschnuppen. Alle zwei, drei Minuten erblicken wir einen dieser Leoniden und kommen gar nicht dazu, uns etwas zu wünschen. Aber was sollen wir uns auch wünschen – wir haben ja alles! Grenzenlos glücklich geniessen wir diese wunderbare Nacht.

In Nokkundi, dem letzten Dorf vor der Grenze, bekommen wir weder ein Frühstück noch sonst was, und ab hier gibt es auch keine Strasse mehr. Die ersten 100 km sind gute Piste, und auf den restlichen 20 km werden wir wegen dem Wellblech heftig durchgeschüttelt.
Der Grenzort Taftan besteht nur aus ein paar Dreckhütten, tonnenweise Unrat und einem Zollposten, den man beinahe nicht findet. Dort werden unsere Personalien ganz sorgfältig und langwierig eingetragen und das Carnet de Passages abgestempelt. Um ein Uhr wird die Grenze für drei Stunden geschlossen, und natürlich hält uns der Zollbeamte so lange mit seiner Bürokratie auf, dass wir erst kurz nach ein Uhr am Grenztor sind. Es ist unbeschreiblich heiss, und es weht ein noch heisserer Wind. In einem Nomadenzelt, dem Café des Ortes, bekommen wir ein paar Linsen mit Chappati und eine warme Cola. Die Leute sprechen gar kein englisch, so dass wir uns die meiste Zeit anschweigen.

Nach langem Warten ist es dann soweit: Der Iran öffnet seine Tore. Wir sind die einzigen, die die Grenze überqueren. Entsprechend gut können sich die Beamten um uns kümmern. Die Immigration ist relativ schnell erledigt, aber der Zoll macht uns Arbeit. Alles, aber wirklich auch alles muss aus dem Auto geräumt werden. (Deshalb lassen sie wohl über Mittag niemanden einreisen – es wäre zu heiss, um den gesamten Inhalt eines Autos auf den glühenden Teer zu stellen!) Danach wird jede Kiste untersucht und alles, was irgendwie anstössig ist, im Pass notiert. So wird sichergestellt, dass wir im Land ja nichts verkaufen. Die Spielkarten werden mit Draht umwickelt und plombiert. Nach etlichen Stunden haben wir es aber geschafft, und wir dürfen einreisen, ins Land der guten Strassen. Ab jetzt fahren wir wieder auf der rechten Strassenseite.

In Zahedan möchten wir wieder mal in einem Hotel übernachten. Ziemlich schnell finden wir auch eines. Der Besitzer hat freie Zimmer und möchte uns gerne eines anbieten, aber so einfach ist das nicht. Weil wir Ausländer sind, muss er zuerst mit uns auf den nächsten Polizeiposten gehen, wo wir eingetragen werden. Dann erhalten wir die Erlaubnis, eine Nacht in diesem Hotel zu verbringen. Nach einem Essen aus Chelo Kebab (Hackfleischspiesschen mit feinem Reis) und einer rohen Zwiebel stellen wir uns kurz unter die Dusche und fallen müde ins Bett.

Ganze 3 Schweizer Franken hat uns die Übernachtung mit Essen gekostet. Auch an der Tankstelle freut sich unser Portemonnaie: ganze 7 Rappen kostet der Liter Benzin. Der Diesel ist noch viel billiger. So billig, dass der Tankwart sich nicht die Mühe macht, die Pumpe abzustellen, wenn er mit dem Schlauch von einem Lastwagen zum nächsten geht. Dass dabei ein paar Liter am Boden landen, stört ihn nicht. Auch bei der Abrechnung nimmt man es nicht so genau, schliesslich wird die Zapfsäule nicht nach jedem Tanken auf Null gesetzt. So bezahlt man nach Gefühl des Tankwartes. Bei diesen kleinen Beträgen ist es auch nicht so wichtig.

Da wir nur ein fünftägiges Transitvisum haben, bleibt uns keine Zeit, um touristische Umwege zu fahren. Wir fahren auf den guten Strassen durch die heisse Wüste und machen erst in Isfahan wieder einen Halt. Hier besichtigen wir kurz das Zentrum und weil es erst Mittag ist, fahren wir wieder weiter. Teheran umfahren wir, durch das Verkehrschaos von Tabriz quälen wir uns im abendlichen Berufsverkehr.
Ab und zu hat es Polizeikontrollposten. Die Beamten kontrollieren die Papiere und freuen sich, dass sie sich mit Ausländern unterhalten können. Die meisten sprechen etwas englisch (aber immer mit einem amerikanischen Akzent).
Wir werden häufig von Leuten gegrüsst und angesprochen. Sie sind alle sehr freundlich und hilfsbereit. Wenn wir jemanden nach der Bäckerei fragen, erklärt er uns nicht, wo sie sich befindet, sondern kommt mit und zeigt sie uns gleich selber. Dort angekommen, vergewissert er sich, dass wir auch ja ganz frisches Brot erhalten. Das Wenige, das wir von Land und Leuten kennen lernen, gefällt uns sehr gut. Irgendwann dürfen wir den Iran hoffentlich mit einem Touristenvisum bereisen!

Vier Tage und knapp 100 Franken haben wir für die etwa 3000 km gebraucht. Wir stehen an der Grenze und müssen erneut alles aus dem Auto räumen. Jetzt wird kontrolliert, ob wir auch jedes im Pass vermerkte anstössige Teil auch wieder ausführen. Danach erhalten wir die Ausreisestempel.

Die Türkei nimmt es mit der Zollkontrolle nicht so genau, dafür benötige ich fast zwei Stunden, bis ich den Einreisestempel im Pass habe. Das geht hier folgendermassen: Albi kann als Fahrer des Autos seine Immigration gleich zusammen mit den Fahrzeugpapieren erledigen, während ich ins separate Gebäude gehen muss. Dort warte ich dann mit den ausreisewilligen Iranern eine Ewigkeit, bis sich schon nur ein türkischer Beamter zeigt. Offensichtlich hassen sie die Iraner und hätten sie noch weitere Stunden warten lassen, wenn nicht plötzlich eine Europäerin aufgetaucht wäre. Aber noch so geht die ganze Prozedur nur äusserst schleppend. Wie Vieh werden wir von einem vergitterten dunklen Raum zum nächsten geführt: Polizei, Gesundheit, Zoll.
Aber irgendwann ist auch das geschafft, und ich darf mich zum ungeduldig gewordenen Albi in den Landy setzen. Wir freuen uns darauf, in der Türkei ein wenig Ferien zu machen.

Die erste Nacht verbringen wir am wunderschönen Van‑See. Nach einem Frühstück bestehend aus Schafskäse und Brot fahren wir weiter durch das karge Anatolien.
Heute ist der 20. August 1991. Wir treffen seit langem wieder einmal auf den Massentourismus. Im Göreme Tal hat es im Vergleich zu den Urlaubsgebieten am Meer nur wenig europäische Touristen, aber uns kommt es vor, als hätte man halb Europa mit Bussen hierher verfrachtet. Wo wir nur hingehen hören wir Deutsch, Französisch, Englisch und natürlich Schweizerdeutsch. Wir haben ganz vergessen, dass das Schweizerdeutsch aus so vielen verschiedenen Dialekten besteht. Und dann sehen wir überall diese nackten Beine, die auf den erodierten Sandsteinfelsen rumklettern. Natürlich machen wir es den Touristen nach, aber mit langen Hosen, schliesslich ist es bei etwa 30° C nicht so heiss, dass man sich halbnackt zeigen muss. Und sogar wenn es heisser wäre, ist es in weiten leichten Hosen viel angenehmer als in Shorts. Vom Sonnenbrand ganz abgesehen! Am Abend essen wir in einem Restaurant, wo sie eine viersprachige Speisekarte haben.

Wir nähern uns Antalya, was wir sehr gut merken: Der Teepreis hat sich im Vergleich zum Landesinnern verdoppelt. Auf der Hauptpost erkundigen wir uns nach dem Paket, das für uns bereit liegen sollte. Vergeblich! Wir rufen Monika an, die uns beruhigt: Sie habe uns die auf dem Strassenverkehrsamt hinterlegten Nummernschildern vor ein paar Tagen geschickt. Wir wollen es uns in dieser Gegend für einige Zeit gemütlich machen, da stört es nicht, wenn das Paket noch nicht da ist.

In Ölüdeniz, in der Nähe von Fethiye finden wir einen gemütlichen Campingplatz mit viel Schatten. Ganz in der Nähe befindet sich das Meer, viele Restaurants, Bars und genügend Touristen. Zehn Tage lang machen wir nichts anderes als essen, faulenzen, Bücher lesen und unsere Reisepläne erneut ändern. Eigentlich wollten wir langsam über Griechenland und Italien Richtung Schweiz fahren. Nun haben wir einen Kassensturz gemacht und festgestellt, dass unsere Finanzen noch für ein paar weitere Monate reichen werden. Also werden wir über den Nahen Osten nach Ägypten fahren und von dort mit der Fähre nach Griechenland übersetzen.

Nachdem wir wieder zu Kräften gekommen sind, werden wir unternehmenslustig, und wir machen uns auf, ein paar touristische Höhepunkte zu besichtigen. Das wäre zuerst Pamukkale, dieser leuchtend weisse Kalkberg. Als ich vor vier Jahren hier war, stand er majestätisch in der trockenen braunen Landschaft. Nun ist er vom Tourismus vollständig eingenommen worden. Mitten durch den Berg führt eine Strasse, und oben steht ein Hotel neben dem nächsten. Auf den nur zum Teil mit Wasser gefüllten Kalkterrassen krabbeln Touristen. Immer hört man die Motoren der unzähligen Reisebusse. Weil’s recht warm ist, muss die Klimaanlage laufen, damit sich die erhitzten Leute ins Kühle flüchten können. Wir fahren recht schnell wieder vom Berg runter.
In Ephesus hat es, falls überhaupt möglich, noch mehr Touristen. Aber hier stören sie irgendwie viel weniger als in Pamukkale. Die meisten von ihnen sitzen eh irgendwo im spärlichen Schatten, weil es mit gegen 40° C doch ziemlich heiss geworden ist. Ohne Kopfbedeckung und Wasserflasche hält man es nicht lange an der Sonne aus. Wir sind begeistert von diesen römischen Ruinen.

Das Städtchen Kuşadasi gefällt uns sehr gut. Es hat viele Touristen hier, aber dadurch ist es auch belebt. Wir spazieren durch den Ort, gehen gut essen, lassen uns in einem Café nieder oder plaudern mit den unzähligen Teppich‑ und/oder Lederverkäufern, die alle deutsch sprechen.

Nach dieser kleinen Rundreise lassen wir uns wieder in Ölüdeniz nieder. Hier nehmen wir uns den Landy vor. Zuerst nehmen wir die beiden Windschutzscheiben raus und fahren dann so die paar km nach Fethiye. Dort lassen wir den gespaltenen Scheibenrahmen schweissen und kaufen schwarzen Silikon.
Zurück auf dem Campingplatz setzen wir die Scheiben ein und dichten sie ab. Dann werden die Kotschutzflügel abmontiert und ausgebeult. Der rechte hat beim Zusammenstoss mit dem thailändischen Mofafahrer Schaden genommen, und der linke wurde noch in der Schweiz von einem Deutschen, der auf einem Bergsträsschen in Panik geriet, gerammt. Mit der Farbe warten wir, bis wir zurück sind, weil wir in der Schweiz genau wissen, wo wir die richtige Farbe bekommen. Nämlich in der Migros – eine Dose beiger Ofenspray entspricht genau (oder zumindest ziemlich genau) der Farbe unseres Landys. Da die Kotflügel aus Aluminium sind, besteht auch keine Gefahr, dass sich die Farbe in Form von Rost selber ansetzt. Während Albi am Hämmern ist, räume ich das gesamte Fahrzeug leer und putze ausgiebig.
Ab und zu kommt ein Tourist vorbei und wundert sich über uns. Die spinnen die Schweizer! Da fahren sie in die Türkei in die Ferien und räumen dort das Auto aus, um zu putzen und die Kotflügel auszubeulen. Die würden besser, wie normale Leute, am Strand sitzen und sich vergnügen. Manch einer spricht uns auch aufs Fahrzeug an und meint, für die Türkei sei ein Geländefahrzeug genau das Richtige, bei den schlechten Strassen, die zum Teil ja nicht geteert seien.

Nach einer Woche packen wir unsere Sachen zusammen und machen uns auf die Weiterreise. Zuerst nach Antalya auf die Post. Die Nummernschilder sind noch immer nicht angekommen, dafür der Brief mit dem neuen Carnet de Passages und dem ETI‑Schutzbrief vom TCS.

Über Side fahren wir nach Alanya, wo wir die erste Nacht auf einem Campingplatz verbringen, wo wir von den zwei Nachbarhotels die Bingozahlen ins Ohr gebrüllt bekommen. Am Morgen ziehen wir dann auf den weiter entfernten staatlichen Platz in einem Pinienwald um. Hier können wir in Ruhe schlafen, bevor wir uns auf den langen Weg nach Ankara machen.
Die Hauptstadt empfängt uns mit herbstlich kalten Temperaturen. Wir ziehen mal wieder in ein Hotelzimmer. Von der Schweizer Botschaft benötigen wir ein Empfehlungsschreiben, damit wir auf der syrischen Vertretung ein Visum beantragen können. Während wir auf die Visa warten, suchen wir die Stadt nach Bücher ab. Vor allem einen Reiseführer über Ägypten brauchen wir noch. Aber leider werden wir nicht fündig. Dafür haben wir das Visum für Syrien. Jetzt fehlt nur noch das Paket mit den Nummernschildern. Notfalls tun es für die Weiterreise bis Ägypten auch die Falschen, weil wir uns ja nicht im Geltungsbereich der Versicherung befinden, aber spätestens ab Griechenland wäre es uns doch etwas unwohl, so wie jetzt durchs Land zu fahren.

Aber der Umweg über Antalya lohnt sich: Das Paket ist da! Die letzten paar hundert Kilometer in der Türkei sind die unangenehmsten. Um Adana herum befindet sich viele Chemiefabriken und Raffinerien, entsprechend verpestet ist die Luft. Trotz Hitze fahren wir mit verschlossenen Lüftungsklappen. Leider nützt das beim Landrover nicht allzu viel, es dringt auch so noch genügend stinkende Chemie ins Autoinnere.

Da in einem Reiseführer Syrien als „hardline islamisches Land“ bezeichnet wird, lege ich mir vor der Grenze das Kopftuch über die Haare. Als ich jedoch am Grenzposten sehe, wie die Frauen im syrischen Fahrzeug vor uns gekleidet sind, nehme ich das Tuch schnell wieder vom Kopf! Überhaupt zeichnet der Reiseführer ein ganz anderes Bild von diesem Land, als wir es erleben. Wir fühlen uns immer willkommen und werden extrem freundlich von der Bevölkerung aufgenommen. Zwar ist die Verständigung äussert schwierig, weil kaum einer ein wenig englisch oder mal französisch spricht.

Bis Tartus fahren wir am Meer entlang, dann schlagen wir die Richtung nach Homs ein. Dazwischen befindet sich der Krak de Chevalier, eine Kreuzritterburg. In Syrien hat es viele dieser Burgen, aber der Krak de Chevalier ist eine der besterhaltenen. Mehr als zwei Stunden laufen wir durch dieses riesige Gebäude und stellen uns jeweils vor, was wir mit diesem oder jenem Raum machen würden. Ausser einer syrischen Familie sind wir die einzigen Touristen.
Auch in Damaskus, unserem nächsten Ziel, sehen wir keine Europäer. Ausser den Schweizer Botschafter, denn wir benötigen neue Pässe, weil die alten voll sind. Danach beantragen wir das jordanische Visum. In dieser Zeit wohnen wir im ausserhalb gelegenen Campingplatz. Es ist ein grosser Platz mit hohen Bäumen und sogar einem (zwar leeren) Schwimmbad. Ob wohl früher Touristen hergekommen sind? Jetzt jedenfalls kommt kaum einer durch. Der Wärter spricht zwar nur ein paar Brocken französisch, aber im Buch, wo wir uns eintragen müssen, sehen wir, dass doch ab und zu jemand hier Halt macht.

Damaskus gefällt uns sehr gut. Wir lassen den Landy jeweils auf dem Campingplatz stehen und fahren mit dem Taxi in die Stadt. Dazu stellen wir uns an den Strassenrand. Aber meistens hält eines der ersten Privatautos an und nimmt uns mit. Von Bezahlung wollen die Leute nichts hören.
Mit seiner malerischen Lage und dem grossen Suq fühlen wir uns wie im Orient, wo wir schliesslich auch sind. Die Leute sind alle sehr nett, und von den Falaffel können wir nicht genug kriegen. Diese mit frittiertem Kichererbsenmus gefüllten Brotfladen sind hier, was McDonalds in der westlichen Welt ist. Sie sind äusserst schmackhaft und sehr billig. 15 Rappen bezahlen wir für eines dieser Sandwiches, ein Schawarma, die mit Fleisch gefüllte Variante, kostet dreimal mehr, also knapp einen halben Franken. Damit ist der Magen gefüllt!

Nachdem wir die neuen Pässe mit dem jordanischen Visum drin haben, versuchen wir noch die ägyptische Botschaft ausfindig zu machen. Es gelingt uns nicht. Offenbar gibt es sie nicht mehr. Also werden wir uns das Visum dann in Jordanien beschaffen.

Durch die Wüste fahren wir nach Bosra, wo das besterhaltenste römische Amphitheater steht. Es ist wirklich unglaublich gut erhalten, und wir fragen uns erneut, weshalb es in diesem Land keine Touristen hat.

An der Grenze zu Jordanien hat es sehr viel Verkehr. Trotzdem dauert es nicht lange, bis wir die Formalitäten erledigt haben. Aber wir merken, wie die Tage kürzer werden, denn es wird bereits dunkel. Wir essen noch etwas und suchen uns dann einen Schlafplatz. Dazu fahren wir in einen Feldweg und stellen uns an den Rand eines abgeernteten Feldes. Weil es immer noch so schön warm ist, setzen wir uns vors Auto und geniessen den Abend.
Plötzlich taucht ein Mann auf. Er spricht zwar kein englisch, macht uns jedoch darauf aufmerksam, dass wir auf seinem Land seien, und dass sich sein Haus nur 100 m von hier befinde. Wir sollen doch bitte zum Tee kommen. Wir erklären ihm, dass wir das Haus nicht gesehen haben, entschuldigen uns für die Störung und erklären ihm, dass wir hier im Auto übernachten möchten. Er besteht darauf, uns zum Tee einzuladen, also folgen wir ihm zu seinem Haus. Das Haus ist noch nicht ganz fertig und deshalb noch nicht am Strom angeschlossen. Weil ihm das Benzin für den Generator ausgegangen ist, haben wir auch kein Licht gesehen. Wir geben ihm etwas Benzin, damit er den Generator anschalten kann. Beim Geruch des Benzins rümpft er die Nase und meint, wir kommen wohl aus Syrien, denn nur dort stinke der Treibstoff so stark.

Im Haus lernen wir dann seine Familie kennen: Seine Mutter, seine Ehefrau, seine Schwester und seine kleine Tochter. Während wir Tee trinken, fragen wir uns gegenseitig aus. Zur Verständigung brauchen wir Hände, Füsse und Gesicht, denn unsere Sprachkenntnisse beschränken sich auf as‑Salaam alaykum und Shukran. Wir können ihnen erklären, dass wir uns auf einer Art langer Hochzeitsreise befinden. Weil wir erst ein Jahr verheiratet seien, hätten wir auch noch keine Kinder. Worauf die Mutter meint: „Inshallah“ das werde sicher noch kommen. Auch wenn wir uns mit Worten verständigen könnten, wäre es unmöglich, ihnen zu erklären, dass es in unserem Land Leute gibt, die freiwillig auf Kinder verzichten. Solche Leute würden hier sicher als Geistesgestörte oder Perverse angesehen. Das Haus besteht aus einer Küche, einem Schlafzimmer, wo das Ehepaar mit der Tochter schläft und dem Wohnzimmer, wo der Rest der Familie die Nacht verbringt. Uns wollen sie unbedingt das Schlafzimmer anbieten. Nur mit Mühe können wir sie überreden, dass wir seit einem Jahr in unserem Dachzelt schlafen und wir dort alles haben, was wir brauchen. Wir müssen das Zelt öffnen, damit sich die Mamma überzeugen kann, dass wir in diesem Ding auf dem Dach wirklich schlafen können. Dazu steigt sie mühsam die Leiter hoch und vergewissert sich.

Nach einer ruhigen Nacht steigen wir die Leiter runter und werden bereits von der Familie erwartet und ins Haus begleitet. Im Schlafzimmer ist wird uns ein Frühstück serviert. Es wäre zwecklos und absolut unhöflich, wenn wir uns gegen die Gastfreundschaft wehren würden. Deshalb nehmen wir das angebotene Fladenbrot und den Streichkäse dankend entgegen. Auf die warme Milch verzichten wir. Erstens, weil wir warme Milch nicht ausstehen können, aber vor allem wegen möglichen Bakterien, die sich häufig in nicht abgekochter Milch befinden. Wir erklären ihnen, dass Milch für unsere Mägen nicht gut sei. Dies verstehen sie, und ein paar Minuten später steht eine Kanne Tee vor uns.

Nach dem Essen plaudern wir noch ein wenig, dann verabschieden wir uns. Wir merken, dass die Familie nichts für ihre Gastfreundschaft erwartet und es im Gegenteil beleidigend wäre, ihnen etwas Materielles zu schenken. So geben wir ihnen nur unseren Dank. Wir werden gebeten, sie in guter Erinnerung zu halten und werden mit Allah’s Segen auf die Weiterreise geschickt. Nur ganz kurz stellen wir uns die gleiche Situation in der Schweiz vor, mit ausländischen Reisenden. Aber wir sind schon so lange unterwegs, so dass wir statt dessen der liebenswerten Familie einen kleinen Platz in unserem Herzen geben.

In Jerash sind die Ausgrabungen der römischen Stadt noch voll im Gang. Wir laufen durch die Gegend und können nur erahnen, was sich mit diesen Steinen alles wieder zusammen setzen lässt. Unser nächstes Ziel ist das Tote Meer, oder die „Died Sea“, wie es auf einem der wenigen in Englisch geschriebenen Wegweiser heisst. Dort wirft es uns beinahe um. Es ist zwar bereits Oktober, aber hier, auf 380 m unter Meeresspiegel ist es enorm heiss mit einer sehr hohen Luftfeuchtigkeit.
Bei einer Art Badeanstalt machen wir Halt. Wir ziehen die Badesachen an und steigen ins Meer. Bei den 30% Salz im Wasser ist es wirklich möglich, liegend die Zeitung zu lesen, ohne dass sie nass wird. Man schwimmt obenauf. Zum Glück, denn das Wasser ist so salzig, dass man sich sofort unter die Dusche stellen muss, falls einem ein paar Tropfen in die Augen gelangen.
Hier begegnen wir seit langem wieder einmal Touristen. Es sind Österreicher, die mit dem VW‑Bus während vier Wochen über Griechenland, die Türkei, Syrien, Jordanien und Ägypten dem östlichen Mittelmeer entlang fahren. Sie sind von Syrien und Jordanien ebenfalls begeistert. Die Landschaft, aber vor allem die Leute haben es ihnen wie auch uns angetan. Und wenn es mit der Verständigung häufig schwierig ist, so sind wir doch immer willkommen und werden mit einer Freundlichkeit aufgenommen, die wir sonst noch nie erlebt haben. Wir fassen den Vorsatz, irgendwann einmal arabisch zu lernen.

Auf der Kings Highway fahren wir durch tiefe Schluchten nach Petra, der touristischen Hauptattraktion von Jordanien. Die ersten Touristen sehen wir aber erst, nachdem wir eine Stunde durch einen schmalen Canyon gelaufen sind. Und plötzlich stehen wir vor dem ersten Gebäude. Es ist in die roten Felsen gehauen und absolut überwältigend. Nachdem wir beinahe den ganzen Tag in den verschiedenen Schluchten unzählige Bauten besichtigt haben, fahren wir in die Wüste zum Übernachten.

Der nächste Höhepunkt ist nicht weit weg: Das Wadi Rum. Man kann dieses Gebiet am besten als einen Wüstenpark beschreiben. Es hat wunderschöne Gesteinsformationen in eindrücklichen Farben und dazwischen ist alles voller Sand. Ein riesiger Spielkasten also. Einen Rastplatz auszuwählen ist äusserst schwierig, denn eine Stelle ist schöner als die andere. Und überall ist man mit der Natur allein und kann die Stille der Wüste geniessen.
Nur einmal, als mir Albi das Sandfahren beibringt, fährt ein Auto vorbei. Wir haben gerade beschlossen, dass es der Landy nicht die Düne hoch schafft, da braust ein Hi‑Lux neben uns den Sandberg hoch, die Kleider und Kopfbedeckungen der zwei einheimischen Männer wehen im offenen Toyota hinter ihnen her. Da kann es Albi nicht lassen. Er setzt sich ans Steuer und schafft es nach ein paar Anläufen die Steigung hoch. Oben angekommen, ist der heisse Sand noch weicher, und wir stecken schnell fest. Nun heisst es an die Arbeit! Was soviel bedeutet wie: Ich nehme die Kamera und schaue zu, wie Albi schaufelt. Schliesslich hat er voller Überzeugung erklärt, dass wir sicher nicht feststecken werden. Da wir bei unserer Saharadurchquerung schon nie schaufeln mussten, macht es ihm sogar Spass, es jetzt mal zu tun.

In Aqaba holen wir auf der ägyptischen Botschaft die nötigen Visa und erkundigen uns nach der Fähre nach Nuweiba. Weil der Landweg über Israel nicht möglich ist, bezahlen wir 135 US$ für die dreistündige Überfahrt. Wir können weder mit Kreditkarten noch in Lokalwährung bezahlen. Auch von Traveller Checks will die ägyptische Fährgesellschaft nichts wissen. Für Ausländer gelte es, die Tickets in Dollar bar zu bezahlen. Zum Glück haben wir genügend dabei. Nur die mittlerweile ebenfalls eingetroffenen Österreicher haben keine amerikanischen Dollars, also helfen wir ihnen mit einem Vorschuss aus.

Am späten Nachmittag erledigen wir die Ausreiseformalitäten und fahren auf die Fähre. Mit einer Stunde Verspätung legt sie am 8. Oktober 1991 Richtung Ägypten ab. Um 22 Uhr erreichen wir Nuweiba, aber erst um 2 Uhr früh sind die Einreiseformalitäten erledigt. Wir werden als letzte Fahrzeuge abgefertigt, weil wir Touristen sind und ja Zeit haben. Nach der grenzpolizeilichen Kontrolle macht sich der Zoll an die Arbeit. Wir müssen die Fahrzeuge auf eine Grube fahren, damit die Zöllner kontrollieren können, ob wir auch wirklich kein Rauschgift ins Land schmuggeln. Mit einem Draht fingern sie im Chassis rum und hoffen, versteckte Pakete zu entdecken. Nachdem wir als sauber erklärt werden, wird das Carnet de Passages ausgefüllt, eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen, und wir erhalten eine Fahrgenehmigung samt dazugehörigem ägyptischen Nummernschild.

Nach vier Stunden Schlaf fahren wir gemeinsam mit den Österreichern bis nach Sharm as‑Sheikh. Die drei Hotels sind mit Israelis gefüllt. Weil der Sinai noch immer unter UNO‑Beobachtung steht, dürfen sie ohne grosse Umstände mit ihren Fahrzeugen bis hierher fahren. Sie kommen vor allem, weil hier das Tauchen viel billiger und besser ist als bei ihnen in Eilat. Für uns hat Sharm as‑Sheikh nicht viel zu bieten. Nicht einmal einkaufen, können wir hier. In den paar wenigen kleinen Läden gibt es ausser Brot, Zitronen und Thonbüchsen nichts zu kaufen.

Nach zwei Tagen fahren wir auf der anderen Seite den Sinai wieder hoch. Wir wissen, dass wir nächstens auf den Suez‑Kanal stossen werden. Als aber plötzlich ein Schiff die Strasse kreuzt, trauen wir unseren Augen kaum. Da man das Wasser nicht sieht, scheint es, als fahre das Schiff mitten durch die Wüste. Hatten wir gehofft, den Kanal auf einer Brücke zu überqueren, so werden wir enttäuscht: Die Strasse führt in einem Tunnel unter der wichtigen Schifffahrtsstrasse durch.
Bald darauf stürzen wir uns in das Chaos von Kairo. Weil wir immer noch keinen Reiseführer und entsprechende Detailkarte von Kairo haben, fahren wir etwas hilflos durch diese Grossstadt. Auf dem Weg zum Campingplatz werden wir von der Dämmerung überrascht. Es käme uns nie in den Sinn, z.B. in Indien nachts unterwegs zu sein, aber nach einer halben Stunde Fahrt in Kairo, ziehen wir Indien bei Nacht vor! Der Verkehr hier ist enorm schnell und rücksichtslos. Auf einer richtungsgetrennten Strasse fährt Albi mit ziemlich grossem Abstand hinter einem neuen BMW her, weil die Rücklichter so hell sind, dass sie blenden. Plötzlich kommt uns von der Gegenfahrbahn ein fliegendes Taxi entgegen. Mit dem Dach landet es auf der Windschutzscheibe des BMW’s, spickt wieder weg und kommt dank Albis Vollbremsung einen Meter vor uns zum Stillstand. Auf dem Dach natürlich! Der Fahrer kriecht unverletzt aus dem noch intakten Hyundai, aber der BMW sieht gar nicht gut aus. Drei scheinbar unversehrte Frauen steigen aus, aber vom Fahrer ist durch die total eingequetschte Dachfront nicht mehr viel zu sehen. Weil es genug Leute auf der Unfallstelle hat, machen wir uns aus dem Staub. Als Ausländer möchten wir nicht unnötig die Bekanntschaft der Polizei machen, auch nicht als Zeugen eines Unfalls. Abgesehen davon ist der Unfallhergang klar ersichtlich, und es hat genügend einheimische Leute, um wenn nötig oder noch möglich zu helfen.
Körperlich und auch seelisch erschöpft erreichen wir den Campingplatz. Hier hat es ein paar deutsche Touristen, die mit nacktem Oberkörper draussen sitzen und abend essen. Wir kochen uns ebenfalls etwas, aber bei kalten 20° C ziehen wir dazu unsere wärmsten Kleider an. So tiefe Temperaturen hatten wir seit Ewigkeiten nicht mehr. Wir verkriechen uns schnell in die warmen Schlafsäcke.

Als erstes stehen natürlich die Pyramiden von Ghiza auf dem Programm. Bereits vom Campingplatz aus haben wir ihre Spitzen durch die Palmenhaine erblicken können. Wir haben uns die Sache sehr touristisch vorgestellt und sind überrascht, dass wir die Denkmäler in Ruhe besichtigen können. Nachdem wir auch noch die Sphinx bewundert haben, reicht es für den ersten Tag.
Den nächsten Tag widmen wir ganz der riesigen Stadt Kairo. Mit dem Landy fahren wir endlos um dieses Gebilde herum und quer durch, wie uns der Verkehr gerade leitet. Das ist eine Art Stadtbesichtigung, die viele Leute verachten. Wir aber erhalten innert kurzer Zeit einen Überblick über eine Stadt, und während wir durch die Strassen fahren und speziell bei den vielen Rotlichtern, die es in jeder Stadt hat, können wir sehr viel aufnehmen. Zu Fuss hat man natürlich viele andere Vorteile, aber man bewegt sich nur in einem kleinen Raum, hingegen mit dem Auto schafft man es sogar in Kairo, die Stadt zu erkunden. Wo es uns interessiert, machen wir dann Halt und steigen aus.

Noch wichtiger als die Pyramiden ist das ägyptische Museum. Im Verkehrschaos, das vor dem Museum herrscht, werden wir reich beglückt: Mit einem Parkplatz! Danach wandeln wir durch die unermesslichen Schätze aus der Zeit der Pharaonen. Um diejenigen aus dem Grab Tutenchamuns zu besichten, müssen wir anstehen, weil die vielen Reisegruppen vor allem deswegen kommen. Aber im Rest des Museums findet man immer genügend Platz und Ruhe, um alles zu bewundern.

Bei einem Hotel in der Nähe des Campingplatzes sehen wir komische Autowracks. Es handelt sich dabei um die ausgeschiedenen Fahrzeuge der Pharaonen‑Rallye. Wir nehmen sie in Augenschein. Auch ein paar Ägypter sind hier. Bei einem Fahrzeug, das vorne stark beschädigt ist, erklärt uns einer der Männer, dass der Fahrer schwer verletzt sei. „No legs“ meint er zu uns. Wir schauen uns die Sache genauer an und entdecken den, auf der Seite aufgemalten Namen des Fahrers: Clay Regazzoni! Wir versuchen ausfindig zu machen, wo die Rallye im Moment durchfährt, um vielleicht zuzuschauen, aber das ist unmöglich. Jeder weiss von der Rallye, aber niemand hat eine Ahnung, wo sie gerade ist. Also lassen wir’s sein.

Dafür machen wir uns auf den Weg nach Süden. Immer dem Nil entlang fahren wir durch den schmalen Streifen, der durch das Wasser fruchtbar gemacht wird. Rechts und links vom Fluss ist alles grün, bevor ganz abrupt die Wüste beginnt. Unterwegs nach Luxor besichtigen wir den einen und anderen Tempel. Wir sind begeistert von diesen Bauwerken und denken, dass es in Luxor auch nicht schöner sein kann. Weit gefehlt! Die Tempelanlage von Karnak oder der Luxor‑Tempel bei Sonnenuntergang sind etwas vom Eindrücklichsten, was wir bisher gesehen haben. Wir verbringen drei Tage hier und lernen viel kennen. So zum Beispiel die Tatsache, dass eine Wasser‑ oder Colaflasche an der Hauptstrasse (wo es Touristen hat) doppelt so teuer ist, wie in einer Nebenstrasse (wo sich die Touristen offenbar nicht hin begeben).

Weiter Nil aufwärts fahren wir bis Assuan. Hier besichtigen wir den Damm des Nasser‑Stausees, einen der drei grössten Staudämme der Welt. Jetzt können die alljährlichen Überflutungen und die später folgende Dürre verhindert werden. Dafür fehlt den Bauern die natürliche Düngung, und in etwa 40 Jahren wird der ganze Stausee mit dem Nilschlamm gefüllt sein. Nachdem wir dieses sowjetisch-ägyptische Freundschaftsprodukt genug bewundert haben, nehmen wir die 300 km Wüstenstrecke nach Abu Simbel in Angriff.

Dieses von Ramses II erbaute Denkmal wird zweimal im Jahr von Leuten überflutet. Am 22.2. und am 22.10. erreichen die ersten Sonnenstrahlen des Tages das Innerste des Tempels. Wir haben heute den 22. Oktober 1991 und entsprechend gross ist der Ansturm auf den Tempel kurz vor Sonnenaufgang. Auch wir würden dieses Spektakel gerne miterleben, aber die zahlenden Touristen dürfen erst hinein, nachdem die geladene Prominenz genug gesehen hat. Mittlerweile ist das Innerste natürlich wieder im Dunkeln.
Bei der Kasse entdecken wir ein Schild, wo die Eintrittspreise aufgelistet sind. So steht in Englisch geschrieben, dass der Eintritt 21 ägyptische Pfund kostet. Bei der arabischen Version kostet es nur 0.50 E£. Bereits in Petra war es so, dass die einheimische Bevölkerung nur die Hälfte bezahlen musste, aber hier wird uns Touristen 40 Mal mehr abverlangt als den Einheimischen, von denen die meisten heute wohl eh nichts bezahlt haben, weil sie zur politischen Elite gehören. Der armen Bevölkerung kommt der tiefe Preis nicht zugute. Wie sollen sie auch Zeit und Geld haben, in diese abgelegene Gegend reisen zu können. Und ausserdem war es die UNESCO, die es ermöglicht hat, dass wir dieses Denkmal überhaupt noch besichtigen können. Wäre es nach dem ägyptischen Staat gegangen, stünde es jetzt überflutet im Assuan Stausee. Die UNESCO, mit Hilfe der Gelder der westlichen Welt, hat dieses Bauwerk Stein für Stein von seinem alten Standort entfernt und hier wieder aufgebaut.

Wir fahren zurück nach Luxor, wo wir zuerst auf dem staatlichen Reisebüro eine Schiffspassage nach Griechenland buchen. Dann wollen wir nach Theben und ins Kings Valley. Dazu müssen wir auf die andere Seite des Nils. Es gibt keine Brücke, und man sagt uns, die Autofähre sei ausser Betrieb. Den meisten Touristen ist das egal, da sie ohne eigenen fahrbaren Untersatz hier sind und eine der zahlreichen Feluken zur Überfahrt brauchen. Aber wir sind lieber mit dem Landy unterwegs, so dass wir auch unsere Übernachtungsmöglichkeit mit dabei haben. Also fahren wir 50 km Fluss aufwärts zur nächstgelegenen Brücke.
Am Eingang müssen wir Eintrittsgebühr bezahlen. Für jeden einzelnen Tempel und jedes Grab müssen wir hier ein Ticket lösen. Wir werfen kurz einen Blick in den Reiseführer, bevor wir entscheiden, was wir besichtigen möchten. Dann kaufen wir die benötigten Tickets und machen uns auf den Weg. Wir sind froh, das eigene Fahrzeug zu haben, denn es ist so weitläufig, dass man ein Taxi bräuchte. Und die sind hier natürlich beinahe unbezahlbar.
Zuerst fahren wir ins Tal der Könige. Für die Pharaonengräber haben wir ein 3er Ticket gelöst. Das heisst, dass wir in drei der unzähligen Gräber hinabsteigen dürfen. Die Auswahl, welche das sein sollen, fällt uns nicht sonderlich schwer. Von den grösseren und berühmteren Gräbern sind die meisten geschlossen, so dass nicht viele zur Besichtigung zur Verfügung stehen. Pro Tag werden nur eine gewisse Anzahl Leute in ein Grab gelassen, damit durch die Körperfeuchtigkeit die Malereien nicht zerstört werden. Wir nehmen an, dass die schönsten Gräber für Gruppen reserviert bleiben. Aber auch so ist es eindrücklich, in die Kammern zu steigen und sich vorzustellen, dass die ganze Gegend durchlöchert ist. Im Tal wie auch in den Gräbern ist es enorm heiss.
Gegen Mittag kommen wir nach Theben. Hier besichtigen wir verschiedene Tempel, unter anderem auch den von Seti I. Besser gesagt, wir möchten ihn gerne besichtigen, haben wir doch dafür ein Ticket gelöst und bezahlt. Aber alles ist abgeschlossen und niemand in Sicht. Wir warten, aber es kommt niemand. Nachdem wir den Rest gesehen haben, fahren wir zum Eingang zurück. Dort erklären wir, dass wir den Tempel nicht besichtigen konnten und verlangen das Geld zurück. Der Ticketverkäufer sagt uns, es sei unmöglich, dass der Tempel verschlossen und niemand dort sei. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang seien alle Tempel immer geöffnet, also gebe er uns nichts zurück. Mittlerweile ist ein Polizist von der Tourist‑Police bei uns und meint, wir sollen nicht lügen, er wisse ganz genau, dass jemand beim Tempel sei. Nachdem immer mehr Leute drohend auf uns einreden, machen wir, dass wir davon kommen. Dabei haben wir nur freundlich das Geld für ein nicht gebrauchtes Ticket zurück verlangen wollen!

Am Abend erfahren wir auf dem Campingplatz, dass die Autofähre in Betrieb war. Wir sind ziemlich frustriert und überlegen uns, was man aus dem arabischen Namen von Ägypten, von Misr, ableiten könnte.

Durch die Wüste fahren wir ans Rote Meer. Wir suchen einen Ort, wo wir ein paar Tage Ferien machen können. Albi möchte auch noch ein wenig tauchen. Aber die Gegend um Hurghada besteht nur aus Wüste, Abfall und Baustellen. Das einzig wirklich schöne in diesem Ort ist die neue Moschee. Überall wird gebaut, es scheint, als erwarten sie in den nächsten Jahren einen riesigen Touristenansturm. Wir können uns das nicht so recht vorstellen. Wer möchte hier schon Ferien verbringen, es gibt ausser dem Meer nichts. Der einzige Campingplatz ist absolut trostlos und leer, und einfach ans Meer zu fahren und dort zu campieren, trauen wir uns nicht. Die ganze Küste ist vom Sechstagekrieg her noch immer vermint, wovor auch überall gewarnt wird. Da Albi ausserdem erkältet ist und so gar nicht tauchen könnte, fahren wir wieder in die Wüste. Nach ein paar Kilometern hat es auch keinen Abfall mehr, und wir fühlen uns wieder wohl.

Die restlichen paar Tage bis zur Abfahrt der Fähre verbringen wir in Ghiza. Wir fahren wieder viel in Kairo rum, besuchen die Zitadelle und Old Cairo. Weil es tagsüber noch angenehm warm ist, sitzen wir viel im ruhigen und gemütlichen Garten des Campingplatzes.

Am 2. November 1991 ist es dann soweit. Wir nehmen die kurze Strecke nach Alexandria unter die Räder. Dort begeben wir uns auf das Mena‑Tour Office. Mehr als eine Stunde dauert es, bis das Reisebüro die Tickets für die gebuchte Fährpassage nach Athen ausgestellt hat. Dann übergeben wir dem Cashier die mehrfach abgezählten 2300 E£. Er zählt das Geld durch und erklärt, es fehlen 400 E£ (Fr. 200). Das ist unmöglich. Er streckt uns das Bündel entgegen, damit wir nachzählen können. Und natürlich sind es mittlerweile nur noch 1900 E£! Aber wie sollen wir unseren Verdacht, dass er beim Zählen ein paar Noten abgezwackt hat, beweisen können? Ausserdem fährt in wenigen Stunden unser Schiff. Wir haben also gar keine Zeit, die Polizei davon zu überzeugen, dass wir betrogen worden sind. Nach unserer Erfahrung mit der Tourist Police, sind wir nicht erpicht darauf, einen Versuch zu machen. Also verlassen wir das staatliche Reisebüro um Fr. 200 erleichtert und laufen zum Landy. Der erwartet uns mit einem flachen Reifen.

Dieser Abschluss nach einem Monat Ägypten ist irgendwie nicht unpassend. Zwar ist das Land sehr schön, die meisten Leute freundlich, und die Kulturdenkmäler sind einzigartig. Aber überall wo wir mit staatlichen Institutionen in Kontakt gekommen sind, fühlten wir uns immer irgendwie ausgenommen. Zwar willkommen als zahlende Touristen, aber gleichzeitig auch störend. Sei es am Zoll, auf dem staatlichen Campingplatz von Assuan, an den Zahlstellen bei Denkmälern und an anderen Orten wurden wir nie höflich und schon gar nicht freundlich empfangen. Man könnte jetzt sagen, das liege am Massentourismus. Das stimmt jedoch nicht. Erstens hat es an vielen Orten (wie z.B. der Zoll in Nuweiba), wo wir als Einzelreisende waren, fast keine Touristen, und ausserdem gibt es vielerorts auf der ganzen Welt Massentourismus. In Phuket beispielsweise sind die Einheimischen ebenso freundlich wie im Rest von Thailand. Die einfachen Leute jedoch sind, wenn auch nicht so herzlich wie in Syrien und Jordanien, meistens freundlich.

Um acht Uhr abends dürfen wir aufs Schiff der Adriatica Lines fahren. Hier sind wir bereits wieder in Europa: Alles ist organisiert, und unsere Kabine ist ein Traum. So neu, so sauber, sogar WC‑Papier hat es! Und erst das Abendessen! Italienisches Essen vom Feinsten!
In der Nacht beginnt das Schiff stark zu schaukeln. Wir sind offenbar in einen Sturm geraten. Den ganzen nächsten Tag bewegt sich mein Bett auf und ab, hin und her. Aber die meiste Zeit bleibe ich trotzdem in flacher Stellung, weil das Stehen noch schlimmer ist. Albi ist topfit und bewegt sich als einer der wenigen auf dem Schiff. Das wunderbare Buffet teilt er sich mit den paar Passagieren, die sich auf den Füssen halten können. Er balanciert ein Tablett in die Kabine, damit auch ich etwas in den Magen bekomme.

Eigentlich hätten wir am Abend in Heraklion auf Kreta ankommen sollen, aber wegen dem Sturm verbringen wir eine zweite Nacht auf dem Schiff. Am Morgen hat sich das Meer beruhigt und wir verlassen das Schiff. Wir haben einen Stopover in Kreta gebucht und werden dann in einer Woche mit dem nächsten Schiff der Adriatica nach Athen fahren.

Die Kälte wirft uns beinahe um. Wir hoffen, das ist nur vorübergehend, wegen dem Sturm der letzten Tage. Jetzt, wo die Sonne wieder da ist, wird es wohl schnell wieder wärmer. Wir kaufen eine Strassenkarte und machen uns auf, die Insel zu erkunden. Viel Zeit brauchen wir dafür nicht. Es gibt einfach nicht viel zu sehen hier. Mit Knossos können wir uns nicht anfreunden, zu grossartig waren da die ägyptischen Bauten, die alles andere in den Schatten stellen.

Wieder zurück in Heraklion suchen wir den Landrover‑Händler auf. Unser Landy braucht nämlich dringend einen neuen Luftfilter. Der Benzinverbrauch ist nämlich mittlerweile wieder wie schon in Indien unanständig hoch, der Motor bekommt einfach nicht genügend Luft. Den Filter zu putzen ist nicht möglich, er ist viel zu verdreckt. Aber leider haben sie unser Modell nicht an Lager, also verschieben wir den Wechsel auf später in Athen.

Die Touristensaison ist auf Kreta vorbei. Es ist leer hier. In der Stadt übernachten wir verbotenerweise vor dem Campingplatz, weil der geschlossen ist. Ausserdem hat sich das Wetter nicht gebessert, so dass wir uns darauf freuen, die Insel zu verlassen. Auf dem Büro der Adriatica Lines erkundigen wir uns nach der genauen Abfahrzeit der nächsten Fähre. Sie teilen uns mit, dass es nicht möglich ist, mit der Adriatica Lines von Heraklion nach Athen zu fahren. Die italienische Fähre darf zwar Passagiere zwischen Ägypten und Griechenland befördern, nicht jedoch zwischen zwei griechischen Destinationen. Da haben die griechischen Fährgesellschaften das Monopol. Wir zeigen unsere Tickets, wo klar geschrieben steht, dass wir ein Überfahrt von Alexandria nach Athen mit Stopover in Heraklion gebucht und bezahlt haben. Es wird uns nochmals erklärt, dass sie uns unter keinen Umständen befördern können, bei einem Verstoss würden sie hoch gebüsst. Uns bleibt nichts anderes übrig, als bei einer griechischen Gesellschaft eine Überfahrt zu buchen. Wir versuchen vergeblich bei der Adriatica das zuviel bezahlte Geld zurück zu erhalten. Der Fehler liege nicht bei Ihnen, sondern beim ägyptischen Reisebüro. Dort hätten sie uns dieses Ticket gar nicht verkaufen dürfen. Wir sehen, dass sich hier nichts machen lässt und verwünschen nochmals die Mitarbeiter des Reisebüros in Alexandria.
Die nächste griechische Fähre fährt erst in drei Tagen, weil morgen und übermorgen die Hafenarbeiter streiken werden. Also kaufen wir ein Ticket für Samstag und fahren auf den einzigen offenen Campingplatz der Insel.

Kurz bevor wir auf die Fähre fahren, ist schon wieder ein Reifen platt. Es scheint, als gefalle es dem Landy nicht, auf eine Fähre zu gehen. Die Kabinen sind in Ordnung, das Essen gerade geniessbar. Mit etwas Wehmut denken wir an das italienische Buffet, das uns nun verwehrt bleibt.

An einem Sonntag in Athen anzukommen ist nicht sehr praktisch. Alles ist geschlossen, so dass wir uns auf den Campingplatz verkriechen. Dafür geht’s am nächsten Morgen gleich zu einem Landrover‑Händler. Der schickt uns weiter zu einer Firma, die Landrover‑Teile verkauft. Dort erhalten wir die niederschmetternde Antwort: Nein, einen solchen Luftfilter haben sie nicht an Lager! Offenbar fahren in Griechenland entweder Diesellandys oder eben solche mit vier oder sechs Zylindern rum, jedenfalls keine V8. Der Mensch hat Bedauern mit uns und sagt, wir sollen einen Moment warten. Darauf nimmt er das Telefon zur Hand und verbringt die nächste halbe Stunde damit, einen passenden Luftfilter ausfindig zu machen. Und wirklich, er hat Erfolg! Weil wir’s sonst wohl kaum finden würden, fahren wir mit einem Taxi an die Adresse, die er uns gibt. Erst als wir dort sind und den Filter in den Händen haben, sind wir sicher, ja es ist der richtige. Zurück beim Landy bauen wir ihn an Ort und Stelle gleich ein. Und sofort läuft der Motor wieder wie geölt.

Nun sind wir gewappnet, Athen ein wenig zu besichtigen. Natürlich fahren wir auf die Akropolis, von wo wir einen schönen Überblick über die Stadt haben. Dank dem kalten und windigen Wetter hat es keinen Smog. Obschon wir, ehrlich gesagt, gerne die Aussicht gegen Wärme getauscht hätten.
Weil im Balkan neuerdings Krieg geführt wird, wissen wir noch nicht, ob wir durch Jugoslawien zurück fahren können. Um ausweichen zu können, holen wir auf der rumänischen Botschaft die nötigen Visa. Es dauert fünf Minuten, bis wir das Visum im Pass haben. Wirklich, wir befinden uns wieder in Europa! Das merken wir auch eine halbe Stunde später, als wir in einen grossen Supermarkt gehen. Mit riesigen Augen und offenen Mündern klammern wir uns an einen Einkaufswagen. Hier gibt es alles, aber wirklich alles! Wie kleine Kinder rennen wir mit unserem Wägelchen von Regel zu Regal und kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Es ist doch gar nicht möglich, dass es soviel zu kaufen gibt! An der Kasse angekommen, haben wir unseren Wagen natürlich gefüllt. Mit den leckersten Dingen, die man sich nur vorstellen kann. Zum Glück können wir mit der Kreditkarte bezahlen.

Es hält uns nichts mehr in Athen. Wir machen uns auf den Heimweg. Es wird immer kälter, so dass wir die schönen Klöster von Meteora nur vom Auto aus besichtigen.
Bei Thessaloniki müssen wir uns entscheiden, ob wir durch Jugoslawien durchfahren wollen oder nicht. Wir stellen uns neben die Kreuzung und warten ab, welchen Weg die vielen Überlandlastwagen nehmen. Ausnahmslos fahren alle Richtung Jugoslawien, so dass wir uns ihnen anschliessen. Auf dem Autoput kommen wir recht zügig voran. Hoffentlich, denn die Gebühren sind unanständig hoch. Weil es keine durchgehenden Hauptstrassen gibt, bleibt uns und allen anderen nichts anderes übrig, als das Geld zu bezahlen, das wohl gleich in den Krieg gesteckt wird.
Nach Belgrad verlassen wir die Autobahn und fahren zusammen mit den LKWs Richtung Ungarn. Südlich von Vukovar hören wir Donnerschläge, die wohl von der Kriegsmaschinerie herrühren. Wir sind froh Jugoslawien (oder sollte man eher Serbien sagen) verlassen zu können.

Ungarn macht auf uns einen sehr angenehmen Eindruck. Das Essen ist sehr gut, die Leute sind freundlich, und es scheint der Bevölkerung nicht schlecht zu gehen. Von einem Ostblockland ist nicht mehr viel zu erkennen. Überall hat es Supermärkte, neue Autos, und sogar der amerikanische Fastfood ist angekommen. Weil es aber auch hier Spätherbst ist, halten wir uns nicht länger in Ungarn auf.

In Österreich erreicht uns dann bereits der Winter. Es ist eiskalt, und für Schnee sind wir wirklich noch nicht abgehärtet genug. Darauf wird jedoch keine Rücksicht genommen. Sehr vorsichtig fahren wir auf den teilweise glatten Strassen, denn die Reifen haben kein Profil mehr. In Salzburg versuchen wir vergebens, neue Finken für den Landy zu kaufen, unsere Grösse gibt es hier nicht. Ist der Landy eigentlich ein exotisches Fahrzeug, wo man nie die benötigten Ersatzteile findet? Wir fahren über die Grenze nach Deutschland. Aber auch in Rosenheim bekommen wir die gleiche Antwort. Die gewünschte Grösse (einfach für ganz normale Landrover-Felgen) ist nicht erhältlich.

So treffen wir dann auf dem letzten Gummi sozusagen, am 20. November 1991 wieder in der Schweiz ein. Nach einem Jahr, einem Monat, einer Woche und einem Tag auf Reisen sind wir ziemlich pleite aber trotzdem unermesslich reicher.


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