Algerien

Tlemcen ist die erste algerische Stadt nach der Grenze. Hier hat es einen Campingplatz, wo wir uns für ein paar Tage niederlassen und uns von der ersten Etappe erholen. Ich wasche die schmutzigen Kleider und Albi schaut, ob es am Landy etwas zum Schrauben gibt. Wir lernen die uns fremde Mentalität der Nordafrikaner ein wenig kennen, und vor allem setzen wir uns viel mit unseren Reisekameraden zusammen und freuen uns auf die kommenden Wochen und Monate. Wir diskutieren darüber, wie es wohl aussieht südlich der Sahara, und ob es wirklich ein Durchkommen gibt in Zaire. Und ob das Geld noch reichen wird, um von Kapstadt wie geplant nach Südamerika zu verschiffen. Tinu wird uns in ein paar Tagen verlassen, und dann werden wir noch zu sechst mit drei Autos unsere Pläne verwirklichen.

Eine Tagesetappe weiter südlich bleibt Ruedis Landy stehen. Wegen eines defekten Simmeringes verliert das Getriebe soviel Öl, dass es nicht mehr möglich ist, weiter zu fahren. Ruedi hat das entsprechende Ersatzteil mit dabei, weil er schon länger wusste, dass der Simmering undicht ist. Natürlich wäre es einfacher gewesen, die Reparatur vorsorglich bereits in der Schweiz vorzunehmen, aber Ruedi ist nun mal so! Die Männer steigen in ihre Überkleider und machen sich an die Arbeit. Das V8‑Getriebe runter holen, Dichtung wechseln und das schwere Ding wieder befestigen. Nach sieben Stunden ist die Operation erfolgreich beendet. Alle sind verstaubt und schmutzig und fluchen über die Hitze und den Sand.

In Aïn Sefra machen sich die ersten kleinen Meinungsverschiedenheiten in unserer Gruppe bemerkbar. Urs, René, Albi und ich möchten gerne mal wieder auswärts essen gehen. Wir wollen davon profitieren, dass es hier noch Restaurants hat und glauben, dass wir früh genug aus unseren eigenen Kochtöpfen werden leben müssen. Ausserdem wollen wir mit unseren Vorräten möglichst sparsam umgehen, solange wir noch nicht darauf angewiesen sind. Ruedi und Margrith dagegen wollen unbedingt auf dem Campingplatz Lagerfeuerromantik haben und dazu ein paar Konservendosen öffnen. Wir sind der Meinung, dass man auch in einer Gruppe nicht immer alles gemeinsam unternehmen muss und gehen daher nur zu viert essen.

Die Gegend wird immer einsamer, und als wir gegen Abend die Oase Taghit erreichen, sehen wir im Abendrot die riesigen Sanddünen des Grand Erg Occidental. Gleich am nächsten Morgen steigen wir die ersten paar Dünen hoch und sind beeindruckt vom Blick gegen Osten, wo sich das Dünenmeer Hunderte von Kilometern zum Horizont erstreckt. Leider haben wir nicht daran gedacht, Plastiksäcke mitzunehmen, um darauf die Dünen runter zu schlitteln. Aber auch das Hinunterrennen ist toll, wenn man daran denkt, wie mühsam der Aufstieg war.
Die restliche Zeit verbringen wir mit der Erkundung dieser schönen Oase. Und zum Abendessen gibt es endlich einmal ein Couscous. Leider macht es sich am folgenden Morgen bei Urs und Albi im Magen und Darm bemerkbar. Böse Zungen behaupten, dass sowas beim selber Kochen nicht passieren würde.
Weil die anderen zur Weiterfahrt drängen, packen wir zusammen und ich setze mich ans Steuer, damit sich Albi nicht anstrengen muss. Weit fahren wir heute jedoch nicht. Beni Abbes ist ein so angenehmer Ort, dass wir hier bleiben. Etwas abseits der Häuser setzen wir uns an eine Mauer gedrängt in den kargen Mittagsschatten und ruhen uns aus. Wir bleiben aber nicht lange alleine. Ein Mann erkundigt sich, wer wir sind und lädt uns zu einem Tee ein. Nachdem wir eine Weile geplaudert haben, möchte er uns zu seiner Familie zum Abendessen einladen. Wir versuchen höflich abzulehnen, weil wir doch immerhin acht Personen sind, aber es ist zwecklos. Wir müssen versprechen, bei ihnen zu erscheinen. Der Abend verläuft sehr unterhaltsam, und das festliche Couscous schmeckt ausgezeichnet.

Zum Glück können wir uns am nächsten Tag bei der Familie revanchieren. Damit sie das in 12 m Tiefe gelegene Grundwasser auf die Gemüsefelder bringen können, benötigen sie eine Wasserpumpe. Diese funktioniert jedoch seit ein paar Tagen nicht mehr. Also machen sich Urs, René und Albi zusammen mit den Männern der Familie an die Reparatur.
Unterdessen werde ich von der weiblichen Hälfte des Clans in die Mitte genommen und zuerst mal gründlich ausgefragt: Über mein Leben in der Schweiz, ob wir verheiratet seien, Kinder etc. Dann erfahre ich sehr viel über ihren Alltag und ihre Freuden und Sorgen und bin erstaunt zu hören, dass die eine Frau vor ein paar Wochen ihren Ehemann verlassen und eine Scheidung eingereicht habe, weil er „zu nichts tauge“. Jetzt ist sie wieder zurück bei ihrer Familie und sucht einen neuen und hoffentlich besseren Ehegatten. Soviel zur Stellung von moslemischen Ehefrauen! Während wir plaudern und Tee trinken, reparieren die Männer den Motor der Wasserpumpe.

Nach diesem recht anstrengenden Tag sind wir alle vier ziemlich müde. Wir gehen mit dem Rest unserer Reisegruppe ins Hotel Abendessen und verabschieden uns danach von Tinu und Dänu, die noch nach Tamanrasset fahren wollen, bevor ihre Ferien zu Ende sind. Gerade im letzten Moment dieser Abschiedszene, als wir um unsere Fahrzeuge stehen, sagt uns Ruedi kurz und bündig, er und Margrith werden mit Tinu mitfahren, steigt ins Auto und fährt in die dunkle Nacht. Wir stehen sprachlos und schockiert da: Acht kleine Negerlein, und da waren’s nur noch vier! Wir wissen nicht, woher dieser Sinneswandel kommt, es ist doch gerade Ruedi, der sich enorm auf Schwarzafrika gefreut hat, der unbedingt der Schweiz „entfliehen“ wollte. Natürlich haben auch wir gemerkt, dass in unserer Gruppe nicht immer alles stimmt, aber Anfangsschwierigkeiten gibt es immer, und wir wollten mit einer „Aussprache“ warten, bis Tinu nicht mehr mit dabei ist. Dass sich Albis bester Freund einfach so aus dem Staub machen würde, dazu noch mit einem Teil der gemeinsamen Ersatzteile, das hätten wir nie und nimmer für möglich gehalten. Wir vier setzen uns zusammen und beraten die neue Situation. Dabei stellen wir fest, dass an unseren Reiseplänen eigentlich nichts ändert, ausser, dass wir nur noch mit zwei Fahrzeugen unterwegs sind, und dass wir eventuell froh sein können, ist diese Sache jetzt und nicht erst mitten in der Wüste passiert.

Am 2. November 1990 melden wir uns auf der Polizeistation in Reggane ab. Dabei wird kontrolliert, ob wir für die Saharadurchquerung auch entsprechend ausgerüstet sind. Dann werden wir in ein Buch eingetragen, und wir dürfen mit Allah’s Segen aufbrechen. Die ersten 60 km sind äusserst mühsam, weil es das Gelände nicht erlaubt, neben der Piste zu fahren, und diese Piste besteht nur aus Wellblech, das uns und unsere Landys durchschüttelt. Danach wird die Landschaft topfeben, und wir können fahren, wo wir Lust haben. Einfach die Balisen müssen wir im Auge behalten, dann kann nichts schief gehen.
Bei Kilometer 200 sehen wir einen riesigen Wald am Horizont, und wir sind überzeugt, eine Fata Morgana vor uns zu haben. Aber auch nachdem wir uns nähern, verschwindet nicht alles, nur ist es kein grosser Wald mehr, sondern nur noch ein paar Bäume. Ein paar Kilometer später stehen wir dann vor ein paar kleinen Büschen, die vor einem grossen Haus stehen. Es ist ein Hotel (mitten in der Wüste!), wo der Besitzer das Wasser aus über 100 Metern Tiefe pumpt. Während wir uns im Wasser, das dann den Garten bewässert, abkühlen, kocht er uns etwas. Die Nacht jedoch verbringen wir lieber alleine in der Wüste. Am ersten Abend schmerzen uns die Ohren, so still ist es hier. Man versucht, irgend einen Laut wahrzunehmen und strengt sich dabei so stark an, dass man richtiggehend Ohrensausen kriegt. In der zweiten Nacht besucht uns eine Ente. Wir haben keine Ahnung, ob das Tier fliegend die Sahara überquert, oder ob es irgendwo ab einem Transporter gefallen ist. Wir stellen der Ente etwas Wasser hin, aber sie ist bereits so verwirrt, dass sie gar nichts davon trinkt. Am Morgen ist sie auf jeden Fall wieder verschwunden.

Die Bilder zur Reise 1990-1991 findest du hier: Flickr

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