Hundert Jahre zurückversetzt
In Pakistan kriegen wir fast einen Kulturschock. Der Iran war ein Land, das noch westlich zivilisiert war. Kaum sind wir aber in Pakistan, sieht alles sehr orientalisch aus. Die Autobusse und Lastwagen sind sehr schön mit Silberblechen und viel Firlefanz geschmückt, die Hütten sind fast am Zusammenfallen, die Leute leben auf der Strasse und tragen farbenprächtige Kleider, usw. Die Passkontrolle und den Zoll in Taftan müssen wir suchen, denn die liegen nicht einmal an der Strasse von der Grenze in Richtung Landesinneres. Wir übernachten in der Nähe dieses Dorfes mitten in der Wüste. Die Strecke bis nach Nok-Kundi ist eine 120 km lange Wüstenpiste, der Rest bis nach Quetta, dem Hauptort Belutschistans, ist sehr schlechte Teerstrasse mit Schafsbuckeln und vielen sehr tiefen und scharfen Schlaglöchern. Auf dieser Fahrt kommen wir zum ersten Mal mit den orientalischen Essgewohnheiten in Kontakt. In einer Kneipe essen wir Kamelfleisch mit Kartoffeln und Fladenbrot. Es wird nur mit den Händen gegessen, das Brot mit der Konsistenz eines Waschlappens wird dabei als Löffel benutzt. Man sitzt am Boden auf einem Teppich, der gleichzeitig als Tisch dient. Beim Bezahlen merken wir, dass dieses Land einiges billiger ist, als alle Länder, die wir vorher kennenlernten. Wir werden allerdings später wissen, dass wir hier noch viel zuviel bezahlt haben. Die Fahrt ist sehr schön, müssen wir doch die halbe Zeit neben der Strasse im weichen Sand fahren. Auf dieser Strecke erleben wir auch unseren ersten Sandsturm. Da die Wüste hier nicht sehr gross ist, bringt er nicht sehr viel Sand mit, aber es reicht, dass überall feiner Sand reinkommt. In der Nase, zwischen den Zähnen, in den Augen, überall setzt er sich fest. Wir staunen nicht schlecht, als uns trotz des Sturmes Velofahrer entgegenkommen. Nun müssen wir einen Hügelzug überwinden. Die Strasse windet sich, wie wenn es durch das wildeste Gebirge ginge. Deshalb brauchen wir fast den ganzen Tag, um die letzten paar Kilometer bis nach Quetta zurückzulegen.
Quetta, die Hauptstadt Belutschistans
In Quetta angekommen, fahren wir zum Hotel ‚Lourdes‘, das in unserem Reiseführer als für Ueberlandfahrer geeignet bezeichnet ist. Es ist ein Hotel im alten englischen Kolonialstil, mit grossem Park und so. Hier treffen wir auch jede Menge interessante Leute. Da ist zum Beispiel André aus St.Aubin am Neuenburgersee. Er war sieben Jahre lang in Indien unterwegs. Dann hat er sich dort eine neue ‚Enfield 350cc‘ gekauft, eine Einzylindermaschine, die die Engländer vor dreissig Jahren gebaut haben, und die noch heute in Indien hergestellt wird. Damit ist er nun unterwegs in die Schweiz. Oder da ist Paddy. Er ist ein Neuseeländer, der einen Lastwagen für ‚Encounter-Overland‘, einem Abenteuerreisen-Unternehmen, fährt. Er war unterwegs von London nach Kathmandu und hat im Iran einen Frontalzusammenstoss gehabt. Der Lastwagen wurde im Iran notdürftig zusammengeflickt und soll in Lahore wieder repariert werden. Bis dahin ist er mit einem fahrenden Wrack unterwegs. Dass er Neuseeländer ist, merkt man sofort, denn jedes zweite seiner Worte ist ‚fuckin‘ oder ‚damn‘. Wir treffen hier auch Hugo und Werner, die mit einem Landy Santana 109 Serie III Diesel unterwegs sind. Sie haben die gleiche Strecke wie wir hinter sich, nur sind sie eine Woche früher losgefahren und haben im Iran schönere Erlebnisse gehabt als wir. Wir haben die gleichen Reisepläne, nämlich über Nordpakistan nach China einzureisen, nördlich des Himalaya bis ins Tibet zu fahren, und dann südlich nach Nepal zu kommen. Leider wissen wir schon jetzt, dass die Chinesen keine Touristenautos reinlassen. Wir wollen es aber trotzdem versuchen, und notfalls das Auto an der Grenze stehenlassen und für ca. zwei Wochen per Autobus nach China gehen. Wir campieren auf dem grossen Platz, der zum Hotel gehört. Wir legen wieder einen Schrauber-Tag ein. Wir revidieren die Bremsen und ersetzen die hinteren Bremsbeläge, wir schmieren alles ab und ersetzen einen Gummipuffer bei der Federung. Am Nachmittag begeben wir uns in die Stadt. Hier herrscht ein totales Durcheinander. Ueberall sind afghanische Teppichhändler, die versuchen, den Touristen in ihre Falle zu locken, es hat Schuhputzer, Gewürzhändler, Bettler, afghanische Flüchtlinge, dreirädrige Piaggio-Taxis, Eselkarren, Kamelkarren, Schuljungen, alte Männer mit roten Bärten, und, und, und, alles kunterbunt vermischt. Wir werden von diesem Treiben so sehr gefesselt, dass wir gar nicht merken, wie die Zeit vergeht. Am Abend gehen wir mit allen Reisenden, die im Hotel wohnen, in das gegenüberliegende chinesische Restaurant wieder mal gut essen. Wir lassen bei einem Nummernschildmacher unsere Schweizer Nummernschilder nachmachen. Die Echten schicken wir in die Schweiz zurück. Es hat keinen Sinn, dass wir Steuern und Versicherung bezahlen, wenn wir uns gar nicht mehr im Geltungsgebiet der Haftpflichtversicherung aufhalten. Die Nummernschilder hier sind sowieso nur dazu da, dass die Nummer, die im Carnet de Passage steht, auch auf dem Auto angeschrieben ist. Da wir uns länger in Pakistan aufhalten werden, lösen wir hier eine Haftpflichtversicherung. Die Versicherung ist zwar sehr billig, aber der Versicherungsagent warnt uns, dass seine Versicherung auf keinen Fall zahlen werde, und dass der Ausländer sowieso immer schuld sei. Somit wissen wir wenigstens woran wir sind.
Flüchtlingslager und Stammesgebiete
Am folgenden Tag fahren wir weiter in Richtung Islamabad. Dort wollen wir Hugo und Werner, die schon vor zwei Tagen weitergefahren sind, wieder treffen. Wir fahren durch ein afghanisches Flüchtlingslager. Wir haben uns verfahren, und der schnellste Weg auf die richtige Strasse, führt durch dieses Lager. Normalerweise ist die Strasse durch einen Schlagbaum gesperrt, aber wir schlüpfen genau in dem Moment durch, wo er für einen entgegenkommenden Lastwagen geöffnet wird. Was wir sehen ist erschreckend. Die Leute haben aus allen irgendwie vorstellbaren Abfällen ihre Hütten aufgebaut. Die einzigen richtigen Häuser sind Schule, Lazarett und die Wasserverteilstelle. Trotzdem haben wir den Eindruck, dass die Leute hier relativ glücklich sind. In Pakistan gibt es entlang der afghanischen Grenze sogenannte ‚Tribal Areas‘, Stammesgebiete, in denen das Pakistanische Gesetz nicht gilt. Nur auf der Strasse, die durch diese Gebiete führt, gilt das Pakistanische Gesetz, und gleich daneben gilt offiziell die Willkür des jeweiligen Stammeshäuptlings. In diesen Gebieten wird sehr viel Opium und Waffen produziert, und selbstverständlich ist auch der Schmuggel mit Afghanistan ein einträgliches Geschäft. Wir übernachten kurz nach Loralai mitten in einem solchen Stammesgebiet namens ‚Dera Ghazi Khan‘. Wir fahren durch recht zerklüftete Hügel im Stammesgebiet, bis wir gegen Abend endlich das Industal erreichen. Wir bleiben hier über Nacht in der Nähe der Indusbrücke bei Multan. Ein Bauer, der in einer nahegelegenen runden Strohhütte wohnt, wird von uns noch zum Teetrinken eingeladen, bevor wir müde ins Bett sinken. Allerdings lassen uns die vielen Mücken kaum schlafen. Anderntags erreichen wir Lahore, wo wir es uns im Garten des Hotel International gemütlich machen. Wir treffen hier einen Türken, der mit einem Autobus, der mit ‚China Overland‘ angeschrieben ist, seit zwei Jahren versucht, nach China reinzukommen. Es erscheint uns immer weniger wahrscheinlich, dass wir dies mit unserem Landy schaffen werden.
Alkoholregelung für Ausländer
Da in Pakistan der Alkohol für Moslems ganz verboten ist, und Ausländer, die nachweisen können, dass sie keine Moslems sind, einer Alkoholrationierung unterliegen, reizt es uns, hier ein Alkoholpermit zu beantragen. Tatsächlich sind wir schon bald darauf im Besitze von je einer Halbliterflasche Whisky, und Gin, was einer ganzen Monatsration entspricht. Auf der Fahrt nach Islamabad, der Hauptstadt Pakistans, sehen wir viele freilebende Schildkröten, die ab und zu die Strasse überqueren. Auch ist der Anteil von verunfallten Lastwagen erschreckend hoch.
Islamabad, die Reissbrett-Stadt
In Islamabad angekommen, müssen wir uns auf der Suche nach dem Campingplatz mit den Tücken einer auf dem Reissbrett geplanten Stadt herumschlagen. Die Stadt ist in viele gleichaussehende rechteckige Quartiere aufgeteilt. Somit gibt es kein eigentliches Zentrum und beinahe keine Anhaltspunkte, aus denen man auf den Standort schliessen könnte. Als wir den Campingplatz endlich finden, merken wir, dass wir bereits drei mal daran vorbeigefahren sind, ohne ihn zu bemerken. Es ist fast selbstverständlich, dass wir auch hier wieder viele Reisende treffen. So treffen wir dort Kathrin und Meck, die zusammen mit einer BMW-Enduro nach Australien unterwegs sind. Mit ihnen reisen Erika und Paul, die mit einem alten, aber schön zurechtgemachten VW-Bus unterwegs sind. Wir treffen auch ein italienisches Paar, das mit einem Nissan Terrano, der über und über mit Sponsoren-Kleber bepflastert ist, nach Kashmir und Nepal und anschliessend zurück Richtung Naher Osten fahren will. Ich habe übrigens in der italienischen Zeitschrift ‚Auto in Fuoristrada‘ bereits mehrere Artikel von ihnen gelesen. Im Weiteren ist hier ein dänisches Paar, das mit einer Ente, in der sie auf unerklärliche Art sogar schlafen können, nach Nepal fahren will, sowie ein holländisches Rentnerehepaar mit einem grossen, blitzblank geputzten Mercedes-Reisemobil, das nach Indien unterwegs ist. Hier treffen wir auch Wendy, eine Australierin, deren Mann in Indien ermordet worden ist, und die nun allein umherzieht. Sie wird bis nach Kashgar in China mit uns zusammenbleiben, um dann Richtung Tibet weiterzureisen. Am folgenden Tag haben wir einen Ruhetag. Wir machen einen Abstecher zum Post-Office, wo wir unsere Briefe abholen, ansonsten läuft nichts. Am Abend fahren wir mit den Schweizern nach Rawalpindi, einer Stadt, etwa 10 km von Islamabad weg. Hier gehen wir ganz dick essen. Nun kommen Hugo und Werner wieder nach Islamabad. Sie haben sich noch ein paar Tage im Swat-Valley herumgetrieben und haben dabei einige Flüsse mit dem Faltboot unsicher gemacht. Dann fahren wir zum letztenmal zur Französischen Bäckerei, wo es wunderbare Croissants gibt, denn morgen sind wir wieder unterwegs, und zwar mit zwei Autos. Zum letztenmal besuchen wir die Post, um zu schauen, ob nicht doch noch etwas angekommen ist. Am Abend gehen wir alle zusammen in ein Afghanisches Restaurant, wo wir bei einem tollen Abendessen abmachen, dass wir uns an Weihnachten in Goa wieder treffen wollen.
Die Bilder zur Reise 1987-1988 findest du hier: Flickr