Überland nach Indien 1995-1996

Eigentlich sollte uns diese Reise von Feuerland nach Alaska bringen, aber es kommt immer anders als geplant, besonders bei uns. Da unser Landrover als Reisefahrzeug aus Platzgründen nicht mehr geeignet ist, machen wir uns auf die Suche nach einem Ersatz. Wir finden einen 93er VW LT 31 Turbo Diesel Westfalia Florida, von uns Floh genannt. Nachdem wir nun ein so teures Fahrzeug besitzen, möchten wir dieses gerne gegen Diebstahl versichern. Es ist aber offensichtlich unmöglich, für ausserhalb Europas eine Versicherung abzuschliessen, nicht mal Lloyds kann uns helfen. Südamerika ohne Diebstahlversicherung? Das scheint uns etwas riskant, bei dem, was man von diesem Kontinent alles hört. Und ausserdem zieht es uns nach nicht einmal 5 Jahren bereits wieder nach Indien.
Also tauschen wir die Reisebücher, holen die nötigen Iran-, Pakistan- und Indienvisa und erfüllen uns endlich einen langersehnten Wunsch: Wir gehen ins Tierheim und nehmen Prinz, einen 4jährigen Appenzellermischling, in unsere Familie auf.

25. September 1995

Am späten Nachmittag beginnt unsere Reise. Im Churrasco Steak House sind wir mit unseren Freunden Monika und Theo verabredet. Nachdem wir uns die Bäuche vollgeschlagen haben, verabschieden wir uns von ihnen und fahren noch ein paar Kilometer weiter, wo wir uns dann zum übernachten in die Büsche schlagen.

26. September 1995

Auf der Autobahn fahren wir bis nach München. Dort wollen wir beim Reiseausrüster Därr einen 12 Volt Moskitokiller einkaufen. Nachdem wir endlich einen Parkplatz gefunden haben, werden wir im Laden enttäuscht: So etwas ungesundes, das chemische Substanzen freilässt, würden sie nicht verkaufen. Es ist wohl besser, wenn die Traveller Malaria erwischen. Auf jeden Fall wissen wir jetzt, wo wir in Zukunft sicher nicht mehr einkaufen werden.

27. September 1995

In Rosenheim machen wir noch die letzten Besorgungen. Wir kaufen zwei Schläuche, Schlauchlosventile und einen Maulkorb für Prinz ein. Nun sind wir voll ausgerüstet und können uns auf den Weg machen.
Kurz vor der ungarischen Grenze finden wir auf einem Campingplatz am Neusiedlersee ein ruhiges Plätzchen.

28. September 1995

Weil es bereits zu kalt ist, wollen wir Osteuropa schnell durchfahren. Deshalb besichtigen wir in Ungarn nichts und fahren zügig voran.

29. September 1995

Recht früh am Morgen kommen wir an die rumänische Grenze. Was wir dort sehen, macht uns Angst: Kilometerlanger Lastwagenstau. Wir kümmern uns nicht darum und fahren nach vorne. Aber auch dort dauert es 5 Stunden, bis wir im Land sind. Es sind nicht die Formalitäten, die soviel Zeit in Anspruch nehmen, nein, es ist reine Ineffizienz im Ablauf.
Wir haben den Eindruck, in Rumänien sei die Zeit stillgestanden. Das öffentliche Bussystem besteht aus einem Traktor mit Anhänger, und die Landwirtschaft scheint der einzige grosse Wirtschaftssektor zu sein. Ausser dem Strassenunterhalt; denn wir fahren von Baustelle zu Baustelle. Und zwischendurch fallen wir von einem Schlagloch ins andere.
Als unsere Mägen zu knurren beginnen, suchen wir ein Restaurant. Nach langer Zeit finden wir endlich eines. Dort werden wir misstrauisch begrüsst und unwillig bedient. Es wird serviert, was sie haben, und davon essen wir nur gerade soviel, dass wir wieder genügend Kraft haben, zum Auto zurück zu laufen. Es ist miserabel, kalt und kostet pro Person Fr. 20.-.
Weil es die dauernd regnet und die ganze Gegend ein Schlammfeld ist, lassen wir Prinz kaum raus. Gegen Abend stellen wir uns hinter eine Tankstelle und kochen uns selbst etwas.

30. September 1995

Trotz den schlechten Strassen kommen wir heute gut voran. Noch am Nachmittag stehen wir in Giurgiu am Grenzübergang, wo es lange dauert, bis wir die Donau überqueren können.
In Bulgarien wird zum ersten Mal der Impfausweis von Prinz überprüft. Die Transitbewilligung für ihn kostet $2 und die Desinfektion des Wohnmobils $10.
Wir fahren noch die ersten 100 km und übernachten an einer Nebenstrasse.

1. Oktober 1995

Irgendwo verlieren wir die vielen Überland LKW’s, obwohl wir der gekennzeichneten TIR-Strecke folgen. Dafür hat es auf der guten Strasse wenig Verkehr, und wir können die schöne Landschaft geniessen.
Kurz nach Mittag haben wir die 350 km Bulgarien bereits hinter uns und stehen am Grenzbaum. Der bulgarische Zöllner versucht, uns 10 DM abzuverlangen. Er zeigt sogar, wo wir den Schein in den Pass legen sollten, damit die Abfertigung klappt. Albi erklärt ihm, dass er so etwas grundsätzlich nur mache, wenn unsere Papiere nicht in Ordnung seien, aber bei uns sei alles o.k.! Daraufhin werden wir durchgelassen.
In der Türkei wird das Wohnmobil in den Pass eingetragen, damit wir unseren Floh auch wieder ausführen.
In Istanbul übernachten wir auf dem Campingplatz.

2. Oktober 1995

Wir beschliessen, die Stadt auf dem Rückweg zu besichtigen und machen uns auf den Weg nach Ankara. Beinahe die ganze Strecke dorthin ist als Autobahn ausgebaut. So sind wir bereits am Abend vor der Hauptstadt. Auf der Suche nach einem Restaurant fahren wir mehr als eine Stunde, bis wir einige Kilometer nach Ankara endlich fündig werden. Dafür ist es ein nobles Restaurant, wo wir uns an den Grillspezialitäten laben.

3. – 6. Oktober 1995

Weiter geht’s jetzt südwestlich, damit wir nach Kappadokien kommen. In Göreme quartieren wir uns auf dem Campingplatz ein. Am zweiten Tag bellt Prinz den Chef von Platz an, obwohl er ihm gestern noch einen Apfel gefüttert hat. Es scheint, als hätten wir nun einen Wachhund.
Wir verbringen die Tage mit Kleider waschen, ausruhen und natürlich mit ausgiebigen Wanderungen in dieser tollen Gegend. Die Byzantiner haben hier überall Höhlen in den weichen Fels geschlagen, die sie bewohnt haben. Zusammen mit einem holländischen Paar mit einem Hyundai Bus geniessen wir den Aufenthalt und das ausgezeichnete türkische Essen.

7. Oktober 1995

Über Avanos, Kayseri und Siva kommen wir wieder auf die Transitstrecke. Wie gewohnt, verpassen wir die letzte Tankstelle mit Restaurant und fahren deshalb eine Stunde in der Dunkelheit, bis wir wieder etwas finden. Normalerweise fahren wir bei Nacht nicht, aber wir befinden uns hier in kurdischem Gebiet und wollen nicht wild campieren. Bei soviel Militär in der Gegend, ist es besser, an einer Tankstelle zu übernachten. Überhaupt sind Tankstellen sehr gut geeignet, die Nacht zu verbringen. Es hat Toiletten, die Lastwagenfahrer halten auch hier, so dass man meistens auch etwas essen kann.

8. Oktober 1995

Wir sind am Nachmittag an der Grenze, wollen aber erst morgen in den Iran einreisen. Deshalb stellen wir uns neben die Strasse und holen unsere Stühle hervor. Daraufhin erscheint prompt ein Militärfahrzeug, das uns von hier wegjagt. Also packen wir alles zusammen und fahren ein Stück weiter zu einem TIR-Parkplatz, wo wir eine Parkgebühr bezahlen müssen. Dafür haben wir jetzt unsere Ruhe.

9. Oktober 1995

Am Morgen machen wir uns für den Grenzübertritt bereit. Albi checkt, ob wir wirklich keinen Alkohol mit dabei haben, und ich ziehe mich dezent mit weiten Kleidern und Kopftuch an.
Die türkischen Beamten sind nicht sehr willig zu arbeiten. Es dauert über eine Stunde, bis wir die nötigen Ausreisestempel erhalten. Dafür geht es auf der iranischen Seite sehr schnell: Immigration und Devisendeklaration, die im Pass eingetragen wird. Auf der Bank wechseln wir $100 in bar, da sie keine Traveller Checks nehmen. (Es sind ja auch American Express TC.) Um unseren Hund zu überprüfen, kommt ein Veterinärbeamter, der den Impfausweis mit Gesundheitsbescheinigung genau studiert und dann einen Einreisestempel reinknallt. Prinz selber schaut er nur kurz aus ein paar Meter Entfernung an.
Um das Carnet de Passages abgestempelt zu bekommen, mussten wir auf unserer letzten Reise das gesamte Auto ausräumen. Danach wurde jede Kiste durchsucht, und alles, was ihnen suspekt war, wurde auf ein Papier aufgelistet, das dann in den Pass geheftet wurde. So machten sie sicher, dass wir nichts von diesen Sachen verkaufen, weil nämlich bei der Ausreise wieder alles durchgecheckt wurde. Diesmal schauen sie kaum in den Camper, und wir dürfen den Berg runter zum letzten Schlagbaum fahren. Wir können’s kaum glauben, so schnell hat alles funktioniert.
Wir haben uns jedoch zu früh gefreut. Der Zöllner will uns erst durchlassen, wenn wir eine gewisse Dieselsteuer entrichtet haben. Wir sehen, dass auch die türkischen Lastwagenfahrer im besagten Büro ein Papier holen müssen, also schauen wir mal, was das soll. Der freundliche Beamte rechnet aus, dass wir insgesamt $ 281 Dieseltax bezahlen müssen, um den Iran zu durchfahren. $ 150 können wir auf der Bank einzahlen, den Rest sollen wir ihm übergeben. Uns erscheint das suspekt, und wir fahren zum „Carnet-Mensch“ zurück, um seine Meinung dazu zu erfahren. Er meint, das wäre korrekt. Also geht Albi auf die Bank und zahlt die $ 150 auf das auf dem Zettel erwähnte Konto ein. Nach einer halben Stunde sind wir beim Beamten zurück, der die restlichen knappp $150 in bar haben möchte. Dazu sind wir jedoch nicht bereit und bestehen darauf, dass wir den Betrag, wenn wir ihn schon bezahlen müssen, ebenfalls auf der Bank einzahlen. So erhalten wir abermals eine Anweisung an die Bank, wo Albi nach einer Stunde erschöpft mit der Bestätigung herauskommt. Er ist ein wenig gereizt, deshalb gehe ich diesmal mit zum Dieselsteuerbüro. Dort stellt sich heraus, dass der Beamte offensichtlich beim Mittagessen ist, und wir warten müssen. Zum Glück erscheint bereits nach kurzer Zeit ein anderer Angestellter, der uns die Quittung aushändigt.
Als wir diesmal vor dem Schlagbaum stehen, werden wir durchgelassen. Wir sind in der islamischen Republik Iran.

Iran ist wohl eines der am wenigsten besuchten Ländern. Vielleicht liegt es auch daran, dass das Visum so schwierig zu beschaffen ist. Wir erhielten nur ein Transitvisum für 7 Tage. Im Land selber soll es jedoch problemlos möglich sein, eine oder auch mehrere Verlängerungen zu bekommen.
In den letzten 5 Jahren hat sich hier einiges verändert: Die Tschador sind häufig grau und nicht mehr schwarz, wenn sie überhaupt noch getragen werden. Viele Frauen begnügen sich mit einem Mantel und Kopftuch, wo häufig die Haare sichtbar sind. Auch Make-up und Nagellack scheinen nicht mehr verpönt zu sein. In den Restaurants hat es mehr Auswahl, und den Leuten scheint es besser zu gehen.
Vor Täbriz übernachten wir neben der Strasse, werden aber um Mitternacht vom Militär weggejagt. Es sei „dangerous“, wir sollen in die Stadt fahren. Dort stellen wir uns hinter die Lastwagen.

10. Oktober 1995

In Täbriz finden wir die Umfahrungsstrasse nicht und kurven deshalb in der Stadt umher, bis wir am anderen Ende sind. Damit wir nicht etwa nach Teheran hineingeraten, nehmen wir ab Takestan die südliche Route, wo es auch viel weniger Verkehr hat. Nachts stehen wir ruhig neben einem Bach.

11. Oktober 1995

Anstatt der Hauptstrasse zu folgen, nehmen wir eine Abkürzung. Wenn wir gedacht haben, damit Zeit einzusparen, waren wir falsch. Wir fahren etwa 100 km auf schlechter Schotterpiste und werden bei jedem Gegenverkehr für eine Minute in eine Staubwolke eingehüllt. Aber es ist trotzdem schön, abseits der Hauptstrasse an kleinen Dörfern vorbei zu fahren.
Am späten Nachmittag erreichen wir Isfahan. Wir haben die Stadt vor 5 Jahren besichtigt und beschliessen weiter zu fahren. Heute werden wir bereits um 21.00 Uhr vom Militär aufgefordert, ins nächste Dorf zu fahren.

12. Oktober 1995

Nun haben wir die Wüste erreicht. Es ist recht heiss, und Prinz mit seinem neuen Winterfell weiss beim Boxenstopp nicht so recht, weshalb wir ihn aus dem Auto lassen: Erstens ist es viel zu heiss, zweitens hat es gar kein Gras, nur staubiger Sand, und dann sind überall noch diese Büsche, die ihre Dornen im Sand verstreuen, damit der Prinz sie eintreten kann. Aber nach einem Tag Angewöhnung gefällt es ihm, und die Dornen ziehen wir ihm immer wieder raus.
Wir beugen der nächtlichen Militärkontrolle vor, indem wir 50 km vor Kerman bei einem Busstop campieren.

13. Oktober 1995

An der Tankstelle von Bam lernen wir Andreas kennen. Er ist Deutscher und mit einem BMW Motorrad in die gleiche Richtung wie wir unterwegs. Da unser Dieseltank noch zu ¾ voll ist, füllen wir nur Wasser auf. Dabei fallen einem Iraner beinahe beide Augen raus. Das habe er noch nie gesehen, ein Fahrzeug, das mit Wasser fährt! Das sei schon toll!
Es wäre wohl besser gewesen, hätten wir den Treibstofftank auch gefüllt. In der einzigen Ortschaft bis Zahedan will der bewaffnete Uniformierte an der Tankstelle kein Sprit herausrücken. So fahren wir buchstäblich mit dem letzten Tropfen Diesel in Zahedan ein.
Mirjaveh ist die Grenzstadt. Dort übernachten wir im Zollhof inmitten unzähliger iranischer Trucks.

14. Oktober 1995

Am Morgen sind wir natürlich viel zu früh bereit, die Formalitäten zu erledigen. Die Immigration öffnet um 8 Uhr, aber fürs Carnet de Passages müssen wir bis 9 Uhr warten. Dabei lernen wir Helen und Marc kennen. Sie haben die letzten Jahre in Jersey, England, gelebt und wollen jetzt Überland nach Neuseeland zurückkehren. Gemeinsam erledigen wir den pakistanischen Zoll und fahren dann gleich aus dem staubigen Dorf Taftan heraus, ab jetzt natürlich auf der linken Strassenseite.
Wir essen etwas und beschliessen, gemeinsam nach Quetta zu fahren. Besonders Marc macht sich Sorgen, diese Strecke alleine zu befahren, weil Encounter Overland (ein englischer Reiseorganisator) hier nur mit bewaffneter Polizeibegleitung fährt. Wir lernen Encounter Overland noch gut kennen. Ein Freund von Marc arbeitet dort und hat ihm die Routenbeschreibung mitgegeben, so dass Marc alles genau nach den „Richtlinien“ machen kann. Uns ist es recht, auf dieser einsamen Strecke Gesellschaft zu haben.
Der ehemals letzte nicht geteerte Abschnitt auf der ganzen Indienroute, Taftan-Nokkundi, ist jetzt dank den Iranern, die in Pakistan nach Gold graben, eine halbe Autobahn. Auch die bestehende Strasse wird mit Weltbankgeld ausgebaut. Dadurch müssen wir dauernd daneben auf einer schlechten Piste fahren.
Als es eindunkelt, schlagen wir vor, bei einem Strassenbaudepot zu übernachten. Marc will davon gar nichts wissen. Viel zu gefährlich sei das, er wolle lieber im Dunkeln weiterfahren. Da es nicht mehr weit zum nächsten Ort ist, versuchen wir nicht, ihn umzustimmen. In Yakmach hat es ein Resthouse, wo zwar keine Toiletten vorhanden sind, dafür können wir hinter schützenden Mauern stehen.

15. Oktober 1995

Nach den ersten paar Kilometern kommen uns drei Deutsche mit einem Allrad LKW entgegen, die uns sagen, dass wir die Strecke bis Quetta heute eigentlich schaffen sollten. Sehr schnell kommen wir jedoch nicht vorwärts. Marc und Helen haben an ihrem VW Bus eine Plastikbox auf der Anhängekupplung. Bei jedem Bodenwellchen schlägt diese sogenannte Top Box am Boden auf und sprüht Funken. Wir benennen sie in Bottom Box um und fragen die Jerseys, ob wir helfen können, die Box irgendwie hochzubinden. Davon will Marc nichts wissen, denn der kompetente VW Dealer von Jersey habe die Box so montiert, da dürfen wir nichts daran ändern.
In einem kleinen Dorf fährt Marc einen Nagel ein. Als ihn die Leute auf den Plattfuss aufmerksam machen, hält er an und nimmt das Betriebshandbuch hervor. Ein hilfsbereiter Pakistani fängt an, die Radmuttern zu lösen. Darauf brechen die Jerseys in Panik aus und fragen uns, ob wir bitte Prinz rauslassen können, damit die Leute zur Seite gehen. Die vielen Zuschauer sind aber alle sehr nett und freundlich, also lassen wir unseren Hund im Wohnmobil. Den Reifen wollen die Jerseys hier nicht flicken lassen, sie wollen das beim VW Händler in New Delhi machen lassen. Sie hätten ja noch ein zweites Ersatzrad…
Bereits bei Dunkelheit fahren wir durch Quetta zum Hotel Lourdes, dem Treffpunkt für Overlander. Fürs Fahrzeug 350 Rupees plus Rp 80 pro Person, um im Hinterhof zu campieren, ist uns einfach zuviel. Da übernachten wir lieber im Innenhof des Hotel Bloom Star im Stadtzentrum.

16. Oktober 1995

Auf dem Tourist Office erkundigen wir uns, welche Route wir nehmen sollen, weil es nach Encounter Overland Guidelines zu gefährlich ist, die nördliche Strecke über Lorolai zu fahren. Albi und ich möchten lieber darauf verzichten, die südliche Route durch den Sindh zu fahren. Der Information Officer beruhigt uns: Die nördliche Strecke sei kein Problem, einfach nicht nachts fahren. Albi und ich beschliessen, noch heute nach Ziarat zu fahren, so dass wir Prinz auch mal wieder ausgiebig rauslassen können. Marc und Helen wollen sich uns auf dieser „gefährlichen“ Strecke anschliessen, was uns auch recht ist.
Zuerst müssen wir aber noch Geld wechseln und eine Haftpflichtversicherung abschliessen. Das Versicherungsbüro besteht aus einem kleinen Zimmerchen, in dem ein älterer Herr im Anzug sitzt (die meisten Männer tragen den Shalwar, den Nationaldress in Form eines weiten Pyjamas). Für 400 Rupees erhalten wir eine Haftpflichtversicherung für zwei Monate.
Über eine schlechte Strasse erreichen wir gegen Abend Ziarat, wo wir uns beim sehr schönen Government Resthouse einquartieren. Auf 19.30 Uhr bestellen wir Abendessen. Helen füllt versehentlich Diesel in ihren Wassertank. Daraufhin spülen sie mindestens 10 Mal den Tank durch, während wir und der Koch ungeduldig auf ihr Erscheinen warten. Da wir morgen eh hier bleiben werden, verstehen wir nicht so recht, weshalb sie die Umfüllerei überhaupt noch heute bei Dunkelheit durchführen mussten.
Dafür ist das Essen himmlisch!

17. Oktober 1995

Nach dem Wäsche waschen gehen wir spazieren und setzen uns dann zum Lesen an die wärmende Sonne. Während wir uns ausruhen, fegt Helen den ganzen Bus von innen raus, und Marc poliert aussen den Lack. Wie wenn die nächsten 200 km weniger staubiger wären als die letzten! Sogar die Bottom Box wird ausgeräumt und sorgfältig geputzt. Wir fühlen uns wie im Kino.
Die Jerseys backen sich im Faltbackofen einen Breadpudding, während wir im Restaurant ein weiteres ausgezeichnetes Curry verzehren.

18. Oktober 1995

Die nächsten Kilometer sind das äusserste, was unser Floh meistern kann. Wir durchqueren Flussbetten und Sandstellen und freuen uns über soviel Geländetauglichkeit. Schliesslich ist es doch ein Wohnmobil, wo der Kühler das Erste ist, der bei einem Aufsetzer angekratzt wird. Der VW Bus der Engländer kommt wegen der schmaleren Spur etwas besser durch, nur die Bottom Box ist jetzt mehr am Boden als in der Luft.
In Klingri können wir bei einer Art Resthouse stehen.

19. Oktober 1995

Noch eine letzte Bergkette hoch, dann beginnt der Abstieg ins Indus-Tal, wo die pakistanischen Lastwagenfahrer ein „Inshallah“ für ihre Bremsen sagen. Wir sind froh, in die tropische Feuchtigkeit zu kommen, in der Wüste wären wir beinahe ausgetrocknet. Nur macht der Keilriemen des VW Busses jetzt immer mehr Lärm, worauf Albi seine Hilfe anbietet, um ihn nachzuziehen. Auf gar keinen Fall dürfe er da etwas machen, der VW Händler von Amman habe den neuen Keilriemen eingebaut, da könne Albi nichts daran verändern. In New Delhi habe es wieder einen VW Händler, der ihn dann nachziehen könne.
Seit langer Zeit stellen wir uns mal wieder abseits der Strasse ins Gebüsch.

20. Oktober 1995

Wenigstens hat Albi Marc überzeugen können, die Aufhängung der Bottom Box schweissen zu lassen. Im nächsten Dorf wird das erledigt. Dabei wird die Box auch noch mit einem Seil hochgespannt, damit nicht die ganze Kraft auf der dünnen Stange liegt.
Bei einem geschlossenen Resthouse dürfen wir nach langer Diskussion die Nacht über stehen bleiben.

21. Oktober 1995

Auf guten Strassen erreichen wir Islamabad. Wir sind froh, ab hier nur noch auf uns schauen zu müssen. Auch wenn Marc und Helen nett waren, war die Zeit mit ihnen doch nicht immer ganz einfach.
In Islamabad, der Hauptstadt Pakistans, steht alles, was auf Rädern nach Indien reist im einzigen Campground des Landes. Wir lassen uns auch dort nieder und gehen zur Feier des Tages ins Great Wall chinesisch essen.

22. Oktober 1995

Am Morgen wollen wir in die berühmte French Bakery einkaufen gehen. Dieses Unternehmen verzögert sich um ein paar Stunden. Auf dem Campingplatz befinden sich zwei Deutsche, Corinna und Frank mit Hund Congo, die sich nach dem Frühstück auf die Weiterreise machen wollen. Da müssen wir vorher natürlich noch Erfahrungen austauschen. Sie sind bereits von Alaska nach Feuerland gefahren, haben ihren Chevrolet Pickup mit Wohnmobilaufbau nach Indien verschifft und sind jetzt auf dem Weg nach Europa. Heute wollen sie noch ein Ersatzteil abholen und dann die Karakorum Highway hochfahren. Nachdem wir uns ausgiebig kennengelernt und auch wieder verabschiedet haben, machen sie sich auf den Weg, und wir besuchen die Bäckerei und essen das Eingekaufte zu mittag.
Am Abend fährt das deutsche Paar wieder vor. Das bestellte Teil wird erst morgen geliefert. Das gibt uns Zeit, mehr zusammen zu plaudern.

23. Oktober 1995

Wir verabschieden uns endgültigen von Corinna und Frank. Dann bringen wir unsere Kleider zum Waschen, und da wir gerade dabei sind, lassen wir den Floh auch wieder einmal weiss waschen. Am Abend schicken wir vom Post Office je einen Fax an Graf’s und an Monika und Theo, die freundlicherweise unsere Buchhaltung führen.
Als wir ins Camp zurück fahren, sehen wir bereits vom Kreisel aus einen Chevy stehen. Wer das wohl sein kann? Sie hatten unterwegs Probleme mit der automatischen Differenzialsperre und sind zurückgekommen.
Während Frank sich an die Arbeit macht, setzt sich Corinna zu uns ins Wohnmobil. Nach zwei Stunden schaut Frank kurz bei uns herein, nur um zu sagen, er sei fertig, müsse aber die ganze Sache noch mal machen, weil er ein Teil vergessen hat einzubauen. Frank live!
Von Corinna erhalten wir einen Reisebericht von Nordamerika (weil wir ja auch dorthin wollen), der uns viel Interessantes und Unterhaltsames liefern wird.

24. Oktober 1995

Auf dem Faxbüro sind tatsächlich zwei Faxe für uns angekommen. Wir sind begeistert, wie einfach wir auf dieser Reise mit den Leuten zu Hause kommunizieren können. In den letzten Jahren hat sich viel verändert. Früher musste man manchmal einen halben Tag aufwenden, um ein knisterndes Telefongespräch nach Europa zu führen.

25. Oktober 1995

Heute kriegt der Floh neues Öl, einen neuen Ölfilter und einen neuen Dieselfilter. Den alten Dieselfilter holt Albi später wieder aus dem Mülleimer – man kann ihn ja vielleicht noch einmal brauchen.

26. Oktober 1995

Am Nachmittag erblicken wir ein altbekanntes Fahrzeug amerikanischer Herkunft. Corinna und Frank sind wieder da. Wir hatten die beiden wirklich bereits vermisst! Diesmal hat der Chevy einen Getriebeschaden. Made in USA.

27. Oktober 1995

Nach erneuter und diesmal endgültiger Abschiedszene hören wir uns den ganzen Tag das Geschrei des Mullahs aus der nahe gelegenen Moschee per Lautsprecher an. Schliesslich ist heute Freitag. Es hört sich an, als wolle er die Gläubigen auf irgend etwas loshetzen. Hoffentlich stürmen sie nicht das Tourist Camp.

28. Oktober 1995

Nach einer Woche Nichtstun wollen wir wieder weiter. Die Strasse nach Lahore wird überall ausgebaut. Zusammen mit dem dichten Verkehr gibt das eine anstrengende Fahrt.
Im Jallo Park von Lahore übernachten wir.

29. Oktober 1995

Wie gewohnt, sind wir zu früh an der Grenze und warten bei einem Cay (Tee) bis 10 Uhr. Die Ausreise dauert eine Stunde und die Einreise nach Indien nur wenig mehr, und das, obwohl wir wie immer einen unglaublichen Papierkram erledigen müssen.
In Amritsar haben sie für uns ein Fest vorbereitet. Ein Sikh Guru feiert seinen Geburtstag. Dadurch sind die Strassen voller festlich gekleideter Leute.
Am Nachmittag fahren wir während einer Stunde einer Polizeieskorte nach, die irgend einen VIP durch den Verkehr lotst. Wenn mal wieder ein Bus nicht schnell genug an den Rand fährt, wird ihm mit einem Schlagstock der Rückspiegel eingeschlagen. Mit 90 km/h durch indische Dörfer zu fahren, haben wir uns bisher nicht vorstellen können. Mit der Zeit wird es uns aber zu mühsam, den Anschluss an die Eskorte nicht zu verlieren.
Da diese Gegend stark bevölkert und bewirtschaftet ist (welche Gegend in Indien ist das nicht?), haben wir Mühe, einen Übernachtungsplatz zu finden. Nachdem Albi eine gut halbstündige Dorf- und Feldbesichtigungsrundreise gemacht hat, und wir wieder auf der Hauptstrasse sind, finden wir doch noch ein ruhiges Plätzchen.

30. Oktober 1995

Frühmorgens schauen wir zum Fenster raus und sehen die Sonne über den dunstigen Feldern aufgehen. Back to India – wir freuen uns!
In New Delhi schlagen wir unsere Zelte im Tourist Camp auf. Wir besuchen das American Express Office, wo wir einen Brief von Simone, Albi’s Schwester, vorfinden. Sie fliegt Ende November nach New Delhi und will dann zuerst Rajastan mit dem Rucksack bereisen.

31. Oktober 1995

Weil die Strasse sehr lärmig ist, haben wir nur wenig geschlafen. Wir beschliessen, sofort die Versicherung zu erledigen und dann weiterzuziehen. Auf der New India Insurance, gleich gegenüber vom Camp schliessen wir eine Haftpflichtversicherung für ein halbes Jahr zum Preis von Rs 240 ab. Der Agent verspricht uns, die Police bis spätestens um halb eins ins Tourist Camp zu bringen.
Um fünf nach halb eins erscheint er wirklich mit dem Papier, und wir machen uns auf den Weg. Da wir gerade in der Nähe vorbeifahren, wollen wir noch einen Blick auf den VW Dealer, den es ja laut den Jerseys hier geben müsste, werfen. Und wirklich, es gibt ihn. Um die Werkstatt herum stehen sogar ein paar Volkswagen – eine Seltenheit in Indien, wo die meisten Fahrzeuge made in India sind, mit aufgekauften uralten Lizenzen von Fiat, Sunbeam, Vauxhall, Rover, Mercedes. Daraus werden dann Padmini, Ambassador, Hindustan, Standard und Tata.
Der Chef erkennt unseren Floh sogleich als LT. Ob wir eine Windschutzscheibe bräuchten, er habe eine an Lager. Trotz den paar Steinschlägen, die wir in Rumänien erwischt haben, können wir darauf verzichten. Lieber hätten wir ein paar Öl- und Dieselfilter. Die kann er uns besorgen, die Dieselfilter habe er, die Ölfilter müsse er beim Volvohändler besorgen (es ist derselbe Motor, der im Volvo 760 eingebaut ist).
Um die Wartezeit zu überbrücken, besuchen wir den schönen Buddha Garden, wo Prinz dauernd den Eichhörnchen nachspringt und dann bellend am Baum darauf wartet, dass sie wieder herunterkommen.
Um 17.00 Uhr haben wir die Filter und machen uns auf den Weg nach Jaipur.

1. November 1995

In Jaipur, der rosafarbenen Stadt, verfahren wir uns, weil wir es geschafft haben, irgendwie von der N8 abzukommen und zusammen mit den Lastwagen eine Stadtumfahrung zu machen. Dadurch, dass die Hinweisschilder mit Wahlplakaten überklebt sind, können wir uns nicht mehr orientieren. An einer Kreuzung versuchen wir einen Parlamentarierkopf vom Wegweiser zu reissen. Wir scheitern jedoch an diesem Vorhaben – die indische Wahlpropaganda braucht zuviel Leim. Die umherstehenden Leute weisen uns alle in eine unterschiedliche Richtung, schliesslich darf niemand zugeben, dass er etwas nicht weiss. Schlussendlich stellt Albi den Camper mitten auf die Kreuzung und bringt so einen Überlandbus zum Stehen, damit wir den Chauffeur nach der richtigen Strasse nach Ajmer fragen können.
Am späten Nachmittag treffen wir in Pushkar ein. Hier findet in den nächsten Tagen der Kamelmarkt statt. Vergebens versuchen wir einen Stellplatz zu finden. In den Ort selber, wo man bei einem Hotel am See stehen könnte, darf man nicht mehr fahren. Mit Stahlstangen ist alles abgesperrt. Für heute nacht können wir in einem R.T.D.C. Bungalow schlafen, aber ab morgen sind natürlich alle ausgebucht. Die meisten Leute (ausländische Touristen, indische Touristen und natürlich die Rajastanis) sind bereits eingetroffen und haben das sonst verschlafene Wüstendorf in ein überfülltes und staubiges Chaos verwandelt.

2. November 1995

Nach dem Frühstück trifft ein weiteres Reisefahrzeug ein. Es sind Kerstin, Walter und ihr zweijähriger Sohn Dominik aus Deutschland, die mit einem IFA Lastwagen unterwegs sind. Während wir zusammen überlegen, wo wir uns hinstellten können, kommt ein Inder und fragt, ob er uns irgendwie helfen könne. Nachdem wir ihm unser Problem geschildert haben, fährt er mit uns ins Nachbardorf und zeigt uns, wo wir auf dem Dorfplatz stehen können.
Wir parkieren die Fahrzeuge unter dem einzigen Baum weit und breit. Um uns herum fressen die Ziegen Karton und Plastik aus dem Abfallhaufen, und die kleinen Kinder machen ungeniert ihr grosses Geschäft. Wie sollen sie es auch anders machen als ihre Eltern. Ein unauslöschliches Bild von Indien bekommt man, wenn man frühmorgens durchs Land fährt. Überall winken uns am Rand der Strasse kauernde Leute zu. Die Füsse noch auf dem Teerbelag, Röcke oder Lunghi hochgehoben und ein mit Wasser gefülltes Gefäss (anstatt WC-Papier) neben sich – so zeigen sich die Toilettengewohnheiten der Inder. Aber wir sind froh, überhaupt ein einigermassen ungestörtes Plätzchen gefunden zu haben und beklagen uns nicht über etwas, was in diesem Land völlig normal ist.
Eigentlich handelt es sich bei dem Kamelmarkt um ein heiliges Fest, wo die Rajastanis alle nach Pushkar pilgern. Dabei handeln sie natürlich mit allem, was sie haben: Kamele, Kühe, Pferde, Ziegen, Stoffe und auch Söhne und Töchter. Überall gibt es Stände, die die Leute mit allem, was sie brauchen könnten, versorgen. Die ganze Angelegenheit ist sehr lebhaft und voller Farbe. An den zum Teil riesigen farbigen Turbanen ist zu erkennen, aus welcher Gegend und sogar welchem Ort die Männer kommen.

3. November 1995

Wir verbringen den ganzen Tag auf „unserem“ Dorfplatz. Mit Walter und Kerstin plaudern wir stundenlang übers Reisen und andere weltbewegende Dinge. Der zweijährige Dominik freundet sich inzwischen mit Prinz an.

4. November 1995

Noch vor dem Frühstück wandern wir durch die Lager der Rajastanis. Die ganze Umgebung ist in eine Dunstglocke gehüllt. Die vielen Tiere und die Menschen, die überall ein Kochfeuer entfachen, geben dem Fest ein gespenstisches Bild. Es riecht nach Staub, Rauch, Tiermist, Essen und Schweiss. Die Kamele sind schön geschmückt, und überall werden Tiere verkauft. Die jungen Frauen haben sich wunderschön herausgeputzt und stolzieren, mit Silberschmuck behangen, in ihren farbigen Festtagsröcken umher. Zusammen mit den fröhlichen Leuten wandern wir durch die überfüllten Strassen. Damit man überhaupt noch vorwärts kommt, sind die Strassen in der Mitte durch gespannte Seile unterteilt, so dass man richtungsgetrennt durch den Ort läuft und einen U-Turn machen muss, um auf der anderen Strassenseite in ein Restaurant gehen zu können.
Weil Pushkar eine für Hindus heilige Stadt ist, darf hier kein Fleisch serviert werden. Trotzdem kommen wir voll auf unsere kulinarischen Kosten, speziell die Channa Patthuras haben es uns angetan. Abgesehen von einem singapurischen Roti Canai gibt es kein schmackhafteres Frühstück als diese Kichererbsen, die mit einem frittierten Fladenbrot gegessen werden.

5. November 1995

Am Morgen werden wir wie bereits in den letzten Tagen durch den „Baumschneider“ geweckt. Er steigt auf den Baum (den einzigen in der näheren Umgebung) und schneidet den vorderen Teil der Äste ab. Jetzt, wo es hier in Pushkar so viele hungrige Tiermäuler zu stopfen gibt, wird das Futter knapp. So müssen die Bäume ihre Blätter dazu opfern.
Der alte Mann steigt die Leiter auf unser Wohnmobil hoch und schwingt sich auf den Baum. Von dort lässt er dann all die Äste auf unser Dach herunterfallen. Wir sind darüber natürlich gar nicht erfreut und versuchen, ihn davon abzubringen. Mittlerweile ruft ihm das halbe Dorf zu, er solle aufhören, was ihm nur noch mehr Energie gibt. Erst als er alle erreichbaren Äste „geerntet“ hat, rutscht er den Stamm herunter. Albi versucht ihm klarzumachen, dass er unsere rollende Wohnung damit beschädigt, und die zwei gehen zur Beschwichtigung der Gemüter zusammen einen Tee trinken.
Den Nachmittag verbringen wir wieder im Getümmel der vielen Leute. Der Ort ist absolut vollgestopft mit Rajastanis, Pilger, Touristen und vielen Bettlern. Ab und zu sieht man eine verwahrloste Gestalt mit langen verfilzten Haaren – ein Sadhu. Diese selbsternannten „heiligen“ Männer laufen vielfach nur mit Asche beschmiert splitternackt durch die Menschenmenge. Vorausgesetzt sie laufen überhaupt – wir sehen einen, der sich, Arme an den gestreckten Körper haltend, nur rollend vorwärtsbewegt. Ein anderer läuft nur auf den Händen, und wir fragen uns, ob er auch imstande ist, in dieser Stellung etwas zu trinken.

6. November 1995

Wir verabschieden uns von unseren neuen Freunden aus Deutschland und machen uns auf den Weiterweg. Auf wenig befahrenen Nebenstrassen fahren wir Richtung Jaisalmer. Diese Nacht verbringen wir endlich mal wieder in aller Stille.

7. November 1995

Es hat offenbar vor kurzer Zeit geregnet. Wir sehen viele Wasserlöcher, und auf dem kargen Wüstenboden liegt ein grüner Schimmer.
Am Nachmittag erreichen wir Jaisalmer, die wichtigste Stadt in der Wüste Thar. Sie liegt auf einem kleinen Hügel und ist mit einer imposanten Mauer gegen Angreifer befestigt.
In der Stadt suchen wir wie immer ein Hotel oder Guesthouse, wo wir auf dem Parkplatz stehen können. Die meisten Inder fahren ihr Auto nicht selber, sondern haben einen Chauffeur, der dann vor oder eher hinter dem Hotel im Auto übernachtet. So hat es dort immer Toiletten und manchmal sogar Duschen, die wir dann auch benützen können. Es kommt aber auch vor, dass wir zum Duschen ein leer stehendes Zimmer benützen können, weil die Besitzer stolz sind, unseren Campingcar vor dem Hotel stehen zu haben.
Hier in Jaisalmer finden wir einen Platz im Park des Jawahar Niwas Palace Hotels, das früher einmal das Gästehaus für nichthinduistische Besucher des Maharajas war. Weil diesen Leuten unter anderem auch Fleisch zum Essen serviert wurde, steht das Gebäude ausserhalb der Mauern, wohl um die Stadt nicht zu verunreinigen.

8. November 1995

Bei Sonnenaufgang werden wir geweckt. Draussen steht ein junger Angestellter und sagt: „Breakfast ready, Sir.“ Das Frühstück war zwar von uns nicht bestellt worden, aber wenn es nun schon da ist, stehen wir auf und nehmen den Tisch vom Dach, damit der arme Kellner endlich das schwere Tablett abstellen kann. Nach einer kurzen Morgentoilette setzen wir uns zum Essen hin und wollen gerade zulangen, als der Kellner wieder erscheint: „Sorry Sir, breakfast not for you, other room number, Sir, sorry Sir.“ Und entwendet uns das Essen wieder. Wie jemand die Zimmernummer verwechseln kann, ist uns schleierhaft, wir stehen ja mitten im Park.
Den Rest des Tages verbringen wir faulenzenderweise und geniessen die Ruhe nach den lärmigen Tagen in Pushkar.

9. November 1995

Heute erkunden wir die Stadt. Wir schlendern durch die engen Gassen und bestaunen die mit Schnitzereien verzierten Herrschaftshäuser. Jaisalmer ist einer der wenigen Orte in Indien, wo man als „Weisser“ nicht dauernd angesprochen wird. Das liegt wohl auch daran, dass es hier recht viele Touristen hat, so dass sich die Leute an bleiche Gesichter gewöhnt haben. Sonstwo werden wir manchmal regelrecht belagert, und jeder, der ein paar Worte englisch spricht, möchte sich mit uns unterhalten. Das ist ja verständlich und freut uns eigentlich auch, nur wird es mühsam, wenn man von einem Haufen Leute belagert wird und einer nach dem anderen genau dieselben Fragen stellt: „What is your name?“, „Where you come from?“, „Native place?“.
Für den Stadtrundgang haben wir Prinz im Wohnmobil gelassen, weil in Indien spazierengeführte Hunde unbekannt sind. Dafür laufen wir mit ihm später noch ausserhalb der Stadt auf einen Grabhügel hoch. Zurecht sind wir abends total erschöpft von soviel Bewegung.

10. November 1995

Albi liegt krank im Schrank! Es ist ihm übel, und er ist geschwächt. Prinz und ich bewegen uns auf leisen Pfoten um ihn herum.

11. November 1995

Zum Glück ist Albi wieder wohlauf, sonst müssten wir heute noch hier bleiben, und das würden wir wohl nicht aushalten. Im Hotel ist nämlich eine indische Geschäftsdelegation eingetroffen. Die gutgekleideten Herren erblicken uns und marschieren schnurstracks auf uns zu und fordern uns auf (anders kann man es nicht nennen), über unser Auto Auskunft zu geben. „Show me your car!“, „I want see inside!“, „How many dollars you pay?“ und immer wieder das arrogante „Show me your car!“. Die reichen Inder sind sich gewohnt, dass sie allen anderen Leuten befehlen können, schliesslich sind sie die Mächtigen. Wir fragen sie dann jeweils „Good morning, do you speak english?“, und auf ihr unwirsches „Yes, of course!“ machen wir sie darauf aufmerksam, dass es freundlich wäre, die Menschen zuerst zu begrüssen, bevor man gleich eine Wohnmobilbesichtigug verlangt. Die meisten wenden sich dann abrupt ab, ohne noch etwas zu sagen, aber bei manchen steigen wir in ihrer Achtung, und sie behandeln uns freundlich.

Wir fahren noch weiter in die Wüste hinein, bis wir zu den Sam Sanddünen kommen. Sie sind nicht mit den Dünen in der Sahara vergleichbar, aber schön ist die Landschaft dennoch. Gleich bei unserer Ankunft werden wir von vielen Jungs bestürmt, die uns alle einen Kamelritt verkaufen wollen. Wir vertrösten sie auf später, vielleicht. „If you want camel, my name Usman (oder wie sie alle heissen), don’t forget!“ Wir beruhigen sie, dass wir sie schon nicht vergessen werden, aber wir würden jetzt lieber etwas essen. Schon bald sitzen wir eng an die Mauer einer Hütte gedrückt, um im spärlichen Schatten zu sein und essen Dhal (Linsencurry) mit staubigen Chappattis (Fladenbrot), wobei der Sand zwischen den Zähnen knirscht.
Im Lauf des Nachmittages treffen weitere Kamele mit Führer ein, und wir fragen uns, wie sie mit den vereinzelten Touristen, die wir bisher gesehen haben, genug Geld verdienen können. So gegen vier Uhr jedoch, treffen die Touristen ein. Mit Bussen, Mahindra Jeeps und Ambassadors fallen ausländische wie indische Besucher über die Rajastanis her, damit sie auf dem Kamelrücken den Sonnenuntergang in den Dünen erleben können. Wir verflüchtigen uns und übernachten irgendwo in der Weite der Wüste.

12. November 1995

Wir sind nun im Gliedstaat Gujarat unterwegs. Es fällt uns hier ausgesprochen schwer, ein Restaurant zu finden. Die meisten Leute hier sind strenggläubige Hindus, die nichts essen, das von jemandem aus einer anderen Kaste zubereitet worden ist. So kocht hier offensichtlich jede Familie ihr eigenes Mahl, und wer unterwegs ist, packt sich die Verpflegung ein.
Auch zum übernachten ist es hier nicht einfach. In Desa, wo wir gar ein Restaurant entdeckt haben, sind die Leute irgenwie unfreundlich, und ein Junge wirft uns sogar einen Stein nach, etwas was wir in Indien noch nie erlebt haben. Nachdem wir nachts von einem Platz weggejagt werden, stellen wir uns dann bei einer Lastwagenwägestelle hin.

13. November 1995

Zum Frühstück gibt es für Prinz Babybiscuits (das ist zuckerfreies Gebäck) und Banane in Milch, und wir kriegen Biscuits und Cai (der indische Tee, wo Wasser, Tee, Milch und Zucker gemeinsam aufgekocht wird). So gestärkt machen wir uns auf den Weg nach Mount Abu, einem Pilgerort der Jain-Sekte. Beim besten Hotel im Ort, dem Palace Hotel, können wir uns für die nächsten paar Tage im riesigen Park niederlassen. Bezahlen dürfen wir dafür nichts. Sie seien fasziniert von unserer Art zu reisen und erfreut, uns bei ihnen haben zu dürfen.
Das vegetarische Drei-Gang-Menü wird mit weissen Handschuhen wie zu Kolonialzeiten serviert und schmeckt ausgezeichnet.

14. und 15. November 1995

Die touristische Sehenswürdigkeit von Mount Abu ist der Jain Tempel von Dilwara, den wir natürlich auch besichtigen, gemeinsam mit Hunderten von indischen Touristen, die einen gewaltigen Lärm verursachen.
Wir schlendern durch das Städtchen und essen, worauf wir gerade Lust haben. Albi lässt sich die Haare schneiden und ich kaufe zwei neue Shalwar Kameez, den Dress der muslimischen Frauen. Ausser in Goa am Strand trage ich die ganze Zeit den Shalwar Kameez, einfach weil er so bequem ist, mit den weiten Hosen und dem langarmigen, knielangen Oberteil. Damit bin ich auch überall gut angezogen, denn in ganz Indien kleiden sich die Frauen ausschliesslich entweder in einen Sari oder eben den Shalwar Kameez.

16. November 1995

Auf kleinen Nebenstrassen mit wenig Verkehr fahren wir nach Modhera, wo der verlassene Sonnentempel steht. Nach einer ausgiebigen Besichtigung der Anlage machen wir uns auf den Weg Richtung Diu.

17. November 1995

Nach ein paar Stunden und nur wenigen Kilometern auf schlechten Nebenstrassen beschliessen wir, ab jetzt auf Hauptstrassen direkt nach Diu zu fahren. In den Städten ist das einfacher gesagt als getan, weil wir nie die Umfahrungsstrasse finden und dann mitten in der Stadt landen, von wo wir uns mühsam wieder in die richtige Richtung herausfragen müssen. Bei den nicht gerade aufgeweckten Gujaratis ist dies kein leichtes Unterfangen. Da werden wir auch schon mal mit unserem über zwei Meter breiten Wohnmobil über eine Brücke geschickt, wo gerade ein Dreirad durchschlüpfen kann.
An einer Kreuzung zieht ein Mann seinen Karren mit einem Abstand von 10 cm an unserem Auto vorbei und übersieht dabei, dass die geladenen Äste mehr als einen halben Meter seitlich über den Karren herausrägt. Die Äste kratzen und kreischen am ganzen Floh entlang. Diese Ortschaft haben wir deshalb von Surendranagar auf Surrender Nagar umgetauft – da ist alles verloren.

18. November 1995

Auf unserer Strasse, der State Highway Nr. 33, sind die Kilometersteine mit „Kodinar 70 km“ angeschrieben – wunderbar, dorthin wollen wir. Nach 20 km ist die Fahrt jedoch zu Ende: Wir stehen am Tor des Nationalparks, wo zwar die Strasse durchführe, aber nur für Geländefahrzeuge tauglich sei. Wir sollen die Route weiter östlich über Una nehmen. Soviel zum gujaratischen Strassensystem.
Unterwegs kreuzen wir immer wieder Herden mit Kühen und Wasserbüffeln. Dabei arbeiten wir im Team: Albi fährt und hupt, ich schlage mit einem Stock die dummen Büffel zur Seite (Albi sagt dauernd „fester, fester, sonst spüren sie nichts!“), und Prinz bellt lauthals. So passiert es später in der Schweiz, dass Prinz zu bellen beginnt, wenn wir wegen einem Velofahrer abbremsen müssen.
Auch die östliche Route führt durch den Nationalpark, aber auf geteerter Strasse. Den sehr seltenen indischen Löwen sehen wir natürlich nicht, dafür viele Spotted Deer, eine Hirschart mit weissen Punkten.

In Diu, der ehemals portugiesischen Insel, fahren wir direkt an die Nagoa Beach, wo wir uns, wie alle anderen Travellers auch, beim General einquartieren. Der General ist die strenge 50jährige Besitzerin des einzigen Guesthouses am Strand. Check-out ist um 8 Uhr morgens. Mittag- und Abendessen müssen bis 10 Uhr detailliert vorausbestellt werden, mit genauer Mengenangabe von Reis, Dhal und sogar die genaue Anzahl Chappattis! Ausserdem behandelt sie ihre Gäste recht unfreundlich, nur wir sind eine Ausnahme. Da sie stolze Besitzerin von Haushunden ist (so etwas kennt man in Indien kaum), können wir uns mit unserem Prinz schon bald gute Freunde nennen.

19. – 25. November 1995

Wir geniessen ein paar Ferientage am Strand. Es läuft hier nicht viel, ausser am Sonntag, da ist Diu voller Gujarati, die ihren „trockenen“ Staat verlassen, um hier Bier trinken zu kommen. Wir lesen viel, gehen mit Prinz spazieren, unterhalten uns mit anderen Rucksackreisenden, und Albi versucht mittels Betriebshandbuch herauszufinden, ob er nicht doch etwas an unserem Wohnmobil schrauben könnte. Als alter Landrover-Fahrer ist er sich solch lange Zeit ohne schmutzige Hände gar nicht mehr gewohnt! Aber unser Floh ist kerngesund.

26. November 1995

Heute ist genug gefaulenzt! Wir müssen wieder weiter. Auf Gujarats Strassen kommen wir wie gewohnt nur langsam voran und erreichen erst am Nachmittag Palitana, eine Pilgerstadt der Jain.

27. November 1995

Einige Kilometer vor Ahmedabad treffen wir auf die National Highway Nr. 8 – endlich wieder eine Strasse, wo man schneller als 50 km/h fahren kann. Leider müssen wir sie viel zu schnell wieder verlassen.
Als wir im Gliedstaat Madhya Pradesh in einem unbewohnten (!) Gebiet zwecks Übernachtung neben die Strasse fahren, klopft es bald darauf am Auto. Draussen steht ein Polizist mit einem Gewehr, der uns hier wegjagen will. Weshalb, kann er uns nicht erklären, er spricht kein Englisch. Aber er will uns auf gar keinen Fall hier stehen lassen. Als wir uns fahrtüchtig machen, merken wir, dass ein ganzer Lastwagenkonvoi auf uns wartet. Wir schliessen uns der Kolonne an, und unser Ordnungshüter steigt mit seiner Flinte in den vordersten Lastwagen, und ab geht die Fahrt.
Während wir bei Dunkelheit hinter den Lastern herkriechen, fragen wir uns, weshalb hier im bewaffneten Konvoi gefahren wird. Hat es wilde Elefanten, menschenfressende Tiger oder gar irgendwelche Banditen. Wir wissen es nicht. Nach einstündiger Fahrt erreichen wir eine grössere Ortschaft, wo sich der Konvoi wieder auflöst, und wir stellen uns bei einer Tankstelle zum Schlafen hin.

28. November 1995

Nach dem Frühstück lassen wir unseren Reifen, der gestern durch einen eingefahrenen Stein Luft verloren hat, flicken. Der Reifenflicker hat schon mal etwas von Schlauchlosreifen gehört und gibt sich sehr Mühe, den Reifen ohne irgendwelche Maschine sorgfältig von der Felge zu bringen. Als er es geschafft hat, geht durch die um uns versammelte Menschenmenge ein lautes Murmeln: Aha, klar dass der Reifen platt ist, wenn gar kein Schlauch drin ist!
Wir finden, der Pneu sei nicht mehr zu flicken und holen einen Schlauch aus unserem Auto, aber der Pneuni meint, das schaffe er auch mit einem Flick. Als er dann den Reifen ohne Schlauch wieder auf die Felge zieht und aufpumpt, ist es den Zuschauern nicht mehr ganz wohl, und nachdem es dann noch plopp macht, und der Reifen dicht auf den Felgen ist, verstehen sie die Welt nicht mehr.
Unser nächstes Ziel ist die alte Stadt Mandu, wo wir es uns im Garten des Tourist Cottage bequem machen.

29. November 1995

Für 500 Rupees (dafür kann man zweimal in einem guten Hotel übernachten oder zehnmal zu zweit gut essen gehen) telefonieren wir 6 Minuten lang in die Schweiz zu Albis Eltern. Sie wollen uns Ende Januar in Südindien besuchen kommen.

30. November 1995

Wir machen ausgiebige Besichtigungen der alten Paläste und Grabstätten in der Umgebung. Sogar einer Feuerbestattung können wir aus einiger Entfernung zusehen.

1. Dezember 1995

Die 30 km von Mandu zur NH 3 sind katastrophal! Alles ist voller Schlaglöcher und von den LkWs ausgefahren. Vor jedem Schlagloch müssen wir uns überlegen, wie genau wir es befahren wollen. Aber auch die Nationalstrasse ist in einem schlechten Zustand. Wir kommen heute kaum vorwärts.

2. Dezember 1995

Nach einem ganzen Tag Fahrt stellen wir uns zum übernachten auf die alte, nicht mehr benutzte Strasse. Die Leute vom nächsten Dorf sind durch unser Dasein so beängstigt, dass sie die Polizei holen. Nach langer Diskussion, wer wir sind, woher wir kommen, was wir hier tun, wohin wir gehen und vor allem, wie lange wir bleiben, lassen sie uns eine Nacht hier schlafen. Solche Situationen kommen sogar in der guten alten Schweiz vor…

3. Dezember 1995

Nach einem Kassensturz sieht unsere Finanzlage ziemlich düster aus: Wir sind noch im Besitz von ganzen 1500 Rupees, was wohl nicht mehr sehr weit reicht. In der nächsten grossen Stadt, in Nagpur, sollte es jedoch möglich sein, Geld umzutauschen. Wir merken erst bei einer Stadtrundfahrt, wo es erstaunlich wenig Leute in den Strassen hat, dass heute Sonntag ist. Genau die richtige Zeit, um Geld zu wechseln! Wir schaffen es trotzdem, im grössten Hotel der Stadt, 100 US Dollars umzutauschen.
Bei Raipur übernachten wir vor den Toren eines indischen Resorts. Der freundliche und stolze Manager freut sich, die Anlage einmal Ausländern vorführen zu können. Sie wird hauptsächlich zum Feiern von Hochzeiten benützt.

4. Dezember 1995

Am Morgen wird uns Tee offeriert, und sie haben uns sogar eine Mahlzeit zum Mitnehmen gekocht: Chilli Chicken und Fried Chola (Kichererbsen). Da wir unser Essen lieber frisch und heiss geniessen, kriegt Prinz heute ein super Abendessen. Weil es in Indien kein Hundefutter zu kaufen gibt, füllen wir seinen Napf jeweils mit einem Restaurantessen. Während wir essen gehen, lassen wir uns noch eine Portion Fried Rice (wenn’s geht mit Huhn, sonst mit Ei) oder sonst etwas Essbarem, das nicht zu scharf ist, einpacken. Es scheint ihm auf jeden Fall nicht zu schaden, er hat eine gute Verdauung, viel Energie, und auch sein Fell glänzt immer noch schön. Also scheint er genügend Vitamine und Mineralien zu bekommen.
An der Grenze zu Orissa hat es einen kilometerlangen Lastwagenstau. Die Lastwagenfahrer müssen bei jedem Grenzübergang in einen anderen Gliedstaat die Zollpapiere erledigen, aber wir fahren jeweils einfach durch. In Orissa wollen uns die Beamten nicht durchlassen, wir bräuchten zuerst einen Gatepass. Nachdem wir ihnen klarmachen, dass wir ein private vehicle („ah, private vehicle!“) seien, lassen sie uns passieren.
Wir fahren in die Berge und übernachten 50 km nach Sambalpur bei einem Truckstop.

5. Dezember 1995

Am Morgen ist der ganze Wald in Nebel eingehüllt, es ist feucht und kalt. Langsam kommen wir wieder in etwas bewohnteres Gebiet. Es hat viele Reisfelder, wo die Leute am Setzen sind. Albi wird durch die Frauen von der Strasse abgelenkt, denn hier tragen sie unter dem Sari kein Oberteil, so dass schon mal die eine oder andere Brust sichtbar wird. Aber leider meistens nur bei älteren Frauen.
Bereits bei Dunkelheit erreichen wir die Pilgerstadt Puri. Wir fühlen uns wie in einem Wespennest. Die Stadt ist voller Leute, zu Fuss, auf Fahrrädern und auf Mofas. Das Horn von unserem Floh ist nahe dran, seinen letzten Klang abzugeben. Als Albi in einer Strasse rückwärts fahren muss, steige ich aus, um die Leute wegzuscheuchen. Es ist ein Riesenradau, dafür hat es ein Restaurant neben dem anderen, so dass wir uns kaum entscheiden können, wo wir essen wollen. Zum übernachten stellen wir uns am Strand auf einem Strässchen zwischen zwei Häuser.

6. Dezember 1995

Vergebens suchen wir einen Ort, wo wir ein, zwei Tage stehen können. Die Stadt ist so voller indischen Touristen, da beschliessen wir, unser Glück im 30 km entfernten Konark zu suchen. Dort gefällt es uns viel besser. Bei einem Guesthouse am Rand vom Dorf können wir uns hinstellen.
Am Nachmittag besichtigen wir den schönen Sonnentempel.

7. Dezember 1995

Ein paar Spaziergänge mit Prinz und faulenzen, und schon ist der Tag vorbei. Am Abend kommt ein junges indisches Paar bei uns vorbei. Sie interessieren sich für unseren Floh, weil sie vorhaben, einen Kastenwagen zu kaufen und zu einem Camper auszubauen. Später gehen wir zusammen essen.

8. Dezember 1995

Albi macht einen Versuch, mit einer Gasflasche unseren Tank aufzufüllen. Durch den Druckunterschied scheitert dieses Vorhaben.
Gegen Abend wird er krank: Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen und Übelkeit.

9. Dezember 1995

Den ganzen Tag liegt Albi im Bett. Das Fieber geht nicht runter, und er kann sich kaum bewegen.

10. Dezember 1995

Albi ist auf dem Weg zur Besserung und hat auch bereits wieder Hunger.

11. Dezember 1995

Damit sich Albi vollends erholen kann, bleiben wir noch einen Tag hier. Prinz ist derweil voll beschäftigt. Es hat im Gebüsch viele Echsen, die er im Auge behalten will.

12. Dezember 1995

In der Stadt Bubaneshwar versuchen wir einen Reifen zu kaufen, weil wir dem reparierten nicht trauen. Es gibt zwar laut Katalog ein 14/175 Modell von Dunlop aber leider nicht in dieser Stadt. Also warten wir damit bis Goa. Wir machen uns jetzt auf den Weg dorthin, schliesslich wollen wir Weihnachten dort verbringen.

13. Dezember 1995

Nachdem wir den ganzen Tag gefahren sind, hat Albi am Abend erneut Fieber.

14. Dezember 1995

Albi schluckt zum Frühstück ein Aspirin, aber gegen Mittag geht nichts mehr mit ihm. Wir halten an einer Nebenstrasse und wollen zwei Stunden Pause machen. Nach ein paar Stunden Schlaf geht es ihm wieder besser, aber wir beschliessen, heute nicht mehr weiter zu fahren, wer weiss, ob wir später wieder ein so ruhiges Plätzchen finden. Langsam macht uns Albis Krankengeschichte Angst. Sobald wir in Goa sind, werden wir einen Arzt aufsuchen.

15. Dezember 1995

Wir haben unsere erste Panne! Das hochwertige Bosch Horn hat den Geist aufgegeben. In einem Land wie Indien, wo es eines der wichtigsten Teile des Autos ist, müssen wir natürlich sofort Ersatz beschaffen. Gleich vor dem Laden baut Albi das neue Teil ein. Da es „made in India“ ist, können wir uns darauf verlassen, dass es den hiesigen Anforderungen entspricht.

16. Dezember 1995

Wir befinden uns wieder auf einer Nationalstrasse, diesmal auf einer gut ausgebauten, so dass wir heute sage und schreibe 500 km schaffen!

17. Dezember 1995

Dafür sind die restlichen 150 km bis Hampi zäh. Erst am Mittag erreichen wir den Ort. Wir stellen uns auf dem weitläufigen Gelände einfach mitten auf eine Wiese und ruhen uns aus.
Unser wasserscheuer Hund geht unfreiwillig baden. Er hat den grünen Belag auf dem Fluss für Gras gehalten und ist voll untergetaucht. Vor lauter Panik schafft er es nicht, die Steine hoch zu klettern. Wir müssen ihm dabei helfen.

18. Dezember 1995

Bis Goa sind es noch gut 300 km, das werden wir wohl heute nicht mehr schaffen. Auf halber Strecke verändert sich die Landschaft, es ist hügelig und bewaldet. Schlussendlich kommen wir an die Ghats, wo es kurvenreich Richtung Meer herunterführt.
Um 6 Uhr, gerade zum Sonnenuntergang, treffen wir an der Vagator Beach in Goa ein. Elf Stunden Fahrt haben wir hinter uns!

19. Dezember 1995

Wir haben eigentlich viele Overlander hier erwartet, aber ausser einem österreichischen VW-Bus, wo sich die Leute, kaum sehen sie uns, aus dem Staub machen, ist die Beach leer.
Wir machen einen Abstecher aufs Post Office in Panjim, wo wir unsere postlagernden Briefe abholen wollen. Nur ist keiner da! Dann fahren wir an die Calangute Beach, wo wir uns, wie bereits vor fünf Jahren, im Sea View Cottages niederlassen. Für ein paar Rupees können wir uns unter die Palmen stellen und erhalten den Schlüssel zu unserem ganz privaten WC/Duschenhäuschen. Das Meer und die vielen Strandcafés sind nur ein paar Meter entfernt.

20. Dezember 1995

Wir verschicken Faxe nach Hause und suchen einen Arzt auf. Mittlerweile ist Albis rechte Drüse am Oberschenkel angeschwollen, und der Arzt meint, dass es sich um eine Blutvergiftung handelt (also keine Malaria oder Denguefieber). Dank Antibiotika sollte die Sache schnell heilen.

21. – 23. Dezember 1995

Damit wir unser Wohnmobil stehen lassen können, mieten wir uns ein Motorroller. Prinz wollen wir auf unseren Ausflügen natürlich nicht im Floh zurücklassen, also üben wir mit ihm das Töfffahren zu dritt: Albi fährt mit Prinz zwischen den Beinen (deshalb auch ein Roller, wo mit den Händen gebremst wird), und ich sitze hintendrauf. Wir müssen einfach schauen, dass Prinz schön sitzen bleibt, dann klappt das gut.
Wir fahren so an die kleine Vagator Beach, wo sich mittlerweile drei deutsche Lastwagen eingefunden haben, darunter auch der IFA mit Walter, Kerstin und Dominik, die wir ja bereits aus Pushkar kennen. Wir verbringen einen ganzen Tag mit ihnen zusammen. Leider können wir uns mit unserem Wohnmobil nicht zu ihnen hin stellen, denn die Anfahrt an den Strand wäre sogar für ein Geländefahrzeug eine Herausforderung. Wir gehen auch baden und stellen fest, dass Prinz so wasserscheu gar nicht sein kann, denn er folgt uns ins gefährliche Nass. Nur diese Wellen, die einem dauernd über den Hundekopf schwappen, sind doch zu unangenehm. So ist er erleichtert, als wir wieder auf dem Sand stehen.

24. Dezember 1995

Wir verbringen den ganzen Tag damit, Restaurants abzusuchen. Schliesslich ist heute Weihnachten, und wir möchten ein gutes Festessen serviert bekommen. Um fünf Uhr kommt uns die blendende Idee, an die Vagator Beach zu fahren. Wir haben gehört, dass es dort in einem Restaurant ein Paella-Essen geben soll.
Wir packen den Floh zusammen und machen uns auf den Weg dorthin. Dem Restaurantbesitzer ist es peinlich, nein sagen zu müssen, aber er habe keinen Platz mehr. Das Essen sei kein Problem, nur Tisch und Stühle habe er wirklich keine mehr. Kein Problem für uns, wir bringen die eigenen mit! Das Essen besteht aus Krabbensuppe, Paella, Tortilla-Kuchen, Caramelpudding und Sangria – alles ausgezeichnet!

25. – 27. Dezember 1995

Wir sind fleissig am Faxe schreiben und empfangen und gehen zwischendurch immer mal wieder am Strand spazieren. Natürlich stopfen wir uns jeden Abend mit wunderbarem Fisch dem Bauch voll. Alles, wie es sich im Urlaub gehört.

28. Dezember 1995

Wir machen jetzt bereits zum dritten Mal einen Ausflug zum Postamt. Wir wissen, dass Briefe für uns dort sein sollten. Während Albi im Auto wartet, stürze ich mich in das Chaos. Ausser zwei Stapeln, die heute wohl noch niemand durchgeschaut hat, liegen alle Briefe verstreut in der Gegend herum. Nachdem ich es geschafft habe, die Stapeln A und G ausfindig zu machen und sie erfolglos durchsucht habe, will ich die zwei Bündel der Angestellten durch den Schalter geben, damit sie sie versorgen kann. Sie weist mich zurück und sagt, ich soll sie nur wieder vorne zu den anderen hinlegen, da sei eh schon lange alles durcheinander, sie hätte schliesslich nicht den ganzen Tag Zeit, um solch unwichtigen Briefe zu sortieren. Darauf kriege ich einen kleinen Wutanfall und schmeisse die Briefe einfach hin. Ein Kunde mahnt mich mit vorwurfsvoller Stimme: „Madam, you should not…“, aber ich bin bereits zur Tür rausgestürmt. Es gibt einfach solche Tage… Nach einer Viertelstunde habe ich mich wieder beruhigt, schliesslich sind wir in Indien, da macht es keinen Sinn, sich aufzuregen.

29. Dezember 1995 – 8. Januar 1996

Wir haben mittlerweile eine Faxnummer von Albis Schwester Simone erhalten. Sie befindet sich zur Zeit mit dem Rucksack in Udaipur. Wir melden uns bei ihr und fragen sie, ob sie Lust hätte, die paar Wochen bis zur Ankunft der Eltern mit uns zusammen zu reisen. Sie sagt zu und schreibt, dass sie etwa am 13. Januar bei uns in Goa eintreffen werde.
Wir kümmern uns mal wieder um unseren Floh. Nach einer ausgiebigen Wäsche bekommt er neues Öl und auch einen neuen Reifen. Zum Glück, denn beim geflickten (den wir als Ersatzpneu dabei hatten) hat sich der Flick wieder gelöst. Weil die Karkasse eingedrückt ist, wäre wohl auch ein Schlauch schnell durchgescheuert.

9. Januar 1996

Wir sind faul geworden, deshalb beschliessen wir zu Fuss an die Vagator Beach zu laufen. Dort trauen wir unseren Augen kaum: Etwa 10 Reisefahrzeuge stehen oberhalb der Beach unter den Palmen. Nach einem kurzen Schwatz kehren wir zurück, packen unser Auto und siedeln zu den anderen über.

10. – 16. Januar 1996

Die meisten der Reisenden kommen aus Deutschland oder der Schweiz, und wir geniessen es, zusammen zu sitzen und zu plaudern. Den Abend verbringen wir jeweils im Restaurant bei Anton, der uns mit wunderbaren Gerichten verwöhnt. Simone erscheint am 12. Januar, und ab jetzt kann sich Prinz nicht mehr nach Belieben im unteren Bett ausstrecken.

17. Januar 1996

Zusammenpacken, Wasser auffüllen, und los geht’s nach einem Monat Ferien. Da wir lange ausgeschlafen haben und wir noch nicht so im Rhythmus sind, ist unser erster Reisetag nach knapp 100 km bereits zu Ende.

18. Januar 1996

Ich verliere meinen Autoschlüssel, was wir jedoch erst zwei Stunden später merken. Zurückfahren nützt nichts mehr, der Schlüssel wird wohl kaum mehr neben der Strasse liegen.
In Mangalore finden wir nach langem Suchen einen Schlüsselkopierer. Und, oh Wunder: Er hat einen passenden Schlüssel. Aber „very expensive – imported, you know!“ No problem, die 100 Rupees (ca. Fr. 4) zahlen wir gerne. Es ist uns viel wohler, wieder einen zweiten Schlüssel zu haben.
Gerade rechtzeitig zum Sonnenuntergang erreichen wir das Fort Bekal.

19. Januar 1996

Auf der Küstenstrasse kommen wir nur sehr langsam voran. Das ganze Gebiet ist dicht besiedelt mit entsprechend viel Verkehr.

20. Januar 1996

Mittags erreichen wir Aluva, wo wir uns im Park des Government Guesthouse einquartieren. Dann fahren wir mit dem Pushpulltrain nach Ernakulam, von wo wir per Fähre nach Kochi gelangen. Zurück fahren wir mit dem Bus. Beim Einsteigen werden wir halb zu Tode gequetscht, dann stehen wir eine halbe Stunde im Stau.
Müde und absolut verdreckt werden wir von einem freudigen Prinz begrüsst.

21. Januar 1996

Wir legen einen Ruhetag ein und schwitzen so vor uns her. Die geringste Bewegung lässt uns auch im Schatten in Schweiss ausbrechen.

22. Januar 1996

Wir verzichten auf den berühmten Backwatertrip mit dem Schiff und fahren direkt an den Lake Periyar auf 1000 m über Meer.
Albi und ich beziehen zur Abwechslung mal ein Hotelzimmer, während sich Simone mit Prinz das Auto teilt.

23. – 25. Januar 1996

Es ist himmlisch hier, schön warm, aber nicht zu heiss. Auch die Gegend ist sehr schön. Wir besuchen den Nationalpark. Dazu fahren wir auf einem Schiff auf den See und sehen dabei eine kleine Elefantenherde und viel unberührten Wald. Später setzen wir uns in den Wald und geniessen die Stille.

26. Januar 1996

Gegen Mittag ziehen wir weiter und besuchen unterwegs noch irgendwelche Wasserfälle. Es hat sehr viele Inder, die sich zur religiösen Reinigung unter die Fluten stellen. Uns hat es hier zu viele Leute, und ausserdem wird Prinz wegen den frechen Äffchen ganz nervös, also fahren wir weiter und übernachten an einem ruhigeren Ort.

27. Januar 1996

Wir fahren nach Kodaikanal auf über 2400 m Höhe. Wir sind gespannt, ob wir die Kälte auf dieser Höhe überleben werden. Ausserhalb der Stadt, neben einer katholischen Kirche, finden wir einen ruhigen Stellplatz.

28. Januar 1996

Noch vor 7 Uhr werden wir durch laute Musik geweckt: Es ist Sonntag, und die Kirche lockt sowohl die Gläubigen in die Messe. Später fährt der Bäcker mit seinem Fahrrad vorbei, so dass wir ihm frische Brötchen (!) abkaufen können.
In der Nacht war es so kalt, dass wir die Standheizung vom Wohnmobil eingeschaltet haben. Sie hat jedoch nicht funktioniert, sondern hat sich nach zwei Minuten wieder ausgeschaltet. Wir schauen uns nun die Sache an und stellen fest, dass einzig in den Campingbatterien etwas wenig Wasser drin ist, sonst entdecken wir nichts. Wir wollen deshalb zur nächsten Tankstelle fahren und Batteriewasser einkaufen. Einfacher gesagt als getan! Albi bringt den Motor nicht zum laufen. Ist der Dieselfilter dicht? Nein, kann nicht sein, sonst käme keine Rauchwolke aus dem Auspuff. Also muss es wohl am schlechten Diesel, der Höhe und der Kälte liegen. Nach einer Stunde Anlassern und Anschieben klappt es endlich. An der Tankstelle, wo wir ein paar Liter Benzin in den Diesel mischen wollen, ist natürlich auch Sonntag, und demzufolge geschlossen. So müssen wir alle paar Stunden den Motor anlassen, damit er nicht total abkühlt. Die Heizung läuft natürlich mit dem schlechten Diesel auch nicht.
Am Abend sind wir bei Daisy, einer Inderin, zum Essen eingeladen. Vorher mussten wir ihr 50 Rupees geben, damit sie Gemüse einkaufen konnte. Es ist etwas komisch: Die ganze Familie schaut uns beim Essen nur zu, wir können sie nicht überreden mit uns zu essen. Sie werden wohl erst später den noch üppigen Rest essen. Es schmeckt sehr gut.

29. Januar 1996

Wir geniessen noch einen letzten Tag in dieser kühlen Höhe und spazieren in der Gegend umher.

30. Januar 1996

Wir fahren weiter. Die 2000 Meter Höhenunterschied sind gar nicht so schnell wieder runter gefahren. Albi kurvt die Berge herunter, als wolle es gar nicht aufhören.
In Trichy versuchen wir vergebens einen Stellplatz zu finden, so dass wir schlussendlich ausserhalb bei einem Hotel landen. Wir bezahlen zwar recht viel, dafür bekommen wir ein ausgezeichnetes Abendessen serviert.

31. Januar 1996

Wir besichtigen die Tempelstadt von Srirangam und fahren dann weiter nach Pondicherry, der ehemaligen französischen Kolonie. Auch dort finden wir erst im staatlichen Tourist Home einen Platz, wo wir für 30 Rupees (ca. Fr. 1.50) ein Doppelzimmer nehmen müssen, damit wir auf dem Parkplatz stehen können. Wir ziehen es vor, trotzdem im Auto zu schlafen, weil wir die paar tausend Mücken garantiert nicht alle aus dem Zimmer scheuchen können.
Das Abendessen nehmen wir in der Alliance Française ein.

1. Februar 1996

Wir sind ganz erschöpft! Beinahe die ganze Nacht haben wir uns den Mücken eine Schlacht geliefert. Unser bisher immer mückendichter Floh wurde von den blutgierigen Viechern an jeder Ritze attakiert. In der feuchten Hitze waren wir nach jedem Kampf schweissgebadet, bis wir endlich merkten, dass sich die kleinen Dinger durch das Moskitonetz der Dachluken zwängen konnten.
Nach einem Baguette-Frühstück fahren wir weiter nach Auroville. Dort befindet sich eine internationale Religionskommune, wo knapp 1000 meist europäische Leute wohnen. Die Anlage ist schön und weitläufig angelegt, und man merkt bereits beim Durchfahren, wie ruhig und friedlich das Leben hier ist.
In Mamallapuram, dem früheren Mahabalipuram, gibt es einen Campingplatz, wo bereits Reisende ihr Zelt aufgeschlagen haben. Ein Obwaldner Paar mit Motorrad ist auf dem Platz.

2. – 4. Februar 1996

Zu fünft gibt es natürlich viel zu erzählen, Erfahrungen auszutauschen und bis spät in die Nacht zusammenzusitzen.
Wir besichtigen auch die Pilgerstätte von Mamallapuram und geniessen es, mal wieder ausgiebig unsere Beine zu bewegen.

5. Februar 1996

Heute packen wir wieder unsere Sachen zusammen und machen uns auf den Weg nach Bangalore, wo in ein paar Tagen Albis Eltern und Bruder eintreffen werden. Wir schaffen es mit vielen Pausen und auf ruhigen Strassen bis 50 km vor die Stadt, wo wir noch einmal in der Natur übernachten.

6. Februar 1996

Noch vor dem Mittag treffen wir in Bangalore ein. Im guten Woodlands Hotel nehmen wir ein Zimmer. Albi und ich werden im Zimmer schlafen und Simone mit Prinz im Wohnmobil.
Am Nachmittag machen wir über ein Reisebüro ein paar Hotelbuchungen für Grafs, und Simone telefoniert in die Schweiz, um zu erfahren, ob sich in letzter Minute noch etwas geändert hat. Am 9. Februar können wir sie am Flughafen abholen.
Wir machen uns auf die Suche nach einem guten Restaurant und werden im Khyber fündig. Nordindische Spezialitäten vom Feinsten!

7. Februar 1996

Heute gehen wir auf Einkaufstour. Simone kauft meterweise Stoffe ein, und Albi und ich klappern die kleinen Software-Buden ab. Für etwas mehr als Fr. 100 finden wir eine CD mit Windows und Office 95, made in China.
Abends statten wir dem berühmten Nilgiris Café einen Besuch ab.

8. Februar 1996

Mit dem armen Prinz, der fast die ganze Zeit im Auto verbringen muss, gehen wir zweimal am Tag in den Botanischen Garten, damit er anständig Auslauf hat.
Am Abend wollen wir chinesisch essen gehen. Da aber um halb acht das Restaurant noch nicht geöffnet hat, schauen wir uns nach einem anderen Lokal um und entdecken ein Kentucky Fried Chicken! Nach drei Monaten Indien läuft uns beim Gedanken an einen Burger das Wasser im Mund zusammen, und wir begeben uns ins tiefgekühlte Fast Food Lokal. Sogar für Prinz kaufen wir einen Chicken Burger, damit auch er mal wieder ein Stück Fleisch kriegt.

9. Februar 1996

Um sechs Uhr stehen wir auf und werfen uns in unsere beste Kleidung. Bei mir ist es der kürzlich erstandene Sari, der gar nicht so einfach zum anziehen ist. So herausgeputzt fahren wir zum Flughafen und warten auf die Ankunft von Albis Eltern und seinem Bruder.
Es folgt eine hektische halbe Stunde mit Begrüssung, Prinzengebell, Gepäcksuche und der feierlichen Übergabe von ein paar Packungen Fasnachtschüechli, diesem schweizerischen Leckerbissen, den wir bereits in unseren drei Jahren in Singapur vermisst hatten. Danach fahren wir alle ins luxuriöse Taj Residency Hotel, wo wir ausgiebig frühstücken und viele Neuigkeiten auszutauschen haben. Später legen sich Albert und Rita (Albis Eltern) schlafen und wir gehen mit Simone und Thomas in den Bazar.
In dem von uns ausgekundschaftete Khyber Restaurant füllen wir uns die Bäuche und legen uns nach diesem anstrengenden Tag müde ins Bett.

10. Februar 1996

Heute ist Albis Geburtstag. Eigentlich sollte es heute losgehen. Das gemietete Auto ist samt Chauffeur eingetroffen und fahrbereit. Aber Simone hat eine Bett-WC-Bett-WC….Nacht hinter sich und ist noch nicht reisetauglich. Also bleiben wir noch einen Tag hier. Albis Eltern schicken wir mit Francis, dem Chauffeur, auf eine Einkaufs- und Besichtigungstour, und wir gehen mit Prinz im Botanischen Garten spazieren.
Am Abend essen wir im Woodlands Hotel ein wunderbares südindisches Thali. Dabei erhält man einen Haufen Reis, verschiedene Gemüse und Chutneys, viel Currysauce und ein Joghurt aus Büffelmilch. Mit den Fingern der rechten Hand formt man Klumpen, die man sich dann in den Mund steckt. Es ist meistens sehr scharf und schmeckt ausgezeichnet. Dauernd laufen Kellner umher und füllen einem den Teller wieder auf.

11. Februar 1996

Mit einem Tag Verspätung, dafür mit einer beinahe gesunden Simone, kann’s losgehen. Nach einer kurzen Fahrt halten wir ausserhalb von Bangalore mal an, damit Prinz noch sein Geschäft machen kann. Dabei stellt sich heraus, dass Francis, der Fahrer des gemieteten Hindustan Contessa, laut Albert und Rita sehr gewagt gefahren sei, weil er uns nicht aus den Augen verlieren wollte. Wir beschliessen, Francis voraus fahren zu lassen, so können Grafs ihm genau sagen, wie schnell er fahren darf. Und wir halten uns dann einfach an seine Geschwindigkeit.
Zum Mittagessen halten wir kurz vor Mysore in einem Punjabi Dhaba, einem kleinen Strassenrestaurant, wo wir in einem schön angelegten Garten im Schatten speisen.
Ausserhalb von Mysore übernachten wir im Village Resort.

12. Februar 1996

Beim Auschecken merkt Albert, dass er seine Kreditkarte in Bangalore im Taj liegengelassen hat. Ein Telefonanruf dorthin bestätigt, dass sie noch an der Rezeption ist. Wir werden Francis zurück nach Bangalore schicken, aber erst nachdem wir alle im Mudumalai Nationalpark angekommen sind. Per Zufall haben wir wohl das gemütlichste Guesthouse der Gegend gebucht.
Am späten Nachmittag fahren wir mit dem Bus durch den Park und sehen dabei Elefanten, Spotted Deer, Pfaue, Sambar Hirsche und Affen. Nachher können wir den Arbeitselefanten bei der Fütterung zuschauen. Wir sind mittlerweile auch total ausgehungert und stürzen uns auf das reichhaltige Barbeque.

13. Februar 1996

Am Morgen, noch vor dem Frühstück, fahren wir nochmals eine Runde durch den Park und sehen dabei zusätzlich zu den Tieren einen Waldbrand. Der ist hausgemacht, weil die Parkangestellten die Vegetation am Strassenrand abbrennen und das Feuer nicht richtig löschen, so dass am Schluss der halbe Wald langsam vor sich hin brennt.
Mittags fahren wir wieder nach Mysore, aber diesmal haben wir eine Unterkunft im Stadtzentrum. Weil wir den Prinz nicht ins Zimmer des Hotel Siddharta mitnehmen können, campieren wir auf dem Parkplatz.
Während wir im Wohnmobil sitzen und versuchen, ein Buch zu lesen, starren dauernd Leute zu uns herein, und zwar so aufdringlich wie selten. Der Hotelparkplatz scheint auch noch ein Drive-in-Restaurant zu sein, so dass wir nicht zur Ruhe kommen. Deshalb machen wir uns auf die Suche nach einem ruhigeren Plätzchen. Im Green Hotel, leicht ausserhalb gelegen, finden wir einen wunderschönen und gemütlichen Garten mit freundlichen Leuten. Fürs Zimmer bezahlen wir fast nichts, weil wir nur das Bad brauchen und im Auto schlafen.
Im Hotel Metropole essen wir alle zusammen ein fürstliches Abendessen.

14. Februar 1996

Heute machen wir einen Besichtigungstag und besuchen die Sehenswürdigkeiten der Sandelholzmetropole.

15. Februar 1996

Frühstück gibt’s bei uns im Hotel, dann fahren wir nach Hassan, wo wir uns zuerst im Hotel einquartieren und am Nachmittag eine kleine Rundfahrt zu den alten Tempeln von Halebid und Belur machen.
Nach dem Abendessen wollen wir noch einen Cay trinken gehen. Thomas, der bahnerfahrene Indienreisende, hat die glorreiche Idee, uns alle an den ausserhalb gelegenen Bahnhof zu führen, wo sich weder irgendein Mensch, geschweige denn ein Cay Shop befindet.

16. Februar 1996

Früh am Morgen fahren wir nach Sravanabelgola und steigen auf den Berg, wo sich ein Jain-Tempel mit riesiger Statue befindet. Zurück in Hassan verbringen wir einen ruhigen Nachmittag im Freien mit lesen. Prinz freut es, dass er die ganze Zeit mit uns draussen auf einem abgeernteten Feld sein darf.

17. Februar 1996

Unsere nächste Etappe führt uns nach Chitradurga, wo wir kein Hotel reservieren konnten, weil nichts im Reiseführer stand. Die erste Lodge, die wir besichtigen ist basic: 60 Rs. für ein Zimmer mit zwei Betten, WC und Dusche. Aber alles ist neu und sehr sauber, findet jedoch bei Grafs keinen Anklang. Nach langem Suchen landen wir schlussendlich doch noch im besten Hotel des Ortes, wo es für 500 Rs. ein Vierbett-Zimmer voller Schmutz und ohne Warmwasser gibt. Simone zieht es vor, bei uns im Floh zu nächtigen.

18. Februar 1996

Frühstück gibt’s an einem Truckstop, dann fahren wir weiter nach Hampi. Gerade rechtzeitig zum Mittagessen treffen wir im Hotel ein. Das Auto können wir gleich hinten neben unserem Zimmer hinstellen. So können wir den Kühlschrank an den Strom hängen und Prinz ungesehen ins Zimmer nehmen.
Den Nachmittag verbringen wir alle mehr oder weniger dösend. Abends quetschen wir uns zu siebt in den Contessa und fahren ins Dorf.

19. Februar 1996

Wir machen eine grosse Besichtigungstour dieser alten und zum Teil noch gut erhaltenen Stätte. Aber schon bald wird es einfach zu heiss, und wir flüchten ins kühle Hotel zurück, wo wir den Nachmittag wie gewohnt verbringen.

20. Februar 1996

Weil wir die Strecke nach Goa nicht an einem Tag schaffen, machen wir in Hubli Zwischenhalt. Im Woodlands Hotel finden wir gute Zimmer und ein ausgezeichnetes Restaurant.

21. Februar 1996

Unterwegs nach Goa treffen wir Eva und Helmut, ein deutsches Paar mit Landy und ihrem jungen Hund Indus. Wir plaudern kurz zusammen und machen ab, dass sie uns in ein paar Tagen im Resort besuchen kommen.
Am frühen Nachmittag, in der grössten Hitze, besichtigen wir die prachtvollen Kirchen von Old Goa, dann fahren wir an die Calangute Beach, wo wir eine Übernachtungsmöglichkeit suchen. Fürs Resort sind wir einen Tag zu früh, es ist erst ab morgen gebucht.
Abends gibt es ein grosses Seafoodessen in einem Strandcafé. Ausnahmsweise, weil’s der letzte Tag ist, lässt sich Francis, der Chauffeur, zum mitessen überreden.

22. Februar 1996

Auf den Mittag treffen wir im Goa Renaissance Resort, einem teuren Nobelhotel, ein. Beim Einchecken verlangen wir einen Ground Floor Room, weil wir einen Hund dabei haben. Die Guest Relation Angestellte ist darüber ganz schockiert und muss sofort mit dem Management sprechen. Was aus diesem Gespräch rauskommt, erfahren wir nicht. Es sagt uns niemand: Ja, Hund erlaubt oder nein, Hund verboten. Da wir es auch nicht allzu genau wissen wollen, schmuggeln wir Prinz jeweils vom Parkplatz ums ganze Resort und am Strand entlang beim Hintereingang ins Zimmer.
Am Strand gibt es sechs (!) Sonnenschirme, und wir sind überglücklich, als einer gerade frei wird.
Das Abendessen nehmen wir mit Entertainment am Swimmingpool ein.

23. Februar 1996

Die erste Hälfte des Tages verbringen wir am Strand, die andere, heisse Hälfte im kühlen Zimmer. Abends treffen noch Razia und Baakir im Hotel ein. Sie sind indische Geschäftsfreunde von Albert und Rita. Wir dinieren im gediegenen französisch-goanischen Hotelrestaurant. Simone zerlegt einen Lobster, Albi und ich geniessen ein (unblutiges) Châteaubriand, und der Rest labt sich an den lokalen Köstlichkeiten. Nach vier Monaten Indien zerläuft uns dieses sicher nicht allzu zarte Stück Fleisch (Wasserbüffel oder doch eine heilige Kuh?) richtiggehend im Mund.

24. Februar 1996

Albi und ich machen eine Shoppingtour in Margao und erstehen dabei einen Autofan und Cashewnüsse, die sich später als ungeniessbar herausstellen. Abends setzt sich die ganze Grafsche Gesellschaft zusammen und bespricht, wie wir alle am besten nach Poona, der Heimatstadt von Razia und Baakir, kommen. Baakir hat sich die Sache schon genau überlegt und beschliesst folgendes: Er und Razia fahren bei uns im Wohnmobil mit, ebenso wie sämtliches Gepäck (und sie haben für die fünf Tage mehr dabei als Grafs für die ganzen drei Wochen!), der Rest mietet sich ein Auto mit Chauffeur. Da morgen Sonntag ist, scheint die Sache mit der Fahrzeugmiete etwas schwieriger zu werden. Aber unser Hauptproblem besteht darin, dass wir Razia und Baakir (geschweige denn das ganze Gepäck) nicht im Floh mitnehmen können, weil wir die 500 km bis Poona nicht an einem Tag schaffen und so gezwungen sind, unterwegs zu übernachten – im Wohnmobil natürlich. Worauf Baakir, ganz in der Art der reichen Inder, die sich Widerspruch nicht gewohnt sind, schockiert meint, dass es doch viel zu gefährlich sei, einfach irgendwo zu übernachten, ausserdem seien die Betten im Turf Club, wo wir in Poona nächtigen sollten, viel bequemer, und überhaupt sei es gar kein Problem, die Strecke an einem Tag durchzufahren. Wir erwidern, dass es wohl möglich sei, bis in alle Nacht zu fahren, aber wir würden nie bei Dunkelheit fahren, schon gar nicht in Indien, wo weiss nicht was alles ohne Licht auf den Strassen unterwegs ist. Auch sei er sich doch im klaren, dass wir nun bereits seit Beginn unserer Reise fast jede Nacht im Wohnmobil übernachtet haben, sei es bei einem Guesthouse, an einer Tankstelle, irgendwo auf einem Feld oder auch nur neben der Strasse.
Bei diesem und anderen Gesprächen merken wir, dass Razia und Baakir neben ihrer freundlichen und zuvorkommenden Seite nicht nur den Hotelangestellten gegenüber die arrogante und unangenehme Seite der reichen Oberschicht zeigen können.

25. Februar 1996

Heute kriegen wir Besuch. Eva und Helmut tauchen im Resort auf. Mit ihnen verbringen wir den ganzen Tag am Strand und geniessen auch mal wieder die einfache Kost im Strandcafé, wo wir für zehnmal weniger Geld essen als gleich nebenan im Fünfsternhotel. Auch geniessen wir es, mit Gleichgesinnten übers Reisen und alles was dazugehört zu reden.

26. Februar 1996

Wir machen uns auf den Weg nach Poona. Simone begleitet uns noch dieses letzte Stück im Wohnmobil. Für den Rest der Gruppe hat Baakir eine Fahrt mit dem Nachtbus organisiert, weil es nicht mehr möglich war, ein Mietauto mit Chauffeur aufzutreiben.
Wir fahren den ganzen Tag und kommen bis 150 km vor Poona, wo wir seit langem wieder einmal abseits übernachten.

27. Februar 1996

Gegen zehn Uhr treffen wir im Turf Club ein. Albert und Rita sind natürlich bereits dort und erholen sich etwas von der Busfahrt. Wir machen dasselbe und geniessen die Atmosphäre des aus der Kolonialzeit stammenden exklusiven Clubs. Prinz müssen wir diesmal nicht hineinschmuggeln, sondern wir führen ihn wie selbstverständlich neben dem Portier vorbei die knarrende Holztreppe hinauf ins Zimmer.
Am Nachmittag setzen wir uns zum High Tea mit Scones auf die Terrasse.

28. Februar 1996

Razia macht mit uns eine Einkaufstour. Ich lasse mich dazu verführen, einen sündhaft teuren (Rp. 1000) Shalwar Kameez zu kaufen. Es macht aber auch ohne viel kaufen zu wollen Spass, da uns Razia in die interessantesten Läden führt. Sogar Albi findet es toll, einen halben Tag lang immer vollbeladener durch die Stadt zu ziehen.
Zur Feier des Tages ziehen wir uns für den letzten gemeinsamen Abend die neu gekauften Kleider an. Albi passt in seinem pakistanischen Dress sehr gut dazu.

29. Februar 1996

Wir verabschieden uns von allen und machen uns auf die Weiterreise. Unser nächstes Ziel ist New Delhi, wo wir die Visa für unsere Rückreise beantragen müssen.
Wir fahren den ganzen Tag und erreichen gegen Abend die Höhlen von Ellora, wo wir nach der Besichtigung auch gleich unser Nachtlager vor der hintersten Höhle aufschlagen und hoffen, dass uns niemand wegjagt.
Wir geniessen es, bei Dunkelheit noch ein wenig draussen zu sitzen, Prinz herumschnüffeln zu lassen und die Stille zu spüren. Die letzten drei Wochen waren zwar schön aber eigentlich immer recht hektisch. Wir haben uns so sehr auf die „Grossfamilie“ konzentriert, da haben wir gar nicht so viel vom Land mitbekommen. Auch fanden wir kaum Zeit, auf unsere Tageserlebnisse zurückzublicken und sie zu diskutieren. Wenn man länger als nur ein paar Wochen unterwegs ist, ist es nicht möglich, alle Eindrücke wie ein Schwamm aufzusaugen, um sie dann später zu Hause zu verarbeiten.

1. März 1996

Auch heute ist es wieder ein reiner Fahrtag. Kurz vor Indore kommen wir auf der N.H. 3 in einen kilometer langen Stau. Die Vorstellung, die ganze Nacht inmitten der vielen Lastwagen zu verbringen, veranlasst uns, auf die bereits vor drei Monaten befahrene, miserable Strasse über Mandu auszuweichen. Wie fast immer, haben wir auch diesmal Glück: Die Strasse wurde mittlerweile geflickt, so dass wir auch ohne Geländefahrzeug noch bei Tageslicht in Mandu eintreffen.

2. März 1996

Wir legen einen Ruhetag ein und lassen es uns im gemütlichen Guesthouse gutgehen.

3. März 1996

Gut geruht sind wir bereit, weitere Kilometer unter die Räder zu nehmen. Wir merken nun, dass wir für diesmal genug von Indien gesehen haben und wir die Rückreise antreten möchten. So zieht es uns direkt Richtung Delhi. Irgendwo bei ein paar verlassenen und eingefallenen Häusern verbringen wir die Nacht.

4. März 1996

In Agra, wo wir den Taj Mahal bereits auf der letzten Reise besichtigt haben, merken wir, dass heute wohl Holi ist. Das ist der Tag, wo jederman Farbe oder farbiges Wasser auf alles und jeden schmeisst. Auch unser Floh kriegt etwas davon ab. Weil wir sofort alles wegputzen, kriegen wir das Zeug noch weg.
Eigentlich wollten wir zwischen Agra und Delhi übernachten, aber erstens finden wir keinen Platz, und ausserdem sind wir nicht sehr erpicht darauf, womöglich erneut mit unserem leuchtendweissem Floh die mittlerweile feuchtfröhlichen Farbwerfer anzuziehen. Also werfen wir unser Nachtfahrverbot über Bord und fahren die letzte Strecke bis New Delhi bei Dunkelheit.

5. März 1996

Als erstes fahren wir auf die pakistanische Botschaft. Bereits auf dem Weg dorthin erscheinen uns die fast leeren Strassen als etwas Unnatürliches. Bei der Botschaft wird uns dann bestätigt, dass heute geschlossen ist, wegen einem Feiertag. Also war Holi gar nicht gestern sondern heute. Wir machen, dass wir schnellstens wieder ins Tourist Camp kommen, bevor die Färberei beginnt.

6. März 1996

Kurz nach neun sind wir auf Botschaft von Pakistan, die uns prompt wieder wegschickt, denn ohne ‚letter of recommendation‘ läuft nichts. Also fahren zu den Schweizern und lassen uns dort dieses Empfehlungsschreiben gleich doppelt ausstellen, denn die iranische Botschaft verlangt es ebenfalls. Eigentlich sollte ein gültiger, vom Heimatland ausgestellter Reisepass vollauf genügen, aber gewisse Länder machen es einem nicht so leicht. Zurück auf der pakistanischen Botschaft können wir die Antragsformulare ausfüllen und zusammen mit den Pässen abgeben.
Nach soviel Arbeit haben wir uns ein Mittagessen im berühmten Nirula Restaurant verdient. Hier gibt es die in ganz Indien bei Travellern bekannten Lambburger. Ebenso bekannt ist das riesige Salatbuffet, wovon wir jedoch aus gesundheitlichen Bedenken die Finger lassen. In Indien halten wir uns streng nach der Devise ‚peel it, cook it or forget it!‘.
Später lassen wir noch Passfotos machen. Dazu hülle ich mich in das Kopftuch, denn für das iranische Visum macht es einen viel besseren Eindruck. So merken die Botschaftsangestellten, dass man bereit ist, ihre Vorschriften zu respektieren. Entsprechend schneller werden die Anträge bearbeitet.
Im El Arab Restaurant füllen wir unsere Mägen mit Köstlichkeiten aus Nahost.

7. März 1996

Heute bleibt der Floh im Tourist Camp stehen, und wir lassen uns mit einem Bajaj, einem Dreirad chauffieren. Um halb zwölf Uhr erhalten wir unsere Pässe zurück. Sofort fahren wir zur iranischen Botschaft, wo wir die Antragsformulare ausfüllen. Wie auf jeder Botschaft üblich, müssen wir die Visagebühr im Voraus begleichen. Nur haben wir nicht damit gerechnet, dass diese Rs. 1750 (Fr. 90) pro Person beträgt.
Soviel Geld haben wir nicht dabei, wir müssen zuerst zum Auto zurück und Geld wechseln. Der Angestellte gibt uns unsere Pässe zurück und sagt, er warte auf uns, obschon es mittlerweile kurz nach zwölf Uhr ist, und die Botschaft um halb eins schliesst. Weil morgen Freitag, ein islamischer Feiertag ist, wäre dann die Botschaft für ganze drei Tage geschlossen. Wir erklären unserem Bajaj-Fahrer unsere dringliche Lage, und er rast wie ein Wilder zum Tourist Camp zurück, wo wir ein paar Traveller Checks aus dem Auto nehmen und uns wieder ins Dreirad setzen. Der schmächtige Sikh fährt uns dann aufs Thomas Cook Büro, damit wir unsere Dollars in Rupees umtauschen können.
Total erschöpft stehen wir um zehn nach eins vor der iranischen Botschaft, wo wir zum Angestellten hineingelassen werden und unsere Pässe abgeben können. Er verspricht uns, dass wir die Visa am Montag abholen können.
Nach soviel Stress müssen wir uns unbedingt wieder ins Nirula setzen.

8. – 10. März 1996

Wir verbringen unsere Zeit mit lesen, faulenzen, mit anderen Reisenden zusammenzusitzen und am Sonntag ein wenig mit Sightseeing. Wir besichtigen das Red Fort. Es ist zwar sehr eindrücklich, aber leider total überschwemmt von Kommunisten, die gerade eine Kundgebung veranstalten und uns keine Möglichkeit lasssen, das Monument gebührend zu besichtigen.
Dafür ziehen wir uns am Abend schick an uns gehen ins Taj Mahal Hotel chinesisch essen. Die Rechnung ist so hoch (Fr. 25), dass wir mit der Kreditkarte bezahlen.

11. März 1996

Um zwölf Uhr dürfen wir auf der iranischen Botschaft unsere Pässe mit einem 5tägigen Transitvisum abholen. Wir schätzen uns aussergewöhnlich glücklich, innert kürzester Zeit das Visum erhalten zu haben. Die Engländer beispielsweise müssen im Moment mindestens 13 Arbeitstage auf den begehrten Stempel im Pass warten. Aber das auch nur, wenn das Visum überhaupt erteilt wird!
Wir verschieben die Abreise auf morgen früh. So können wir noch einmal ins El Arab essen gehen.

12. März 1996

Der ganze Berufsverkehr kommt uns entgegen, aber wir haben freie Fahrt und erreichen gegen Abend die Grenzstadt Amritsar. Im Mrs. Bhandari’s Guesthouse werden wir sprichwörtlich mit offenen Armen empfangen.

13. März 1996

Der Platz hier ist so schön und ruhig, dass wir den ganzen Tage draussen sitzen und die Nase in die Bücher stecken. Abends werden wir dann vom Guesthouse gut verpflegt.

14. März 1996

Wir lassen uns mit einer Velorikshaw ins Stadtzentrum fahren. Dort statten wir dem Goldenen Tempel einen Besuch ab. Bereits auf unserer letzten Indienreise hat uns dieses Heiligtum der Sikhs aussergewöhnlich beeindruckt. Auch diesmal lassen wir uns wieder von der Anlage bezaubern.
Nach unserem Besuch gehen wir noch auf die State Bank of India 50 Dollars wechseln. Das ist einfacher gesagt als getan, es dauert eine Ewigkeit. Sozusagen zum Abschluss nehmen wir noch ein grosses Stück bürokratische Erinnerung mit auf den Heimweg.

15. März 1996

So, heute sind wir nun bereit, Indien nach mehr als 4½ Monaten zu verlassen. Aber es soll nicht so sein, dass wir kein Geschenk aus Indien mitnehmen. Bei der Wegfahrt aus dem Guesthouse bewegt sich das schwere Eingangstor aus Stahl im Wind, Albi knallt den Floh voll rein. Die linke Front sieht böse aus – uns kommt beinahe das Heulen. Da fahren wir tausende von Kilometern auf indischen Strassen, und ausser ein paar Kratzern, die sich wegpolieren lassen, nichts! Und dann am letzten Tag so etwas Saudummes, wo man nicht einmal jemanden beschimpfen kann! Zum Glück ist ausser ein paar teuren Stücken Blech und etwas Stossstange nichts beschädigt, so dass unser Wohnmobil voll fahrtüchtig ist. Aber böse sieht es trotzdem aus.
Jetzt wollen wir aber schnellstens aus Indien raus, sonst passiert sonst noch was. Aber an der Grenze müssen wir zuerst auf den Immigration Officer warten, der mehr als eine halbe Stunde Verspätung hat. Dann kommt der Zoll an die Reihe. Dort warten wir eine Ewigkeit, bis sie sich überhaupt unserem Carnet de Passages annehmen. Dann verlangen sie, dass wir alles, aber auch wirklich alles aus dem Auto ausräumen, damit sie es auf Geheimfächer absuchen können!!!
Vor ein paar Wochen haben ein Schweizer Ehepaar mit zwei kleinen Kindern in Delhi Geheimfächer in ihren Bus bauen lassen. Sie sind dann nach Pakistan gefahren und haben dort Waffen eingekauft, die sie in Indien den kashmirischen Freiheitskämpfern weiterverkaufen wollten. Auf dem Tourist Camp in New Delhi wurden sie verpfiffen, und die Sache ist aufgeflogen. Die Zöllner zeigen uns entsprechende Zeitungsausschnitte. Und nun müssen sie sich natürlich vergewissern, dass sich in unserem Wohnmobil ja keine Geheimfächer befinden, wo wir womöglich Waffen verstecken könnten. Wir versuchen, ihnen klar zu machen, dass wir erstens ohne neues Visum gar nicht wieder nach Indien einreisen könnten und wir zweitens, auch mit Geheimfächer aus Indien ausreisen dürften, schliesslich täten wir nichts Verbotenes. Viel wichtiger sei es doch, die Einreisenden zu kontrollieren. Die Zollbeamten gehen zwar eigentlich mit uns einig, aber es sei besser sicher zu gehen, vorallem weil wir ja auch Schweizer seien. Wir versichern ihnen noch einmal, dass wir keine Geheimfächer haben, und dass es uns nicht möglich ist, das ganze Auto auszuräumen, schliesslich ist in einem Wohnmobil alles in Schränken versorgt.
Also wollen alle ins Auto steigen und sich davon überzeugen, dass wir sie nicht anlügen. Albi zeigt den Männern das Äussere und ich den Frauen das Innere unseres Flohs. Nach ausgiebiger Suche und nochmaligem Warten dürfen wir Indien nach 3 ½ Stunden endlich verlassen.
Als wollten sie dem Besucher zeigen, wie viel besser Pakistan gegenüber Indien ist, dauern die Einreiseformalitäten gerade mal eine halbe Stunde. Darüber hinaus werden wir äusserst freundlich und effizient bedient, nach dem Motto: Der Kunde ist König. Leider werden wir auch auf der Rückfahrt die direkte Route in den Iran nehmen und uns nicht näher im Land umsehen. Auf unserer letzten Südasienreise hatten wir Pakistan, vorallem dessen nördlichen Teil ausgiebig bereist. Ausserdem sind jetzt Mitte März die Klimabedingungen für eine Reise in die interessanten Gebiete sehr ungünstig.
Dieser Tag hat genug von uns gefordert. Wir fahren nur noch in den Jallo Park, den wir, weil heute Freitag ist, mit halb Lahore teilen. Gegen Abend wird es aber ruhig, und wir verbringen eine angenehme Nacht.

16. März 1996

Frühmorgens haben wir das Verkehrschaos Lahore schnell durchfahren und fahren schon bald mit all den Lkw’s nach Süden. In der Nähe von Multan verlassen wir die Hauptstrasse und übernachten neben dem Indus.

17. März 1996

Wir stellen fest, dass ein Hinterreifen platt ist. Er hat schon die letzten Wochen ab und zu etwas Luft verloren. Nun muss halt ein Schlauch rein. Der nächste Reifenflicker nimmt sich dieser Arbeit an und findet im Pneu noch ein Stück Schraube.
Nach Dera Gazi Khan wird das Klima trockener und die Strasse führt stetig bergauf. Nach unzäligen Kurven sind wir auf dem Plateau angelangt und werden dort mit kaltem Wetter und Regen begrüsst. Der Winter ist hier eindeutig noch nicht vorbei. Von Lorolai nehmen wir diesmal die nördliche Route, die viel besser ausgebaut ist. Während der Nacht, die wir an einer Tankstelle verbringen, läuft die ganze Zeit unsere Standheizung.

18. März 1996

Am Morgen ist der Teich neben uns mit einer Eisschicht bedeckt.
Um zehn Uhr sind wir bereits in Quetta, wo wir diesmal im Hotel Lourdes mehr Glück haben. Wir werden freundlich empfangen und dürfen zu einem tieferen Preis auf der schönen Wiese unser Lager aufschlagen. Zum Höhepunkt eines jeden Reisenden gehört in Quetta das BBQ Buffet des Serena Hotels. Nach 4 ½ Monaten beinahe vegetarischem Indien, schlagen wir uns so richtig die Bäuche voll.

19. März 1996

Eigentlich wollten wir noch einen Tag hier verbringen, aber die Kälte zwingt uns zur vorzeitigen Abreise. Ich hole die noch nicht trockene Wäsche von der Leine, und los geht’s. Auf der bekannten Strecke durch die Wüste kommen wir gut voran, so gut dass wir in 7 Stunden 300 km gefahren sind. Im Resthouse von Dalbandin gibt es zwar nichts zu essen, dafür stehen wir sicher.

20. März 1996

Die neue Strasse kann man streckenweise bereits befahren. Die ca. 70 km vor Nokundi fahren wir jedoch auf der Wellblechpiste, während der restliche Verkehr irgendwie einen Weg auf die neue Strasse hoch geschafft hat. Wir aber kommen mit unserem Floh nicht die Trassee hoch und lassen uns durchrütteln. Dafür erreichen wir Nokundi zur Mittagszeit und profitieren von einem sehr guten Essen.
Die restlichen 110 km bis Taftan sind im Nu gefahren. Weil wir heute nicht mehr in den Iran einreisen wollen (wir haben ja nur ein Fünftagevisum), verbringen wir zwei Stunden neben der Strasse mit lesen. Und zwar im Auto drin, weil der Wind zu stark bläst. Am späten Nachmittag fahren wir auf den Zollhof von Taftan und erledigen die Zollformalitäten, so dass wir morgen früh nur noch ins Immigration Office gehen müssen.

21. März 1996

Albi fühlt sich nach einer beinahe schlaflosen Nacht nicht wohl. Er hat Kopfschmerzen und leichtes Fieber. Er schluckt ein Aspirin, dann erledigen wir die restlichen Formalitäten. Auf der iranischen Seite gibt es eine oberflächliche Autodurchsuchung, dann wird das Carnet de Passages ausgefüllt, einen Stempel in den Pass und schon sind wir im Land.
In Zahedan tanken wir auf und fahren noch weitere 200 km, bis wir um zwei Uhr neben einer Raststätte anhalten. Albi hat starkes Fieber und legt sich für ein paar Stunden nieder. Während er bei 30° im Auto friert, schmelzen meine Hirnzellen aus dem Kopftuch. Wir beschliessen, heute gleich hierzubleiben.

22. März 1996

Zum Glück fühlt sich Albi heute wieder wohl. Kurz vor acht Uhr fahren wir los. Über Bam, Kerman, Yazd bis vor Nain – 850 km in 11 Stunden, das muss unser absoluter Rekord sein! Dabei haben wir nicht eigentlich gestresst. Wir haben zwei Mal aufgetankt, Mittag gegessen, regelmässige Prinzenpausen eingelegt und am Nachmittag noch den Luftfilter gewaschen, weil der Benzinverbrauch auf 14 Liter angestiegen war. Die meiste Zeit hat es geregnet (in der Wüste!), so dass wir natürlich nicht unnötig lange ausgestiegen sind.

23. März 1996

Heute haben wir keine Chance, so viele Kilometer zu abzufahren. Bereits am Morgen verliert der hintere linke Reifen Luft, so dass der Reifenflicker den Nagel rauszieht und unseren letzten Schlauch montiert. Am Nachmittag, zwischen Isfahan und Hamadan, platzt der hintere rechte Reifen – Totalschaden! Weil es viel und vorallem sehr schnellen Verkehr auf der Strasse hat, fährt Albi soweit es geht an den Rand. Dort jedoch haben wir unsere liebe Mühe, den Floh hochzubringen. Der Wagenheber sinkt im weichen Boden immer wieder ein. Als wir es beim achten Versuch endlich geschafft haben, kaufen wir in der nächsten Ortschaft einen gebrauchten Reifen (für Fr. 20) und für Fr. 15 noch einen Schlauch. Ab sofort ist der zu kleine indische Reifen fest montiert. 75 km vor Takestan übernachten wir bei Eiseskälte im Gebirge.

24. März 1996

Beim Wasser auffüllen frieren uns beinahe die Hände ab, dafür haben gut schmeckendes Gebirgswasser im Tank. Dank des persischen Neujahres, haben wir nur wenig Lastwagenverkehr auf der Strasse und kommen flott voran.
Als wir Täbriz umfahren, bekommt Albi erneut Kopfschmerzen. Etwa 120 km vor der Grenze übernachten wir bei einem Kieswerk. Albi hat die ganze Nacht starke Kopfschmerzen und kann erst am frühen Morgen nach Einnahme von Schmerztabletten etwas schlafen. Die in Indien gekauften Aspirin haben gar nichts genützt.

25. März 1996

Heute ist unser fünfter Tag im Iran, also müssen wir noch heute über die Grenze. Nach dem Mittag haben wir es geschafft. Das Carnet de Passages wird nach kurzer Wartezeit ausgefüllt, dann bekommen wir die Ausreisestempel in den Pass und fertig sind wir.
Aber auf der türkischen Seite geht es nicht so zügig. Es dürfe nur der Fahrer im Auto über die Grenze zu kommen, ich müsse durch den sogenannten Salonu. Also gehe ich zu Fuss wieder zu den Iranern zurück, erkläre ihnen, dass mich die Türken nur durch das Gebäude über die Grenze lassen. Die iranischen Beamter sind äusserst freundlich und öffnen mir die Türen bis ins Büro „Niemandsland“. Hier warten bereits mehrere Iraner darauf, dass sie einen Einreisestempel bekommen. Die türkische Immigration ist geöffnet, aber es ist im Moment einfach niemand da. Wenn hinter dem Schalter mal jemand durchläuft, tut er so, als wären gar keine Einreisewilligen da. Aber es geht ja genau darum, die Iraner warten zu lassen und ihnen so zu zeigen, was die Türkei von ihnen und ihrer islamischen Republik hält.
Die wartenden Iraner wissen das, und so schieben sie mich, ohne mich aber zu berühren, vor sich an den Schalter und klopfen, damit die türkischen Beamten sehen, dass eine Europäerin einreisen möchte. Nach kurzem Warten erscheint ein Beamter und verlangt als erstes, dass ich mein Kopftuch ausziehe, ich sei jetzt schliesslich in der Türkei. Anschliessend bekommen wir alle den Einreisestempel, und ich finde zu Albi zurück. Er hat in der Zwischenzeit den Papierkram für das Auto erledigt, so dass wir nun einreisen dürfen.
Ein paar Kilometer nach Dogubayazit halten wir an einer Tankstelle, um Albis Kopfschmerzen auszukurieren. Er schläft den ganzen Nachmittag, so dass wir gleich hierbleiben.

26. März 1996

Nach einer durchgeschlafenen Nacht fühlt er sich viel besser. Die Kopfschmerzen sind offensichtlich psychisch bedingt und rühren von Albis erster Reise durch den Iran her. Auch wenn er das damals Geschehene verarbeitet hat, scheint im Unterbewusstsein doch noch etwas hängen geblieben zu sein.

Jetzt fehlt nur noch ein türkisches Frühstück aus Schafskäse, Brot und Tee, aber dafür müssen wir noch mehr als eine Stunde fahren. Als vor der ersten geöffneten Gaststätte halten, haben wir ein Problem. Wie kommen wir zu Fuss vom Auto ins Restaurant? Mit den offenen Schuhen versinken wir im Schnee, der 20 cm hoch liegt. Wir holen die Gummistiefel, die wir noch nie gebraucht haben heraus und stapfen damit ins schön geheizte Lokal.
Der Schnee ist ebenso schnell weg, wie er gekommen ist, und wir fahren ungehindert westwärts. Nur die Militärkontrollen lockern die Fahrt etwas auf. Wie gewohnt übernachten wir bei einer Tankstelle. Die Heizung kämpft erfolgreich gegen die Minustemperaturen an.

27. März 1996

Am Morgen lockt uns ein Schneefeld zu einem Spaziergang. Prinz tobt im Schnee umher und kann nicht genug davon kriegen. Ganz im Gegensatz zu unserem Floh, der schon bei ganz wenig Schnee auf seinen flachen Sommerreifen rutscht.
Am späten Nachmittag erreichen wir den Touristenort Göreme.

28. März 1996

Eigentlich wollten wir ein paar Ruhetage hier verbringen, aber wie bereits in Quetta spielt das Wetter nicht mit. Es ist einfach zu kalt, um irgend etwas anderes zu machen, als bei laufender Heizung im Wohnmobil zu sitzen. Gerade als wir weiterfahren, fängt’s noch zu regnen an – mehr Überzeugung brauchen wir nicht, um zu beschliessen, dass wir nun direkt ans Meer fahren.
Beim Mittagessen wird der Floh gewaschen. Er ist wieder so weiss wie seit Delhi nicht mehr. Am Nachmittag erreichen wir Mersin an der Küste und trauen unseren Augen kaum. Neben einem gelben M (M wie McDonalds) hat es noch ein orangefarbenes M (M wie Migros). Wir, die wie fast alle anderen Indienreisenden das eine oder andere Mal von einem BigMac mit Pommes frites und einem Milchshake geträumt hatten, lassen den gelben M links liegen und parkieren das Auto auf dem Platz vom orangen M. Wir packen ein Einkaufswagen und kurven mit offenem Mund durch den riesigen Supermarkt. Das Warenangebot entspricht zum Teil demjenigen in der Schweiz, vorallem die Milch und die Schokolade stammen aus dem Land der jodelnden Kühe. Die Zündhölzer jedoch, stellen wir später fest, erfüllen trotz dem Aufdruck ‚Migros‘ nicht die mindesten Anforderungen. Entweder brennen sie nicht, oder sie brechen entzwei oder auch beides. Auch wäre es praktisch, wenn die Zündholzschachtel verleimt wäre, damit nicht bei jedem öffnen alle Hölzchen das Weite suchen.
Aber das sind Kleinigkeiten verglichen mit der Auswahl des Warenangebotes. Wir sind schlichtweg überfordert und nicht fähig, aus diesem riesigen Angebot auszuwählen. So fahren wir einfach durch die blitzsauberen Gänge und füllen unser Wägelchen, hauptsächlich mit Schokolade, Nutella, Güezi und sonstigen Grundnahrungsmittel. Wir bezahlen mit der Kreditkarte und setzen uns doch noch zu einem Shake ins gelbe M. Dort fragen wir uns, wie wohl ein Migros in die Türkei kommt, oder ob es eine gut gemachte Kopie ist. Wir haben später noch mehr Migros-Geschäfte gesehen und zu Hause erfahren, dass das Schweizer Unternehmen wirklich vor ein paar Jahren in die Türkei expandiert hat, aber kurz darauf das Unterfangen wieder aufgegeben hat. Offenbar führt jetzt eine türkische Firma die Migros weiter. Auch wenn wir uns geografisch noch nicht in Europa befinden, haben wir doch heute Asien verlassen.
Neben einem kleinen Fischrestaurant (auch das ein Novum) lassen wir uns von dem Wellenrauschen in den Schlaf wiegen.

29. März – 9. April 1996

Wir machen ein paar Tage Ferien in den schönen Küstenorten am Mittelmeer. Leider hat es noch fast keine Touristen, so dass Campingplätze und leider auch die Restaurants noch geschlossen sind. Aber an einzelnen Orten, wie zum Beispiel in Kas oder auch im hübsch gelegenen Cirali hat es ein wenig Betrieb und einzelne Touristen, so dass wir nicht immer alleine im Restaurant sassen. Aber es ist noch recht kalt, so dass wir auch tagsüber eigentlich immer die Jacke anziehen müssen.

10. April 1996

Ab heute sind wir richtig auf der Heimfahrt und kommen bis Efesus, wo wir ganz in der Nähe der berühmten, bereits auf unserer letzten Reise besichtigten, Ruinen übernachten.

11. April 1996

Nach dem Mittag rechnen wir bereits damit, dass wir noch heute über die Grenze kommen werden. Da haben wir aber ohne den Floh gerechnet. Bei einem Prinzenauslass auf einem alten Stück Strasse gräbt er sich in der schlammigen Erde ein. Nach zweimaligem zähen Wegschaufeln sitzen wir so tief, dass wir alleine nicht mehr herauskommen. Also nehme ich das Abschleppseil hervor, und schon hält ein Minibus, um Hilfe zu leisten. Leider schafft er uns auch nicht hoch. Währenddessen taucht ein Polizeiauto auf. Nachdem klar ist, dass wir einen Lastwagen benötigen, stellt sich der Polizist kurzerhand auf die Strasse, hält den nächsten Lastwagen auf und weist den Fahrer an, uns aus dem SCHLAMMassel zu ziehen. Obwohl von der Polizei dazu beordert, haben wir das Gefühl, dass er uns gerne hilft, unser Wohnmobil flott zu kriegen. Aber auch er muss ganz schön Gas geben, bis es plötzlich ruckt und unser Floh wieder Teer unter den Rädern hat.
Dadurch schlafen wir noch einmal in der Türkei, im Land der sehr hilfsbereiten und gastfreundlichen Leute.

12. April 1996

Bei der Ausreise aus der Türkei will der Beamte nur Eines: Er verlangt, dass wir den Prinz herausnehmen, damit er nachschauen kann, was sich im Bank darunter befindet. Nicht schlecht, aber bei uns gibt es nichts zu entdecken. Wir haben noch nie etwas geschmuggelt.
Die griechischen Grenzbeamten wollen gar nichts sehen und stempeln nicht einmal unsere Pässe ab. Das sollte man einem Inder erzählen: Wir reisen in ein fremdes Land ein und erhalten nicht einmal einen Einreisestempel!
Unterwegs in Griechenland kommt es uns komisch vor: Viele Läden und Restaurant sind geschlossen, dafür überquellen die Friedhöfe. Karfreitag war doch schon, also muss es irgend ein anderer Feiertag sein.

13. April 1996

Nachdem wir auf einem Pass noch durch Schnee gefahren sind, erreichen wir am späten Nachmittag Igoumenitsa und erkundigen uns gleich für eine Überfahrt nach Bari. Offenbar war bei den Griechen gestern doch Karfreitag, denn morgen feiern sie Ostern (die Griechen hinken ja unserem Kalender hinterher), und deshalb fährt diese Nacht keine Fähre. So buchen wir für morgen Abend für Fr. 150 eine Überfahrt auf Deck nach Bari.

14. April 1996

Den verregneten Tag verbringen wir die meiste Zeit im Auto. Um halb sieben stehen wir im Hafen, bereit zum Einschiffen. Zuerst müssen jedoch alle Lastwagen reinfahren, was bis um halb zehn dauert. Unterdessen hat sich ein richtiger Sturm entwickelt.
Endlich können wir ins Schiff. Per Lift kommen wir aufs offene Deck, wo wir dem Regen und Salzwasser ausgesetzt sind. Um halb elf geht es endlich los. Wir versuchen zu schlafen, aber als wir ein paar Stunden später hinter Korfu aufs offene Meer kommen, fängt die grosse Schauklerei an. Auf und ab und gleichzeitig rechts und links. Wir bleiben liegen und versteifen uns, damit wir nicht im Bett hin und her gerollt werden. Dabei hoffen wir, dass es nicht mehr lange dauert.

15. April 1996

Etwa um acht Uhr steht Albi auf, um etwas zu essen, weil bekanntlich ein leerer Magen Übelkeit verursacht. In Anbetracht dessen, dass mir eh schon übel ist, verzichte ich auf ein Frühstück.
Albi geht mit Prinz auf Deck zwischen den Lastwagen spazieren und zeigt ihm die schönen Reifen, aber unser Hund ist zu wohlerzogen, um daran ein Bein zu heben. Albi kommt wieder rein und schnappt sich den Eimer – Frühstück ade! Ich konzentriere mich auf meinen Magen und zwinge ihn, ruhig zu bleiben. Während der weiteren Fahrt konsultiert Albi noch zweimal das Orakel im Eimer.
Um ein Uhr mittags ist es dann endlich soweit. Wir haben in Bari angelegt und können vom Schiff runter. Am ersten grünen Fleck halten wir, damit Prinz literweise Wasser lassen kann. Kein Wunder nach 19 Stunden!
Wir fahren direkt auf die Autobahn, wo wir so schnell vorwärts kommen, dass wir bereits am Abend vor Ancona sind.

16. April 1996

Jetzt kommt wieder der Spruch „was wir eigentlich wollten“: Nämlich gemütlich Italien hochfahren und uns dabei jeden Tag die Mägen vollschlagen. Diesmal scheitert unser Vorhaben nicht am Wetter, sondern daran, dass es uns schlichtweg in die Schweiz zieht. Jetzt, wo wir so nah an zuhause sind, wollen wir doch schnell zurückfahren. Vor allem Albi zieht es zu seinem zu Hause gelassenen Laptop. Er kann es kaum erwarten, das in Indien erstandene Windows 95 zu installieren.
So treffen wir zusammen mit dem Frühling in der Schweiz ein.

Genau genommen sind diese sieben Monate aber nur der erste Teil unserer Reise. Im Juni werden wir, nach einem kurzen Aufenthalt in der Schweiz, das Wohnmobil nach Nordamerika verschiffen, wo dann der zweite Teil der Reise beginnt