Prinz


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Das Leben unseres treuen Reisebegleiters (1991-2006)

Katzen haben neun Leben, so sagt man. Hunde haben mindestens deren zwei, das sage ich.

Mein zweites Leben fing im August 1995 an. Da sass ich in einer Zelle im Tierheim, selbstverständlich ohne ein Verschulden meinerseits, und wartete darauf, in eine komfortablere Unterkunft umzuziehen. Dazu brauchte es nur noch die geeigneten Menschen, die mir das bieten wollten.

Ein paar Mal wurde ich von Leuten spazieren geführt, musste dann aber wieder zurück in meine Zelle, die ich mit Astor, einem Leidensgenossen, teilte. Als mich die Betreuerin eines Morgens in den Hauptraum führte, erkannte ich dort die zwei jungen Menschen, die gestern Nachmittag mit mir spazieren gingen.

„Aha, das ist ja interessant“, dachte ich, und gleich wurde es noch interessanter. Wir gingen nämlich nicht wieder spazieren, sondern stiegen in ein Fahrzeug ein und fuhren weg. Genauer gesagt, zu ihnen nach Hause. Jacqueline und Albi, so hiessen sie, wohnten in einem Dorf im Grünen. Wir gingen spazieren, wir spielten, ich wurde gebürstet und gestreichelt.

Am Nachmittag fuhren wir dann wieder mit dem Fahrzeug. Und zwar zurück ins Tierheim! „Das kann doch nicht sein!“, dachte ich, und schon war ich erneut bei Astor in der Zelle. Ich klagte ihm mein Schicksal, „So toll war es bei den beiden, ein schöner Garten, und sie haben sich dauernd um mich gekümmert. Und nun das! Wieder zurück bei Dir in der Zelle, nichts für ungut Kumpel, aber ich wäre gerne dort geblieben.“ Astor brummte etwas Unverständliches und legte sich schlafen.

Aber am nächsten Morgen holte mich die Betreuerin erneut aus der Zelle, und als ich Jacqueline und Albi sah, zerrte ich so fest ich konnte an der Leine, um schnell zu ihnen zu kommen und tat meiner Freude laut kund. Dazu wedelte ich wie ein Verrückter mit meiner Ringelrute.

Albi musste Papiere unterschreiben und Geld zahlen, dafür bekam er einen Impfausweis. Meinen Impfausweis! Darin stand: Prinz, Appenzeller Mix, geboren 9.8.1991, männlich kastriert, tricolor und Name und Adresse des neuen Besitzers. Somit auch meine neue Adresse. „Adieu Tierheim, Tschüss Astor. Hoffentlich kommst Du auch bald wieder raus!“

In meinem neuen Zuhause fühlte ich mich sofort wohl. Die zwei Katzen von Albi’s Bruder Thomas, der im selben Haus wohnte, waren nett, also war ich auch nett zu ihnen. Nachbars Kühe waren mir zu Beginn ein wenig unheimlich, aber das legte sich schnell. Aber, dass der Hund des Nachbarn mir zum Verwechseln ähnlich sah, war schon gemein. Und dass wir auch gleich noch den selben Namen hatten, war wirklich unverständlich. Da rief einer „Prinz!“, und zwei Hunde kamen angerannt. Gut, der andere Prinz kam nicht so schnell angerannt, das war eher ein Trott. Er war ja auch schon ein paar Jahre älter als ich.

Ich lernte viele Leute kennen, so zum Beispiel auch Rita, die Mutter von Albi. Hunde hat sie nicht so gern, sie fürchtet sich vor ihnen. Als wir zum ersten Mal bei ihnen zu Besuch waren, wartete ich auf der Terrasse vor der Wohnzimmertür. Nach einer halben Stunde meinte sie: „Der Arme, so alleine draussen! Wenn Ihr ihn reinnehmt, bleibt er da ruhig an einem Ort, ohne überall rumzulaufen oder am Tisch zu betteln?“ Das wusste Frauchen nicht, aber sie versuchte es. Ich durfte rein und legte mich auf meine Decke und blieb ruhig, wie es sich gehörte. Am Ende des langen Familienessens wurde ich dann richtig gelobt. Ein toller Hund sei ich, so lange so ruhig zu sein. Ich hatte einen so guten Eindruck hinterlassen, dass ich fortan immer mit rein durfte. Beim nächsten Blitzbesuch liessen Albi und Jacqueline mich kurz im Auto. Und schon fragte Rita „Ja, aber wo ist der Prinz? Im Auto? Holt ihn doch ins Haus!“ Ich wusste mich eben zu benehmen.

Wir machten schöne Spaziergänge, wo ich zeigen konnte, dass ich kein Interesse hatte, irgendwelchen Tieren hinterher zu rennen und dass ich gut auf den Rückruf hörte.

Das grosse Auto, mit dem sie mich aus dem Tierheim abholten, war ein kleines Wohnmobil. Es war ein Volkswagen LT „Florida“, also wurde er Floh genannt. In diesem Floh wurde dauernd etwas ein- oder umgeräumt. Es stand eine Reise bevor. Und zwar auf dem Landweg nach Indien. Dazu mussten meine Menschen auch ein paar Visa beantragen. Für mich reichten weitere Impfungen und eine Bescheinigung vom Tierarzt, dass ich ganz gesund sei.

Am 25.9.1995 war es dann soweit. Wir hatten uns von allen Leuten verabschiedet und fuhren los Richtung Südosten. Ans Reiseleben gewöhnte ich mich schnell, ich war ja immer bei meinen beiden Menschen, und unsere Wohnung fuhr auch mit. Dort hatte ich einen bequemen Platz hinter dem Fahrersitz, und kaum hielten wir irgendwo an, durfte ich meistens gleich raus und die neue Gegend erkunden. Das war wirklich interessant, kein Ort gleich wie der vorherige. Und die verschiedenen Duftspuren überall!

Wenn wir in ein neues Land einreisten, musste ich immer sehr ruhig sein, weil die Zöllner die Papiere und das Auto prüften. Von mir wollten sie weder in Ungarn noch in Rumänien etwas wissen, erst in Bulgarien wurde mein Ausweis zum ersten Mal überprüft. An der Grenze zur Türkei wurde der Floh in Albi’s Pass eingetragen, damit das Fahrzeug im Land nicht verkauft werden konnte. Ich wurde dort nicht eingetragen, aber wen interessierte es schon, ob ein Hund wieder ausreist oder nicht! Aber davon war in meinem Fall natürlich keine Rede, ich entwickelte mich zu einem perfekten Reisehund. Kaum machten sich Jacqueline und Albi daran, die Stühle wieder wegzuräumen, sass ich fahrbereit auf meinem Platz. Mich hätte man nie irgendwo vergessen können.

In Kappadokien legten wir ein paar Ruhetage ein. Die Touristensaison war beinahe vorbei, so dass wir die schöne Gegend nicht mit vielen Leuten teilen mussten. Wir machten ausgedehnte Spaziergänge und bewunderten die vielen von den Byzantinern in den weichen Fels gehauenen Wohnungen und Kirchen. Manchmal durfte ich nicht mit, und ich musste lernen, nicht nur im Floh, sondern auch draussen angebunden zu warten. Zuerst tat ich akustisch meine Meinung dazu kund. Als das jedoch nichts nützte, liess ich es sein und wartete geduldig, bis sie zurück kamen.

Als nächstes standen wir an der Grenze zum Iran. Hier dauerte die Einreise doch ziemlich lange, mit viel Papierkram. Und sogar ein Veterinärbeamter wurde gerufen. Der kontrollierte meinen Ausweis sorgfältig und knallte dann einen Stempel rein. Zu mir blickte er nur kurz rüber, da hätte ja irgend ein Köter mit meinen Papieren einreisen können!

Weil wir nur ein Visum für sieben Tage erhalten hatten, blieb keine Zeit, das Land ausführlich zu bereisen. Nach ein paar Tagen fing die Wüste an: Es war heiss, was mich mit meinem neuen Winterfell kurz verwirrte, und es gab kein Gras mehr, nur noch Sand und Felsen und Dornengebüsch. Aber bereits nach kurzer Zeit hatte ich mich angewöhnt, und ich liebte es, sogar bei gegen 40°C an der Sonne zu braten.

Die Ausreise aus dem Iran und die Einreise nach Pakistan dauerte auch ziemlich lange. Es waren vor allem die Papiere, die mit grösster Sorgfalt geprüft wurden, ins Innere des Wohnmobils hingegen wurde immer nur kurz reingeschaut. Ich war wohl der Grund, dass nicht genauer untersucht wurde, was wir alles mitführten.

In Islamabad, der Hauptstadt von Pakistan, gibt es eine Art Campingplatz. Es ist ein verwilderter Park mit einem sehr einfachen und schmutzigen Sanitärhäuschen und einem Zaun ums Grundstück, damit keine Pakistani hinein kommen. Hier trifft sich alles was Räder hat und auf der Durchreise ist. Wir lernten Fahrradfahrer kennen, ein holländisches Pärchen, das mit Motorrad und Seitenwagen unterwegs war und Corinna und Frank, die nach Afrika und Nordamerika nun Asien bereisten. Bei ihnen mit von der Partie war Congo, ein Basenji‑Rüde. Wir mochten uns nicht wirklich, was wir nach einem auf steifen Beinen und mit ganz fest eingerollten Ringelruten misstrauischen Beschnuppern auch kurz zum Ausdruck brachten. Wir liessen schnell wieder voneinander ab und gingen uns die nächsten Tage, die wir gemeinsam auf dem Gelände verbrachten, aus dem Weg. Aber unsere Menschen sassen lange zusammen, plauderten und erzählten von ihren Reisen.

Nach einer Woche wurde es Zeit weiter zu fahren. Die Ausreise aus Pakistan und die Einreise nach Indien hatten wir in weniger als drei Stunden erledigt. Das war bestimmt mein Verdienst, weil sich niemand ins Fahrzeug getraut hatte!

Über New Delhi fuhren wir nach Rajastan, genauer gesagt nach Pushkar. Hier findet einmal jährlich ein grosser Viehmarkt statt, den wir besichtigen wollten. Oder eher: den Albi und Jacqueline besichtigen wollten, denn aufs eigentliche Fest nahmen sie mich nicht mit. Ich musste im Floh bleiben. Wir standen zusammen mit einer netten deutschen Familie, die mit einem Reise LKW unterwegs war, in einem Dorf mitten auf dem Dorfplatz, der einfach ein staubiger Platz umgeben von Müll war. Die Kinder machten ungeniert ihr Geschäft im Dreck, die Ziegen und Kühe frassen Karton und Plastik, und die Einwohner schauten uns aus sicherer Distanz zu, wenn wir neben unseren Fahrzeugen sassen. Ich hatte schnell gemerkt, dass die Inder grossen Respekt vor mir hatten. Indische Strassenhunde lassen sich mit kurzem Bücken, wie wenn der Mensch einen Stein vom Boden aufheben will, sehr schnell vertreiben. Das klappte bei mir natürlich nicht! Ausserdem war es vielen Leuten unheimlich, dass ich auf Befehle gehorchen kann.

Nach ein paar Tagen fuhren wir weiter. Für mich war es auch höchste Zeit, aus Pushkar weg zu kommen, denn es ist eine heilige Stadt, und deshalb darf kein Fleisch geschlachtet, gekocht und verkauft werden. Mein sonst übliches Chicken Fried Rice, das Albi und Jacqueline jeweils aus dem Restaurant für mich als Abendessen mitbrachten, verkam zu einer vegetarischen Egg Fried Rice Variante. Das mitgeführte Trockenfutter bekam ich höchst selten, das war nur als Notvorrat gedacht. Hundefutter gab es leider weder in Pakistan noch hier in Indien. Aber gegessen hatte ich trotzdem immer gut und genug. Ich bekam auch Obst, und hatte immer alles mit Appetit gegessen und gut verdaut. Nur einmal, nach einer halben Kokosnuss, hatte ich Dünnpfiff.

Irgendwo auf dem Weg nach Diu mussten wir durch eine Wasserbüffelherde fahren. Mit den Kühen die Strasse zu teilen, waren wir uns bereits gewohnt, um die meist einzelnen Viecher kann man einen Bogen fahren, aber eine ganze Büffelherde war da schon was anderes. Da mussten wir mit groben Geschütz auffahren: Albi hupte, was das Horn hergab, Jacqueline schlug mit einem Stock auf die Tiere, wobei Albi dauernd rief: „fester, Du musst fester zuschlagen, das spüren die sonst gar nicht!“, und ich bellte meine Stimmbänder heiser. Wobei ich schon der Meinung war, dass es meine Intervention war, die uns dann den Weg frei machte.

In Diu machten wir ein paar Tage Urlaub am Strand. Das einzige Guesthouse gehörte dem General, einer etwa 50jährigen sehr resoluten Inderin. Alle Backpacker wurden von ihr wie im Militärdienst behandelt und waren entsprechend eingeschüchtert. In Ermangelung von Konkurrenz blieb ihnen jedoch nicht anderes übrig, als sich damit abzufinden oder gleich wieder abzureisen. Albi und Jacqueline waren die einzigen, die freundlich behandelt wurden, und das hatten sie mir (!) zu verdanken. Weil der General eine Hundefreundin mit Haushunden (eine Seltenheit in Indien) war, wurden wir privilegiert behandelt. Bei der Abreise wollte sie uns sogar einen Junghund aus dem letzten Wurf mitgeben, weil sie gesehen hatte, dass meine Menschen gut mit mir umgingen. Albi und Jacqueline hatten ihre liebe Mühe, ihr diese freundliche Geste auszureden. Uff, noch mal Schwein gehabt! So ein Spitz hätte mir gerade noch gefehlt!

In den nächsten paar Wochen reisten wir zuerst ostwärts durchs Land, und als wir an der Küste ankamen, etwas weiter südlich wieder gegen Westen. Wir wollten Weihnachten in Goa verbringen. Dort angekommen, verbrachten wir die ersten Tagen im Garten eines Guesthouses am Strand. Albi mietete einen Motorroller, damit wir nicht immer mit dem Wohnmobil in die Stadt, zum Bäcker oder zum Sightseeing fahren mussten. Meistens durfte ich mit. Ich sass dann zwischen Albis Beinen. Zum Glück habe ich eine Ringelrute, ich hätte sonst nicht gewusst wohin mit dem Teil.

Nach zwei Wochen wechselten wir den Ferienort. An der Vagator Beach hatten sich etliche Reisende mit ihren Fahrzeugen eingefunden, davon auch ein paar Bekannte aus der Schweiz und Deutschland. Da hatte ich nun ein ganzes Lager zum Bewachen, und viele freundliche Leute, die mich streichelten.

Etwas gewöhnungsbedürftig war jeweils die Morgentoilette: Jeder Mensch verrichtete sein Geschäft zwischen den Büschen 100 Meter vom Strand entfernt. Die Inder nahmen ein mit Wasser gefüllter Behälter mit, die westlichen Touristen WC‑Papier und ein Feuerzeug. Ein Spaten, um die Hinterlassenschaft zuzudecken, war völlig unnötig. Das Freiluftklo war sozusagen selbstreinigend. Die Schweine warteten morgens immer auf ihre Mahlzeit! Albi und Jacqueline hatten jeweils kaum Zeit, das Toilettenpapier zu verbrennen, da waren diese Schweine bereits am fressen. Igitt!

Kurz bevor wir wieder weiter fuhren, bekamen wir noch Besuch. Simone, die Schwester von Albi, traf bei uns ein. Sie war mit dem Rucksack unterwegs und wollte uns nun den nächsten Monat bis Bangalore begleiten. Dort sollte dann noch der Rest von Albis Familie eintreffen. Bis dahin bereisten wir den Süden des Landes.

In Bangalore nahmen sich Albi und Jacqueline ein Zimmer in einem guten Hotel mit Parkplatz, wo Simone und ich im Floh schliefen. Meine Leute kümmerten sich um Hotelbuchungen und Routenplanung für die gemeinsame Reise der Familie Graf. Zwischendurch fuhren wir mit einem Taxi in den Botanischen Garten, damit ich zu meinem Auslauf kam. Ich war der einzige Hund, der dort spazieren geführt wurde!

Ich war wohl auch der erste Hund, der am Flughafen von Bangalore in die Ankunftshalle rein durfte. Zur Feier des Tages hatten sich alle rausgeputzt, Jacqueline wickelte sich gar ein Sari um. Als Albis Eltern und sein Bruder Thomas eintrafen, folgte eine überschwängliche halbe Stunde mit Begrüssung (natürlich auch meinerseits).

Die nächsten zwei Wochen reisten wir mit zwei Fahrzeugen: Im Floh wie gewohnt Albi, Jacqueline, Simone und ich, und im gemieteten Auto Albert und Rita (Albis Eltern) und Thomas, mit Fahrer Francis am Steuer.

In Goa waren Zimmer im teuren Resort gebucht. Beim Einchecken verlangte Albi ein Zimmer im Erdgeschoss, weil wir einen Hund dabei hätten. Nach einem ungläubigen „a dog?“, beriet sich die Angestellte mit dem Management. Welche Weisungen sie dort erhielt, blieb unbekannt. Weil sie kein grosses Aufhebens um mich machen wollten, führten meine Leute mich jeweils um den Garten herum ins Hotel.

Nach ein paar Tagen ging’s weiter nach Puna, zu Geschäftsfreunden von Albert und Rita. Im gediegenen Turf­‑Club standen Zimmer für uns bereit. Sogar ich war angemeldet worden, so dass ich mich ungeniert dort bewegen durfte.

Dann folgte der Abschied. Albert und Rita flogen zurück in die Schweiz, Simone und Thomas kauften ein Bahnticket und schulterten den Rucksack, und wir drei fuhren über New Delhi und Amritsar nach Pakistan. Eine Woche später wechselte Albi die Strassenseite: Wir waren bereits wieder in Iran und fuhren auf guten Strassen Richtung Türkei. Diesmal war nichts mit Hitze, im Gegenteil, es war sehr kalt, und manchmal lag gar Schnee. Da konnte ich zeigen, dass mir nicht nur die Wärme zusagte. Auch das wilde Toben im Schnee machte mir enorm Spass, vorausgesetzt ich durfte danach wieder rein in die Wärme.

An der türkischen Mittelmeerküste waren wir dann schon beinahe wieder in Europa angelangt, auch was das Essen betraf. Ab sofort konnte man wieder Hundefutter kaufen, so dass meine Ernährung ganz sicher ausgewogen, wenn auch langweiliger wurde.

Von Griechenland aus überquerten wir das Meer auf der Fähre. Nur eine Nacht sollte die Fahrt dauern, aber nein, ausgerechnet während wir auf See waren, tobte ein richtiger Sturm, so dass der Floh schaukelte und es sich anfühlte, als müsse er sich mit aller Kraft auf Deck festklammern. Jacqueline lag die ganze Zeit im Bett und versuchte, sich nicht zu bewegen. Albi spazierte am Morgen mit mir auf dem LkW‑Deck umher und versuchte, mir die Reifen schmackhaft zu machen. Aber ich doch nicht! Ich bin doch viel zu gut erzogen, um einen Reifen zu bewässern. Erst zurück an Land, nach 19 Stunden, liess ich es laufen, aber dann recht!

Die nächsten zwei Monate verbrachten wir in der Schweiz. Wir besuchten Freunde und Verwandte und bereiteten den zweiten Teil unserer Reise vor. Meine Beteiligung daran war eher bei den Besuchen, obschon auch ein Tierarztbesuch sein musste. Aber der Rest mussten meine Leute schon selber erledigen. Während sie den Floh zur Verschiffung nach Bremerhaven fuhren, durfte ich zwei Tage bei Simone verbringen.

Dann war es soweit: Mein erster Flug stand an. Der Tierarzt hatte Albi und Jacqueline überzeugen können, dass es besser wäre, mir ein Beruhigungsmittel zu geben. Dann wurde ich in der Transportkiste durch den Flughafen und ins Flugzeug gebracht. Vom Flug bekam ich nicht viel mit, und auch in Montréal angekommen, war ich noch ganz benommen. Albi und Jacqueline waren überglücklich, mich heil wieder zu haben und nahmen mich gleich zur Box raus. Aber denkste, ich musste subito wieder rein, denn erst wenn das Veterinäramt mich begutachtet hatte, durfte ich kanadischen Boden betreten. Das und auch der Zoll war jedoch schnell erledigt, und mir wurde erlaubt, ein neues Land kennen zu lernen.

Als dann der Floh in Halifax eingetroffen war, ging die Reise weiter. Zuerst zügig westwärts, denn der erste Höhepunkt sollte Alaska werden, und das noch, solange die Tage lang waren. Zuerst durchquerten wir die Provinz Québec, die uns allen nicht sonderlich gut in Erinnerung blieb. Albi und Jacqueline hatten ihre liebe Mühe mit dem Französischen, wie es wohl noch zu Napoléons Zeiten gesprochen wurde, und mich plagten die black flies, kleine Fliegen, die sich über mich her machten. Nur mit starker Chemie hätte man sie von mir fernhalten können, aber das wollten meine Menschen mir nicht antun. Deshalb wurden die Spazierorte nach dem Kriterium „Black Flies – viele oder nur wenige?“ ausgewählt. Wenn’s nicht anders ging, gab es nur einen ganz kurzen Pipi‑Ausgang: Türe auf, raus rennen, Bein heben und in vollem Sprint wieder rein.

Ab Manitoba war es zum Glück vorbei mit den lästigen Viechern. Hier gab es dafür keine Natur mehr, nur noch riesige Felder, soweit das Auge reichte. Und das reichte hier sehr weit, so topfeben war die Landschaft.

Nach ein paar Tagen waren wir dann im Ort Dawson Creek, wo der Trans Alaska Highway beginnt. Jetzt wurde es auch gebirgiger, und wir begannen Tiere zu sichten, Caribous, Luchs, ein Biber und mehrere Schwarzbären. Diese zum Glück nur aus dem Auto heraus. Bei den Spaziergängen war es Albi und Jacqueline manchmal nicht so wohl. Sie hatten Angst, wir würden einem Bären begegnen, und der würde versuchen, mich zu verjagen, worauf ich natürlich zurück zu ihnen flüchten würde, mit Bär im Schlepptau. Also durfte ich mich nur ein paar Meter von ihnen entfernen, und die zwei redeten ziemlich laut miteinander, damit der mögliche Bär uns schon von weitem hören würde und uns aus dem Weg gehen könnte. Das schien auch gut zu klappen, ich bekam sie, wie gesagt, nur vom Floh aus zu Gesicht.

In Dawson City am Ufer des Yukon Rivers waren wir nun endgültig im Goldrauschgebiet angekommen. Hier konnten wir auf restaurierten aber auch auf verfallenen Raddampfern rumklettern, und hier wurde ich auch auf dem Campingplatz von zwei freilaufenden Huskies überfallen. Dieses Erlebnis machte mich zum Rassisten. Ab sofort duldete ich keine Huskies mehr in meiner Nähe! Toll war es hier aber trotzdem: Weil es nachts nicht mehr ganz dunkel wurde, konnte ich lange den aktiven Eichhörnchen zuschauen. Leider jedoch nur die erste Nacht, ab dann wurden die Rollos zugezogen, keine Ahnung weshalb!

Wir machten einen Abstecher nach Inuvik, einem Städtchen nördlich des Polarkreises. Genau am Polarkreis übernachteten wir bei einem Monument. Am Morgen war dann alles eisüberzogen: Die Schilder, die Strassenpfosten, die Büsche. Weil die Strasse nur aus einem Schotter/Lehm Gemisch bestand, fanden die Reifen genug Halt.

Inuvik selber war ziemlich langweilig. Ausser einem Supermarkt, einem Campingplatz, einer Kirche und ganz vielen Mücken gab es nicht viel. Also machten wir nach einem Tag wieder kehrt und fuhren die gleiche Strecke zurück.

In Seward musste ich ganze 8 Stunden im Floh warten. Albi und Jacqueline machten eine Bootsfahrt, wo sie Gletscher und ganz viele Tiere beobachten konnten. Aber sie wurden wohl von keinem so freudig begrüsst, wie von mir, als sie wieder zurück kamen.

In den kanadischen Rocky Mountains war es sehr schön, wenn auch nach meinem Geschmack von zu vielen Tieren bewohnt. Immer wieder sahen wir Karibus, Wapitis, Dallschafe, Bären oder auch mal einen Wolf. Deshalb musste ich mich immer in der Nähe meiner Menschen aufhalten. Zum Teil war ich gar an der Leine!

Kaum hatten wir die Rockies verlassen, wurde es brütend heiss. So heiss, dass sogar ich mich zuerst daran gewöhnen musste. Auf einem schönen Campground an einem See ging ich sogar ins Wasser. Weil Albi unbedingt wollte, dass ich den geworfenen Stock holte, und auch, weil das kühle Nass wirklich erfrischend war, ging ich baden. Ich, der um jede Pfütze einen weiten Bogen macht, lief einfach ins Wasser und schwamm!

Die Einreise in die USA war nicht einfach. Vielleicht lag es daran, dass in Albis und Jacquelines Pässen viele Seiten mit iranischen und pakistanischen Visa und Ein- und Ausreisestempel versehen waren. Auch in meinem internationalen Impfausweis prangte ja ein Einreisestempel der Iraner. Oder vielleicht war es einfach nur, weil kaum je ein Europäer mit dem eigenen Fahrzeug in die USA einreist. Aber nach zwei Stunden hatten wir es trotzdem geschafft: Wir waren drin im Land der unbegrenzten Möglichkeiten und der Freiheiten. Wobei da bezüglich Freiheiten sicher nicht an die Hunde gedacht wurde. Denn wir Vierbeiner dürfen uns in den ganzen USA theoretisch nur auf dem eigenen Grundstück ohne Leine frei bewegen. Aber eben: theoretisch! Um, wenn nötig, dem Gesetz entsprechen zu können, wurde eine Flexleine angeschafft, die jedoch nur selten den Weg zu meinem Halsband fand.

Im Washington State hat es richtige Regenwälder. Zwar nicht tropische Wälder, aber auch solche mit Baumriesen und mit viel Nässe. Denn es tropft auch wenn es nicht regnet dauernd von den Blättern. Mir gefiel es hier sehr gut: Auf wunderbar weichem Boden rannte ich voller Freude zwischen und auf den umgefallenen Bäumen umher. Die Eichhörnchen, die einzigen Tiere, denen ich nachrennen durfte, mussten in die Höhe klettern, wenn ich im Anmarsch war. Einzig die Lagerfeuer entsprachen nicht ganz der Waldromantik, weil sie nur einen unglaublichen Rauch zustande brachten, ohne richtig zu brennen.

Albi und Jacqueline kauften eine Jahreseintrittskarte für alle Nationalparks in den USA, was sich schon bald bezahlt machte, denn es folgte ein Park dem nächsten. Yellowstone, wo es raue Landschaft, Geysire und viele Bisonherden gab, und später die schönen Parks im Süden von Utah: Bridges, Bryce, Grand Canyon und den Arches N.P., wobei mir letzterer gar nicht gefallen hatte. Mir war es verboten, auf den Wegen zu spazieren. Nicht wegen den Tieren, wie in anderen Parks, denn hier gab es ja kaum welche, sondern wegen dem „delicate environment“, wie es in der Broschüre so schön hiess. Wäre ich hingegen ein Pferd, könnten mich meine Leute kreuz und quer durch den Park reiten, Environment hin oder her.

Kalifornien empfing mich mit Flöhen. Bis Albi und Jacqueline merkten, dass ich mich nicht nur zur Freude dauernd kratzte, hatten sich bereits etliche Viecher in meinem Pelz angesiedelt und saugten sich mit meinem Blut voll. Zuerst wurde ich mit einer amerikanischen Antiparasitenseife eingeschäumt, aber der Erfolg war bescheiden. Deshalb griffen sie zur ultimativen Chemie vom Schweizer Tierarzt. Mit diesem Spray sollte alles abgetötet werden ausser dem Hund selbst. Mir wurde beinahe übel vom Gestank, aber genützt hat’s: Nichts überlebte, und offenbar hatten auch eventuelle Eier, die im Floh (ha, ha!) Zwischenstation machten, keine Chance.

Nachdem wir die letzten Monate beinahe dauernd in der Natur verbracht hatten, meinten Jacqueline und Albi, dass es an der Zeit wäre, auf Grossstadtpirsch zu gehen. Deshalb fuhren wir zuerst nach San Francisco, wo wir den Floh auf einem Campingplatz stehen liessen und mit einem gemieteten Kleinauto ein paar Tage die Stadt erkundigten: Strassen hochfahren, Strassen runter fahren, Strassen hoch. usw. Wie wenn das noch nicht genug gewesen wäre, folgte später auch noch Los Angeles.

Langsam wurden die Tage und vor allem die Nächte kälter – der Winter nahte. So zogen wir weiter südwärts und überquerten die Grenze nach Mexico, genauer gesagt auf die Halbinsel Baja California. Hier durfte ich mich wieder ganz legal ohne Leine in dieser schönen und einsamen Gegend bewegen. Zusammen mit einer deutschen Familie mit zwei kleinen Kindern zogen wir 14 Tage von Strand zu Strand und genossen die Gesellschaft. Auch ich kam nicht zu kurz: Immer wieder wurde ich von unseren neuen Freunden gestreichelt, dafür bewachte ich ihr Wohnmobil.

Bevor es weiter ins „richtige“ Mexico ging, machten wir noch einen Abstecher nach New Mexico. Dort besuchten wir das schöne Städtchen Santa Fé, und im White Sands Monument durfte ich mich in den leuchtend weissen Dünen so richtig austoben.

In Acapulco lernte ich, wie man in eine Hängematte springt und darin zu dritt ausgedehnt Siesta macht. Überhaupt waren diese Wochen in Mexico sehr geruhsam. Wir blieben meistens mehrere Tage am selben Ort, machten viele Spaziergänge, lernten viele Leute kennen, und einmal traf ich gar einen Hund, mit dem ich Lust hatte zu spielen. Meine Menschen trauten ihren Augen kaum, als sie mich so mit diesem etwas kleinerem Kerl rumrennen sahen. Normalerweise bin ich zurückhaltend, was Hundebegegnungen angeht. Man weiss ja nie!

Dann drehten wir gegen Norden und reisten erneut in die USA ein. Nach Texas, Mississippi, Louisiana und Alabama folgte Florida, The Sunshine State. Die Sonne schien zwar wirklich viel hier, aber zu lachen hatte ich trotzdem wenig, denn für Hunde ist Florida nicht gemacht. Überall hatte es Verbotsschilder, und sogar in den State Parks war mir der Zutritt untersagt. So mussten wir auf den teuren Florida Keys in privaten Campingplätzen nächtigen. Einmal zahlten wir ganze $50 für eine Nacht! Dabei hätten sie dort doch eher uns etwas zahlen müssen, denn dank Albi und Jacqueline war der Altersdurchschnitt markant gesunken. Südflorida war jetzt im Februar ein grosses Altersheim.

Weiter nördlich, im Landesinnern, gefiel es mir nicht besser, denn hier hat es Landwirtschaft. Vor allem Zitrusfrüchte werden hier angebaut, und das scheint bei den Amerikanern nur mit massivster Giftkeule zu funktionieren. Stundenlang mussten wir wegen Vergiftungsgefahr mit geschlossenen Fenstern fahren, so grässlich war der Chemiegestank. Und die Seen waren tote Kloaken. Für Albi und Jacqueline war das der finale Zeigefinger, in Zukunft auf biologisch angebaute Lebensmittel zu setzen. Der erste solche Wink kam bereits in Kalifornien, bei den Milchkuhbetrieben.

Kaum hatten wir Florida verlassen, sahen wir keine Touristen mehr, und ich durfte mich wieder viel freier bewegen. Vielfach fanden wir auch keinen offenen Campingplatz, so dass wir häufig auf einem Picknickplatz oder einfach im Wald oder an der Beach übernachteten.

Williamsburg war eine der ersten grösseren Ortschaften der Siedler. Jetzt heisst es Colonial Williamsburg und ist eine Art Museumsdorf. Leute arbeiten dort wie vor 200 Jahren, selbstverständlich in den dazu passenden Kleidern. Es war toll, durch die Strassen zu spazieren und diesem kolonialen Treiben zuzuschauen.

Über Washington erreichten wir Pennsylvania, wo wir einem Freund von Albi und Jacqueline einen Besuch abstatteten. Ich genoss diese zwei Tage mit Urs sehr. Erstens durfte ich bei den Sightseeing‑Touren in seinem Jeep mit dabei sein und zweitens wurde ich von ihm abends richtig weich geknuddelt. Da hatte ich einen neuen Freund gefunden! Als uns Urs mit seiner Ehefrau etwa sechs Jahre später in der Schweiz besuchen kam, sagte er zu ihr: „See, this is Prinz. I told you about him!“

Schon seit ein paar Wochen war es uns viel zu kalt, aber als wir dann auch noch eines Morgens eingeschneit wurden, war eindeutig fertig lustig. Neuengland blieb, wo es war, und wir kehrten um und fuhren wieder gegen Süden, hoffentlich der Sonne entgegen.

Am Rande der Appalachian Mountains fanden wir beinahe unberührte Natur, einsame Camps und wärmere Temperaturen. Manchmal war’s sogar schon so warm, dass die Stühle hervorgeholt wurden und Herrchen und Frauchen sich draussen in der Sonne in ein Buch vertiefen konnten. Diese Zeit genoss ich jeweils sehr. Da konnte ich die nähere Gegend erkundigen, natürlich immer mit einem Ohr bei ihnen, damit ich sofort zurückrennen konnte, falls ich gerufen wurde. Und das jeden Tag an einem neuen Ort, so dass ich immer neue Duftspuren zu erschnüffeln hatte. Oder ich lag einfach nur zufrieden neben ihnen am Boden und liess mir die Sonne auf den Pelz scheinen.

Und schon waren meine Leute wieder beschäftigt. Es ging um unsere Rückreise. Eigentlich war geplant, dass wir alle zusammen, also Albi, Jacqueline, der Floh und ich auf einem Frachtschiff, das auch ein paar Passagiere befördert, zurück nach Europa reisten. Wir hatten eine Kabine auf der MS Patty mit Abfahrt im Mai gebucht. Nun gab es jedoch Probleme: Während normaler Wartungsarbeiten auf dem Trockendock tauchten Schäden auf, die längere Reparaturen benötigten, so dass die MS Patty voraussichtlich erst Mitte oder gar Ende Juni erneut in See stechen könnte. Das war uns doch zu spät, wir wollten nicht erst gegen Ende Sommer in die Schweiz zurückkehren.

Also machten sich Jacqueline und Albi an die Arbeit. Für den Floh wurde eine Schiffspassage und für uns drei der Rückflug gebucht. In Jacksonville, Florida, wo der Floh verschifft werden sollte, angekommen, hatten wir vier Tage Zeit, den Rest zu erledigen: Fahrzeuginhalt aussortieren und wertvolle Dinge für den Rückflug einzupacken, und da auch ich „eingepackt“ werden musste, gingen wir eine Flugbox shoppen. Diesmal durfte ich mit in den Laden rein und helfen, die geeignete Box auszuwählen. Auf dem Campingplatz wurde ich dann an sie angewöhnt. Jawohl, angewöhnt! Wie wenn Hund sich an eine Box gewöhnen könnte! Es soll zwar Hunde geben, die sich wohl in so einem Kistchen fühlen, aber das kann ich definitiv nicht nachvollziehen. Aber nachdem ich mehrmals mein Futter und auch Streicheleinheiten darin bekam, war sie mir nicht mehr so unangenehm.

Um von hier nach Atlanta zu kommen, brauchten wir noch ein Mietauto, und zwar ein grosses. Denn das viele Gepäck, meine Box und auch meine Wenigkeit mussten verstaut werden. Auf Albis Drängen hin, ob das gemietete Fahrzeug auch wirklich viertürig ist und einen grossen Kofferraum hat, bekamen wir einen Cadillac Deville, der gar noch einige cm länger als unser Floh war. Und das zum Preis von $6 pro Tag plus Versicherung, weil die Touristensaison in Florida zu Ende ging und all die Mietfahrzeuge gegen Norden gefahren werden mussten.

In Atlanta folgte dann wieder die übliche Prozedur: Gepäck einchecken, mich mitsamt Box wägen und entsprechend Frachtpreis bezahlen, nochmals einen Spaziergang machen und dann ab in die Box und ins Flugzeug zurück in die Schweiz.

Waren diese ersten zwei Jahre von meinem neuen Leben spannend und abwechslungsreich, wurden die nächsten zwei Jahre ruhiger, aber deswegen nicht weniger schön. Wir zogen um: Aus dem Wohnmobil in eine Wohnung. Da hatten wir plötzlich so viel Platz! Aber noch immer durfte ich praktisch überall mit gehen und musste selten zu Hause bleiben.

Und schon war es wieder soweit: Albi und Jacqueline fingen an zu packen. Diesmal war es nicht mehr der Floh, denn der hatte bereits neue Besitzer gefunden, nein, ein Geländefahrzeug mit Dachzelt war es, das beladen wurde. Als das Fahrzeug voll war, fuhren es meine Leute nach Hamburg, wo es in einen Container kam und auf ein Schiff mit Ziel Kapstadt, Südafrika verladen wurde.

Schon längere Zeit zuvor, hatten sie im Reisebüro die Flüge gebucht. Mein Flugticket konnte, wie schon bei der letzten Reise, noch nicht gebucht und bezahlt werden, weil ja erst beim Einchecken das Gewicht ermittelt wird. Aber der Reisebüroangestellte hatte mit der Swissair bereits die Modalitäten besprochen.

Am Donnerstag, während der letzten Putzete der Wohnung, rief Albi noch bei Swissair auf dem Flughafen Kloten an, um in Erfahrung zu bringen, wie viele Stunden vor Abflug sie mit mir auftauchen sollten. „Mit Hund? Nach Südafrika? Also, nein, das geht gar nicht!“, hiess es. Nach Südafrika sei es nicht möglich, den Hund im Passagierflugzeug mitzunehmen. Und nein, auch nicht im Frachtraum. Das ginge nur in einem Frachtflugzeug. Albi war schockiert. „Aber das Reisebüro hat doch mit der Swissair vereinbart, dass unser Hund im Frachtraum mitreisen werde. Ich war dabei, wie er das telefonisch geregelt hat.“ Ja, da sei wohl jemandem ein Fehler unterlaufen, aber ändern lasse sich das nicht, Südafrika bestehe auf der Regelung, dass Tiere nur mit Frachtmaschinen einreisen dürfen.

Nun kam Hektik auf, drei Tage vor Abflug. Es wurden Erkundigungen eingeholt, wie es möglich wäre, mich nach Kapstadt zu verfrachten. Das Fazit war ernüchternd: Abgesehen davon, dass für den Flug in der Frachtmaschine spezielle und schwer erhältliche Einreisepapiere nötig gewesen wären, waren die Frachtkosten astronomisch, weil da nicht nach Gewicht sondern nach Massen (Kubikmeter) gerechnet wurde. Das hätte ein riesiges Loch in die Reisekasse gefressen. Aber das Schlimmste war der Umstand, dass ich zuerst nach Johannesburg und von dort nach Kapstadt geflogen wäre. Die Vorstellung, wie eine Umladung von „Fracht“ in Johannesburg wohl aussehen würde, gab den Ausschlag, diese Möglichkeit nicht zu berücksichtigen.

Hätten Albi und Jacqueline ein paar Wochen vor der Buchung eine Ahnung davon gehabt, wäre klar gewesen, dass die Reise nicht ins südliche Afrika sondern nach Südamerika gehen würde. Mit mir natürlich! Aber so, mit dem Fahrzeug bereits unterwegs, Wohnung gekündigt und Flüge bezahlt, wurde nach ausgiebigem Weinen beschlossen, dass ich bei meiner Boxer Freundin Gina und ihrer Familie bleiben musste.

Die restlichen zwei Tage vor ihrer Abreise wurde ich immer wieder mit feuchten Augen geknutscht, und ich hörte, wie sie sich gegenseitig versuchten aufzumuntern: „Weisst Du, dafür ist es dann einfacher, die Nationalparks zu besuchen. Wir müssen ihn dann nicht rein schmuggeln oder einen Tagesplatz für ihn suchen.“ Aber auch das Gegenteil: „Wir haben uns doch so darauf gefreut, wieder mit ihm auf Reisen zu gehen!“

So gingen sie eben alleine, ohne mich, auf Reisen. Ein halbes Jahr lang. Nicht, dass ich es nicht schön gehabt hatte, bei Gina und Co., nein es war toll, und wir unternahmen viel zusammen.

Im Frühling kamen Albi und Jacqueline dann wieder zurück, und ich zog mit ihnen in ein Haus. Gina kam uns viel besuchen, so dass mir der Abschied von ihr leichter fiel.

Die nächsten Reisen waren allesamt kurze Reisen, manchmal nur ein paar Tage, manchmal ein, zwei oder drei Wochen, einmal gar sechs Wochen, als wir ans Nordkap fuhren, und fast immer war ich mit dabei. Ganz selten verbrachte ich eine oder zwei Wochen bei Jacqueline’s Eltern, wo ich jeweils ganz lange Spaziergänge machte. Pro Tag waren es dann etwa 4 bis 5 Stunden und das eigentlich immer ohne Leine, weil ich so gut gehorchte. Alfred, der Vater von Jacqueline meinte immer, wenn ich wieder abgeholt wurde, dass er keinen so braven Hund kenne wie mich, und dass es sehr angenehm wäre, mit mir Fussmärsche (so spricht er) zu unternehmen.

Das war, wenn Albi und Jacqueline mich nicht mitnehmen konnten, so zum Beispiel bei einer Städtetour nach Prag, oder eine Heimwehreise nach Malaysia, oder einmal gar mitten im Winter nach Skandinavien, wo es mit mir unmöglich gewesen wäre, ein Hotelzimmer zu bekommen.

Aber sonst war ich mit von der Partie. Im Lauf der nächsten Jahre bereiste ich mehrmals Marokko, war am Nordkap, besuchte Grossbritannien, Ungarn, Kroatien, fuhr bis nach Sizilien und war natürlich ganz viel in Frankreich, dem hundefreundlichen Land.

Eine Katze zog auch noch ein, und zwar eine ziemlich junge, die zuerst noch ein wenig Angst vor mir hatte. Nachdem sie jedoch merkte, dass ich ihr kein Haar krümmen würde, bekam sie Zutrauen und fing an, bei mir im Korb zu schlafen. Leider ging der mittlerweile einjährige Kater öfters auf Wanderschaft und kam irgendwann nicht mehr zurück. Das kommt davon: Mich, bei dem es gar nicht nötig gewesen wäre, hatte man im Tierheim kastriert, aber den Kater liess man intakt, und siehe da: Er haut ab!

Nachdem ich noch mit zehn Jahren einen einjährigen Familienbegleithundekurs absolviert hatte, merkte man mir ein paar weitere Jahre später mein Alter langsam an. Die Hörleistung nahm ab. Zuerst dachten meine Leute, ich würde das nur vorspielen. Aber nachdem sie mich mit der Futterschüssel getestet hatten, bestand kein Zweifel, dass ich zwar noch nicht taub aber doch schwerhörig geworden war. Auch rannte ich nicht mehr so wild in der Gegend rum, sondern konzentrierte mich lieber auf die feinen Duftspuren am Wegrand und blieb dabei häufig hinter Herrchen und Frauchen zurück, so dass sie auf mich warten mussten. Und nachts musste ich an die lange Leine – wegen den Fahrzeugen, die ich zu spät oder gar nicht mehr hören konnte.

Dafür wurde ich viel verschmuster und genoss es enorm, wie eine Katze auf dem Schoss zu liegen, auch wenn das hoch springen nicht mehr so einfach ging.

Sogar das Reisen bereitete mir etwas Mühe: Zwar stieg ich noch immer voller Freude ins Auto und fuhr gerne ein paar Stunden mit. Nach zwei, drei Tagen war ich aber jeweils froh, wenn die Schauklerei zu Ende war. So wurde im Sommer 2006 beschlossen, dass ich die Ferien bei Iris verbringen sollte, während Albi und Jacqueline Polen bereisen würden.

Aber es sollte nicht so kommen: Einen Tag bevor ich zu Iris hätte fahren sollen, konnte ich mich plötzlich kaum noch bewegen, so sehr schmerzte der Rücken. Nachts wusste ich nicht, wie ich liegen sollte. Immer wieder musste ich aufstehen und kam ebenso wie meine Menschen kaum zu Schlaf. Als ich auch noch das Frühstück verweigerte, wurde ich eilends ins Auto verfrachtet und zum Tierarzt gefahren, wo ich dann trotz meinen Schmerzen im Rücken ausgiebig abgetastet wurde. Die Tierärztin, der Albi und Jacqueline voll vertrauten, meinte, dass es gar nicht gut aussähe. Mit Schmerzmittel alleine sei da nicht viel zu machen. Sie müsste zuerst röntgen und dann bestimmt operieren, vorausgesetzt, dass es operabel wäre. Und zum Röntgen müsste ich in Narkose gesetzt werden, was in meinem hohen Alter eh schon Risiko wäre. Die Heilungsaussichten sähen sehr schlecht aus, und auf die Frage, wie sie entscheiden würde, meinte sie, dass ich ein gesundes langes Leben gehabt hätte, und dass das was jetzt noch kommen würde, bestimmt nicht mehr viel mit Lebensqualität zu tun hätte.

Schon immer hatte Jacqueline gesagt: „Der Prinz, der wird 15 Jahre alt, das ist ein gutes Alter.“ Und so war es.


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