Südindien

Ein paar Tage später, am 18. April 1991, besteigen wir das Flugzeug, das uns auf den indischen Subkontinent bringen wird. In Madras angekommen, kämpfen wir uns durch das Chaos am Flughafen. Zuerst warten wir auf unser Gepäck, dann bringen wir die Immigration und den Zoll hinter uns. Vor dem Flughafengebäude werden wir von sehr vielen Leuten bestürmt. Viele wollen uns ein Taxi in die Stadt besorgen und fast alle sind am Geldwechseln interessiert. Indische Rupees haben wir während der Wartezeit aufs Gepäck gewechselt, und den Taxistand finden wir auch ohne Hilfe.
Wir setzen uns in einen schwarz‑gelben Fiat, Modell Vorkriegsjahr oder älter. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt etwa 40 km/h, aber bei diesem Verkehr erscheint es uns als viel zu schnell. Die Strasse dient je nach Bedarf und Platz als Fussgängerpromenade, als Weideplatz für spindeldürre Kühe oder auch als Strasse für Unmengen von Velos und dreirädrigen Bajaj’s. Da können sich die Autos nur mit ständigem Hupen hindurchquetschen. Für Albi, der bereits Indienerfahrung hat, ist das alles nichts Ungewöhnliches, aber für mich ist es überwältigend. Ein paar Stunden zuvor waren wir noch im sauberen und ordentlichen Singapore, und nun befinden wir uns im… . Mir fehlen die Worte, um dieses Treiben zu beschreiben.
Da es bereits dunkel ist, sind wir froh, dass das YWCA (Young Women) eine Ausnahme macht, und uns eine Nacht beherbergt. Es wäre zu spät, jetzt noch auf Hotelsuche zu gehen. Albi geht schnell etwas essen, aber ich bleibe im Zimmer, denn offensichtlich habe ich ein paar fiese Biester aus Singapore mitgeschleppt. Mein Magen‑Darm‑Trakt ist in Aufruhr.

Wir ziehen ins Hotel Imperial um. Während ich die Vorzüge einer angenehmen Toilette schätzen lerne, macht Albi einen ersten Besuch auf dem Frachtbüro. Natürlich kann er heute noch nicht viel erreichen, aber immerhin lernt er den für unseren Container zuständigen Agenten kennen. Weil ich noch nicht imstande bin, in einem Restaurant essen zu gehen, lassen wir uns das Abendessen aufs Zimmer bringen. Heute ist unser erster Hochzeitstag, da ist ein Festschmaus angesagt. Albi stürzt sich auf die feinen Currys, während ich mich mit etwas weissem Reis begnüge.

Die nächsten beiden Tage sind Wochenende, da arbeitet unser Agent natürlich nicht. Mein Magen beruhigt sich zusehends, so dass wir am Sonntag endlich mal auswärts essen gehen können. Die vegetarischen Thalis sind super. Man kriegt einen Riesen Haufen Reis in die Mitte des Tellers (oder des Bananenblattes). Dann folgen die verschiedenen Gemüse, die um den Reis verteilt werden. In einem Schälchen gibt’s noch die Raita, Joghurt aus Büffelmilch. Die ist sehr angenehm, um das Feuer im Mund zu stillen. Albi hatte mich gewarnt: Das südindische Essen sei so scharf, dass man es kaum essen könne. Davon merke ich nicht viel, obschon mein Magen in den letzten Tagen geruht hat. Die thailändischen Speisen scheinen unsere Gaumen an jegliche Schärfe gewöhnt zu haben. Gut, denn so können wir zulangen, von Hand natürlich. Denn gegessen wird hier mit den Fingern der rechten Hand – die linke wird anderweitig gebraucht, so nach dem Motto: Die Rechte befördert das Essen hinein, die Linke wischt mit Wasser die austretenden Reste weg.

Am Montag bin ich wieder fit. Wir machen uns auf zu unserem Agenten. Auf dem Schifffahrtsbüro erleben wir die indische Bürokratie. Eigentlich darf man ihnen deswegen nicht böse sein, denn es waren die Engländer, die die Bürokratie hier eingeführt hatten. Die Inder haben sie nur noch verbessert! Wir werden von Büro zu Büro geleitet und sehen überall riesige Aktenberge, haben jedoch keine Ahnung, wofür wir eigentlich herumgeführt werden. Aber wir haben Vertrauen in unseren Agenten und lassen ihn walten. Nach einem langen Arbeitstag verspricht er uns, dass wir morgen zum Container vordringen und den Landy einführen können. Mal sehen… .

Um neun Uhr befinden wir uns wie verabredet auf dem Samrat Shipping Office, eine Dreiviertelstunde später taucht auch unser Agent auf. Nach nochmaligem Studium aller Akten brechen wir zum Hafen auf. Dort weisen sie uns zurück, weil wir keine Eingangspässe haben. Auf dem Passbüro warten wir nur eine halbe Stunde, bis wir im Besitz der verlangten Dokumente sind. Zurück beim Eingang, lassen sie uns aufs Hafengelände. Schnell sichten wir unseren Container, aber zwischen uns und ihm befindet sich eine weitere Kontrollstelle. Und auch für diese benötigen wir eine Bewilligung! Nachdem wir endlich beim Container stehen, dauert es eine weitere halbe Stunde, bis wir einen Hafenarbeiter gefunden haben, der mit Hammer und Meissel die Plombe öffnen kann. Dann endlich – der grosse Augenblick: Der Landy ist noch intakt! Rausgefahren haben wir ihn schnell, aber nur ein paar Meter, denn schon ist ein Zollbeamter zur Stelle. Er nimmt uns den Pass und das Carnet de Passages ab und verschwindet zusammen mit dem Agenten. Nach etwa einer Stunde taucht unser Agent wieder auf. Weil wir das Hafengelände nicht verlassen dürfen, bringt er uns etwas zu trinken und ein paar Biskuits. Wir sind froh, denn mittlerweile ist es schon deutlich nach Mittag. Er sagt, dass es nicht lange dauern wird und verschwindet wieder, um dem Zoll Beine zu machen.

Nach geschlagenen vier Stunden ist es dann soweit. Wir sind im Besitz der abgestempelten Papiere und dürfen den Hafen verlassen. Um sieben Uhr sind wir im Hotel zurück – erschöpft aber zufrieden!

Umgeben von den neugierigen Hotelangestellten verbringen wir den nächsten Tag im Innenhof. Albi bastelt am Landy und ich räume unsere Sachen wieder ein, so dass wir dann am 25. April 1991 bereit sind, Indien zu entdecken. Es dauert ziemlich lange, bis wir aus Madras raus sind und auch die letzten Vororte hinter uns gelassen haben. Nach einem Abendessen bestehend aus Paratha mit Curry und einem Chai, diesem unvergleichlichen indischen Tee, legen wir uns schlafen. Weil es aber über 30° C warm ist, wird es nicht eine erholsame Nacht.
Auf dem Weg nach Trivandrum legen wir in Srirangam und in Madurai einen Halt ein. In beiden Orten besichtigen wir die eindrucksvollen Tempelanlagen. Als Nicht‑Hindu dürfen wir nicht bis ganz ins Innerste des Heiligtums, aber auch so gibt es genug zu bewundern. Speziell die Tore über dem Eingang sind hier in Südindien wahre Meisterwerke!

In Trivandrum interessiert uns nicht die Stadt sondern der Weg nach Kovalam. Das ist der Strand von Kerala. Hier finden wir für 30 Rupees (Fr. 2.50) ein schönes Zimmer mit eigenem Bad und Terrasse. Während einer Woche geniessen wir die tolle Atmosphäre am Strand der traumhaften Sonnenuntergänge. Der Tagesablauf sieht wie folgt aus: Zum Frühstück setzen wir uns in eines der vielen einfachen Restaurants, essen eine Papaya und ein Pancake, dazu trinken wir ein Chai. Dann laufen wir etwas am Strand entlang und gehen vielleicht Bücher tauschen. Nach dem Mittagessen legen wir uns ins kühle Zimmer und lesen. Später setzen wir uns an den Strand, wo wir von der Fruchtverkäuferin angesprochen werden. Wir helfen ihr, den schweren Korb vom Kopf zu nehmen und schauen, was sie drin hat. Wir wählen eine Kokosnuss, ein paar Bananen, eine Mango, Papaya oder eine Ananas aus. Mit einem riesigen Messer schält und zerlegt sie die jeweilige Frucht in Windeseile in appetitliche Stücke. Danach müssen wir ihr wieder helfen, den schweren Korb auf den Kopf zu heben. Wir können ihn zu zweit kaum hochheben, aber die bereits recht alte Frau läuft am Strand herum, als hätte sie nichts auf dem Kopf. Den Sonnenuntergang feiern wir auf unserer Terrasse mit einer aus Singapore importierten kühlen Dose Coca Cola. Bisher gibt es in Indien nur Pepsi, und auch das ist noch nicht bis Kovalam vorgedrungen. Die Wahl des Restaurants fürs Abendessen haben wir meistens bereits tagsüber getroffen. Mit feinem Fisch schlagen wir uns die Bäuche voll und gehen dann früh schlafen.
Eines Nachts müssen wir unsere Betten verschieben, weil an der Wand, zehn cm neben unseren Köpfen ein ganzes Ameisennest vorbei getragen wird. Immer wieder verirren sich ein paar Dutzend Träger auf unser Bett, so dass wir etwas Abstand schaffen. Die Kolonie ist auf dem Weg ins Badezimmer, aber am nächsten Morgen sehen wir von ihnen keine Spur mehr. Diese Völkerwanderungen sind ein erster Vorbote auf den kommenden Regen und damit auf die Monsunzeit.
Bevor wir unsere Reise fortsetzen, müssen wir unseren Landy von einem Ameisennest befreien. Die Tiere haben sich unter dem im Fahrzeug befestigten Zusatztank niedergelassen. Da hilft kein Besen – wir müssen sie mit der Giftflasche aus dem Nest treiben.

Mitten in Trivandrum steigt plötzlich die Kühlertemperatur ins Rote. In einem original Landrover Ersatzteil fehlte die Dichtung, deshalb verlieren wir Kühlerwasser. Mit einem Tampon und Silikon machen wir eine Notreparatur. Wenn wir es jetzt mit Flüssigmetall dichten würden, müssten wir die Sache gut austrocknen lassen. Und dazu haben wir hier keine Lust.

Die Bilder zur Reise 1990-1991 findest du hier: Flickr

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