Xinjiang

Unterwegs nach China

In der Mitte zwischen Sost und der Grenze blockiert ein Erdrutsch das Tal. Wir werden mit Bussen und Pickups bis dorthin gebracht. Hier hat das Pakistanische Militär einen Ponton-Fährdienst eingerichtet, der über einen See führt, der durch den aufgestauten Fluss gebildet wurde. Mehrere Bagger sind dabei, eine Strasse in den See zu schütten, damit man in einer Woche wieder durchfahren kann. Anschliessend werden wir per Hiace bis zum Chinesischen Zollposten gefahren, der im Ort Perali, 20 km nach der Grenze, liegt. Am Zoll habe ich gewisse Schwierigkeiten zu erklären, dass der Griechische Zöllner bei der Einreise seinen Stempel nur unabsichtlich mitten auf das China-Visum geknallt hat. Wir können hier Chinesisches Geld wechseln. Allerdings müssen wir eine halbe Stunde warten, bis der Beamte den Koffer mit den neuen Geldscheinen gefunden hat. Dann dürfen wir einen ganz tollen Autobus besteigen. Hinten ist die Karosserie durch das dauernde Aufschlagen am Boden nicht mehr vorhanden, die Federblätter sind z.T. miteinander verschweisst, und der Zündverteiler des Benzinmotors wird nach Gehör von Hand verdreht. In China fahren auch die Lastwagen und Autobusse mit Benzin. Die Strasse, die wir jetzt befahren, möchte ich als schrecklich beschreiben. Weil ich aber weiss, wie die Strasse, die wir morgen befahren, aussehen wird, nehme ich die wegen der Wellblechpiste juckenden Oberschenkel gelassen hin. Wir erreichen schon in der Dunkelheit den Ort Tashkargan, wo wir in einem Relais, ähnlich den Postkutschenrelais aus alten Westernfilmen, übernachten. Wir machen die Erfahrung, dass die Chinesen aus Faulheit lieber sagen, es habe keine Zimmer mehr, als dass sie aufstehen, und sie aufschliessen. Wir kriegen erst nach längeren Diskussionen und Drohungen eines der vielen leeren Zimmer zum Schlafen. Vergaserheizung und andere Chinesische Eigenarten Am Morgen sehen wir, wie der Busfahrer mit einer grossen Lötlampe den Vergaser vorheizt. Es wird überhaupt sorglos mit Benzin umgegangen. Beim Tanken werden Benzinfässer zum Bus gerollt und damit eine Giesskanne immer wieder gefüllt. Die Hälfte des Inhalts der Kanne wird in den Einfüllstutzen gebracht und der Rest wird über die Karosserie geleert. Nachdem wir die Anlasserei und die Tankerei überlebt haben, geht ein Gedrängel um die Sitzplätze los. Es will absolut niemand hinten im Bus sitzen, weil man da öfters bis an die Decke hochgeschnellt wird. Ein paar Pakistanis erdreisten sich, Werner auf den Kopf zu sitzen, damit er den Platz verlässt. Schlussendlich erklärt der Fahrer, er wolle heute nicht mehr fahren, sein Kollege mit dem anderen Bus sei der einzige, der noch fahre. Sofort rennen die Chaoten zum anderen Bus, und wir fahren ganz gemütlich mit genügend Platz los. Die ‚Strasse der Freundschaft‘ führt nun durch nacktes Gebirge. Ueberall sind Strassenarbeiter am Bau von kleinen Brücken und Dämmen anzutreffen, aber die Strasse gibt es noch gar nicht. Deshalb fahren wir meistens so im Geröll herum, dass jedem Off-Road Fan das Herz höher schlagen würde. Wir müssen sehr viel Staub schluc ken und öfters mal aussteigen, wenn der beladene Bus den Hang nicht mehr bewältigen kann. Schliesslich erreichen wir den Ort Bulunkol, wo wir wieder in einem Postkutschenrelais einquartiert werden.

Disco in der Wüste Gobi

Eine Chinesische Tanzkapelle, die mit uns im Bus mitreist, bringt nun das ganze Dorf auf die Beine, denn am Abend gibt es in der grossen Halle eine ‚Disco‘. Dabei lassen sie einen billigen Taperecorder in voller Lautstärke lärmen, und dazu tanzen sie sehr gekonnt Chinesische Volkstänze. Auch wir Weisse werden dazu eingeladen und müssen natürlich dauernd tanzen. Die Gelegenheit ist einmalig, um die Einheimischen zu beobachten. Sie sehen alle aus wie Dschingis Khan, mit einer Fellmütze, mongolischen Gesichtern viel Schmuck und Zierat. Natürlich gibt es hier keinen Strom, deshalb läuft die ‚Disco‘ auch mit Batterien. Es wird getanzt, bis die Batterien leer sind.

Kashgar

Morgens heizt der Busfahrer den Vergaser wieder auf altbekannte Methode vor. Dann geht es weiter Richtung Kashgar, wo wir am späten Nachmittag erschöpft und verhungert ankommen. Wir nehmen einen Eselkarren, der uns anstelle der hier nicht vorhandenen Taxis zum Hotel bringt. Wir haben nun volle drei Tage gebraucht, um 250 km weit nach China hinein zu kommen. Wir wohnen im Hotel Seman, dem besten Hotel im Ort. Im Garten wachsen Marihuana-Stauden und ein Doppelzimmer kostet uns Fr.3.75 pro Person und Nacht nach dem offiziellen Schwarzmarktkurs. Wir verbringen den ganzen Tag im Basar. Es ist einfach unmöglich zu beschreiben, was wir hier alles entdecken. Kashgar ist eine Oase, die etwa 100 km lang und 15 km breit mitten in der Wüste Gobi liegt, und zu 80% von türkischstämmigen Uiguren bewohnt wird. Diese Leute sind Moslems und haben mit den richtigen Chinesen nichts gemeinsam. Es gibt nichts, das hier nicht aus irgendwelchen Abfällen hergestellt wird. Dem Mangel an Konsumgütern wird mit aller Phantasie abgeholfen. Es werden sogar Maiskörner in Druckflaschen erhitzt, die beim explosionsartigen Oeffnen des Behälters als Pop-Corn zuhinterst in einen riesigen Jutesack geschossen werden.

1000 km Telefonleitung bis zum nächsten Satelliten

Ich versuche, den Eltern zu telefonieren. Im Laufe des Morgens gehe ich auf die Post, und erfahre dort nach längerem Herumfragen, dass es für Auslandgespräche nebenan eine eigene Zentrale habe. Nach ungefähr drei Stunden Wartezeit, wird mein Anruf durchgestellt. Ich höre, wie auf der anderen Seite jemand was auf Schweizerdeutsch sagt. Nach einer halben Minute finde ich auch heraus, dass es mein Vater ist, der spricht. Da der Anruf zuerst nach Peking geht und erst von dort aufs internationale Netz, ist die Leitung so schlecht, dass wir uns nichts mitteilen können. Ich gehe sofort nach dem Gespräch hin, und schreibe einen Brief, wo ich mitteile, was ich am Telefon sagen wollte.

Wir mieten illegal Velos

Wir wollen morgen eine Velotour in und um Kashgar machen. Obwohl es hier Velos zu Tausenden gibt, will uns niemand solche vermieten. Wir erfahren dann, dass es Ausländern nicht erlaubt ist, sich anders als mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fortzubewegen. Offenbar sollen sie nicht einfach an Orte fahren können, die für sie nicht erlaubt sind. Alle Orte, ausser den auf einer Liste genannten Städten, sind noch immer verboten. Wir können trotzdem mit einem Wirten abmachen, dass er uns für morgen drei Velos organisiert. Am anderen Tag hat er prompt Besuch von zwei Freunden, die ihre Velos für uns dalassen. Wir können nun nach Lust und Laune durch die Oase streifen. Wir besichtigen verschiedene Dörfer in der Umgebung. Besonderes Interesse findet eine uralte Mühle, deren fünf Mahlsteine von fünf hölzernen Schaufelradturbinen angetrieben werden. Wir besichtigen unter anderem auch eine grosse Ziegelei, wo aus Sand und Wasser recht brauchbare Ziegelsteine zum Bau der Häuser hergestellt werden. Am späten Nachmittag besichtigen wir die Gräber von Abakh Hoja, ein riesiger moslemischer Friedhof mit einer schönen Moschee und vielen uralten, reich geschmückten Nebengebäuden.

Die Rückfahrt

Weil wir unterwegs sozusagen keine Lebensmittel einkaufen konnten, sind wir auf der Herfahrt beinahe verhungert. Deshalb kaufen wir jetzt tüchtig ein. Auch das Besteigen des Bus klappt bestens, denn am Bushof steht eine Aufpasserin, die genau checkt, dass alle ordnungsgemässe Tickets und Reservierungen haben. Für einmal wird der Bus nicht überladen, und jeder hat einen Sitzplatz. Etwa 500 m nach der Abfahrt wird unser Bus von einer Polizeistreife angehalten, die soviele Leute einsteigen lässt, dass der arme Bus beinahe zusammenbricht. Ueberall sitzen die Leute: Auf den Sitzlehnen, am Boden, auf dem Gepäck, auf der Motorhaube. Selbstverständlich wird auch das Dach noch mehr beladen. Da die ganze Strecke bis an die Grenze ansteigt, gehen wir bald die halbe Strecke neben dem Bus, da er die Steigungen kaum schafft. Glücklicherweise reicht es immer noch knapp, dass wir nicht schieben müssen. Wir lernen unterwegs ein Mädchen aus Hongkong kennen, und machen ab, dass wir eine Weile zusammen reisen. Als wir nach drei Tagen wieder in Sost bei unseren Autos ankommen, stellen wir fest, dass alles noch tadellos in Ordnung ist. Wir schenken dem Wirt, der auf die Autos aufgepasst hat, ein Militärtaschenmesser, das er nach anfänglichem Sträuben dankbar entgegennimmt.

Die Bilder zur Reise 1987-1988 findest du hier: Flickr

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