Der Pasu Gletscher und Hunza
Ein paar Dutzend Kilometer von der Zollstelle weg, gibt es einen wunderbaren, sehr zerklüfteten Gletscher. Wir, d.h. Stella, die Hongkongerin, Hugo, Werner, Nick und ich, beschliessen, eine Wanderung zu unternehmen, und zum Anfang des Gletschers zu gehen, was hin und zurück etwa zwei bis drei Stunden dauern soll. Wir haben allerdings nicht damit gerechnet, dass die Leute aus Hongkong noch nie unebenen Boden unter den Füssen gehabt haben. Der Hinweg allein dauert nun zweieinhalb Stunden. Endlich geniessen wir einen unbeschreiblichen Anblick des Gletschers. Man könnte meinen, hier habe ein Gigant Eisspitze an Eisspitze gestellt. Leider beginnt es langsam zu regnen, so dass wir schnellstens wieder zurückgehen. Am nächsten Tag kommen wir in Hunza vorbei, dem Heimatort von Aga Khan, einem der reichsten Leute der Welt, der hier eine sinnvolle, gutorganisierte Entwicklungshilfe betreibt. Da es anfängt, stärker zu regnen, fahren wir nach der Besichtigung von Fort Baltit und Fort Altit, dem Sitz des Aga Khan, los in Richtung Süden, denn wir wissen, wie die Erdrutschgebiete entlang der Strasse aussehen. Wir möchten möglichst vor einem Erdrutsch im fast 1000 km entfernten Islamabad sein.
Der Erdrutsch
Wir fahren bis in die Nacht und überqueren mehrere Sturzbäche, die schon rechte Massen Gestein über die Strasse schieben. Zwischen Nilt und Jaglotah bereiten mehrere riesige Steinblöcke, die von der Felswand gefallen sind, unserer Fahrt ein jähes Ende. Wir fahren fünfzig Meter zurück, bis wir an einem einigermassen Steinschlag- und Erdlawinensicheren Ort parkieren und übernachten. Kurz nach uns erscheinen noch ein Linienbus und zwei Lieferwagen, nachher kommt nichts mehr, denn auch hinter uns ist ein Erdrutsch niedergegangen. Am Morgen um zehn Uhr werden wir von zwei Pakistanis geweckt, die uns berichten, dass sie sich zwei Stunden früher zu dritt einen riesigen Erdrutsch angeschaut haben, der während der Nacht hundert Meter nach den riesigen Steinblöcken niedergegangen ist. Dabei wurde ihr Kollege von herabfallenden Steinen getroffen und schwer verletzt. Wir werden uns sofort bewusst, dass der Mann zwei Stunden in dünnen Kleidchen im strömenden Regen an der Schneefallgrenze lag. Sofort bilden wir ein nicht ungefährdetes Rettungskommando, und gehen den Mann bergen. Es sieht so aus, als ob er eine grosse Wunde am Kopf, einen offenen Armbruch und Bauchverletzungen davongetragen habe. Wir bringen ihn als erstes aus dem Gefahrenbereich zum Autobus, wo wir aus Sitzen ein Krankenbett basteln. Kaum kommen wir mit dem Verletzten aus dem Steinschlagbereich heraus, packen mehrere Pakistanis mit an, so dass es aussieht, wie wenn sie mitgeholfen hätten. Wir holen unsere Bordapotheke und verarzten den Patienten so gut, wie wir das eben können. Einem in Frankfurt lebenden pakistanischen Teppichhändler bringen wir bei, was die Seitenlagerung zu bedeuten hat, und dass man uns bei jeder Aenderung der Lage oder des Zustandes des Patienten sofort rufen soll. Alle halbe Stunde schauen wir nun nach, wie es dem Patienten geht. Leider will er, trotzdem er in einen dicken Schlafsack eingepackt ist, nicht mehr recht warm werden. Gegen Mittag kommt ein Armeeoffizier vorbei, dem wir sofort den Verletzten zeigen, und um Hilfe bitten. Wir kriegen zur Antwort, dass man ihm schon helfen könne, z.B. ihn per Heli ins nächste, 100 km entfernte, Spital fliegen. Nur müsste er dafür eine Militärperson sein. Zivilisten wird nicht geholfen. Um zwei Uhr Nachmittags werden wir zum Patienten gerufen. Wir stellen fest, dass er auf dem Rücken liegt und ein bis zuoberst zugeknöpftes Totenhemd an hat. Wir haben nie rausgefunden, an was er gestorben ist. Wir hoffen nur, dass man ihn nicht noch lebend auf den Rücken gedreht oder ihm das Hemd angezogen hat. Am nächsten Tag besichtigen wir den grossen Erdrutsch und müssen feststellen, dass hier ohne Bagger absolut kein Durchkommen ist, da die ganze Strasse weggerissen wurde. Also machen wir’s uns gemütlich. Wir spannen zwischen die zwei Landys Planen, die unsere Kochstelle vor dem ärgsten Wind und Regen schützen. Hier kochen wir in der Folge unzählige Kartoffelsuppen, Teigwaren und Tees. Das Innere meines Landys eignet sich hervorragend als Spiellokal, wir wechseln ab zwischen Canastaspielen und Teekochen, denn irgendwie muss ja auch geheizt werden. Am fünften Tag kommt ein Trupp Militär, der die grossen Steinblöcke wegsprengt. Leider benützen sie so viel Dynamit, dass sich am Berg noch mehr, noch grössere Brocken lösen, und auf die Strasse fallen. Am sechsten Tag erscheint von Süden her ein Bagger, der durch den Kegel des grossen Geröllrutsches eine Strasse bahnt. Währenddessen bleiben wir nicht untätig. Da der Räumtrupp bei den Felsblöcken nicht in der Lage ist, sie wegzuräumen, spannen wir den Landy ein, und schaffen es tatsächlich, die Brocken soweit zur Seite zu ziehen, dass wir durchfahren können. Wir warten nun in der Nähe des Baggers darauf, dass wir auch hier durchfahren können. Nach drei Viertel der Arbeit geht dem Bagger der Diesel aus. Wir helfen ihm mit vierzig Liter aus. Zum Dank dafür kriegen wir von einem Offizier die Erlaubnis, in Gilgit die vierzig Liter wieder gratis beziehen zu können, und darüber hinaus, unsere Autos, natürlich gegen Bezahlung, einmal volltanken zu dürfen. Das ist sehr wichtig, denn wir erfahren, dass die ganzen Northern Areas durch 53 Erdrutsche vom Rest von Pakistan abgeschnitten sind, und sämtlicher Treibstoff vom Militär konfisziert worden ist.
Gilgit, Hauptstadt der Northern Areas
Gilgit ist ein typischer nordpakistanischer Ort mit Basar und viel Rummel. Es gibt hier weder Strom noch Telefon, denn alles ist unterbrochen. Wir verbringen ein paar Tage mit Herumstrolchen, besuchen eine 5 m hohe Buddha-Statue und wir schrauben am Landy, bis alles wieder in Ordnung ist. Schliesslich machen wir eine Bergtour und besteigen einen 4000er in der Nähe, von dem wir eine herrliche Aussicht über den Karakorum und den Hindukusch haben. Hugo und Werner haben ein Faltboot dabei, das wir nun auf dem reissenden Gilgit-River testen müssen. Wir unternehmen ein Riverrafting, das uns ziemlich nass werden lässt. Wir hören nun, dass alle Landslides auf der Strecke nach Islamabad bis auf einen, an dem noch gearbeitet wird, geräumt sind. Somit trennen wir uns von Hugo und Werner, die noch nach Chitral fahren wollen, und fahren schon die 250 km bis zum Erdrutsch, damit wir dann bereit sind durchzustechen, wenn die Bagger durch sind. Wir kommen gerade in Besham an, als die Strecke frei wird. Wir fahren bis vorne an die Kolonne, und schaffen es so, als drittes Fahrzeug den Rutsch zu passieren. Nach fünf Autos rutscht der äusserst unstabile Hang wieder, so dass die Bagger wieder in Aktion treten müssen. In der Folge muss die Strasse an dieser Stelle jede Viertelstunde wieder freigebaggert werden. Wir schaffen es, heute Islamabad zu erreichen, von wo wir nach Hause telefonieren und mitteilen, dass uns nichts passiert ist.
In Lahore verliert der Landy eine Fensterscheibe
Wir besuchen die Ausgrabungsstätten bei Taxila, kaufen in Rawalpindi einige Ersatzteile wie Federblätter ein. Wir wissen, dass man die Grenze nach Indien nur an drei Tagen im Monat überschreiten kann, die nächste Möglichkeit ist der 2. November. Somit müssen wir heute nach Lahore abfahren, wenn wir noch einen Tag Reserve haben wollen, z.B. um Lahore anzuschauen. Unterwegs werden wir von einem Strassenrowdy, die hier selten sind, so überholt, dass ich beinah im Strassengraben lande. Da er vor uns langsam fährt, ist er bald wieder überholt, und Nick wirft ihm ein paar Mandarinen auf die Windschutzscheibe. Bei einem Rotlicht am Rand von Lahore kommt der Mann mit einem Ziegelstein zu uns und schmeisst uns vor den Augen eines Polizisten das rechte Seitenfenster ein. Glücklicherweise kommt ein Motorradfahrer vorbei, der uns bezeugt, dass der andere uns fast von der Strasse gedrängt hat, und offenbar verrückt ist. Wir kriegen von ihm umgerechnet Fr. 2.50 für die Scheibe und sind heilfroh, dass die Sache nicht länger gedauert hat, denn wir wollen den Termin für die Indische Grenze nicht noch einmal verpassen. Wir sind durch all die Verzögerungen in Nordpakistan sonst schon zwanzig Tage später als geplant. Anderntags finden wir mit Hilfe eines sehr freundlichen Pakistanis auf einem Abbruch den vorderen, festen Teil des Schiebefensters original, den hinteren, verschiebbaren Teil schneidet uns der Pakistani aus Fensterglas zurecht. Das ist zwar sehr gefährlich, aber fürs erste schützt es vor Langfingern. Wir haben sogar jede Menge Zeit, uns die Stadt Lahore anzusehen. Ich fahre irrtümlich mitten in den Basar, wo sonst nur motorisierte Dreiradrikschas und kleinere Fahrzeuge verkehren. Da der Weg Einbahn ist, ist bei diesem Verkehrsaufkommen nicht an Zurückfahren zu denken. Mit dem seitlichen Platz werde ich schon fertig, ein bisschen Hupen und zirkeln bewirkt da Wunder. Aber Nick muss aufs Dach und die immer wieder quer über die Strasse hängenden Seile, Abspannungen und Kabel so weit anheben, dass das Auto drunter durchkommt. Endlich erreichen wir das Fort, eine Oase der Ruhe mitten in einer überbordenden Stadt. Nach dem Besuch der sehr schönen Goldenen Moschee, der Badshahi Moschee und einem ausgedehnten Gang durch die Altstadt machen wir uns auf den Weg nach Wagah, der Indischen Grenzstation.
Die Grenze nach Indien und der Konvoi
Wir übernachten direkt an der Grenze, wo sich bereits mehrere Fahrzeuge eingefunden haben. Uns fällt auf, dass viele Deutsche mit Lastwagen oder Autobussen unterwegs sind, die sie dann in Nepal mit viel Gewinn verkaufen wollen. Wir treffen auch das Holländische Rentnerpaar mit dem immer noch blitzblanken Mercedes Reisemobil und die Italiener mit dem Nissan Terrano wieder. Auch Hans, ein Schweizer, der mit einem VW-Bus unterwegs ist, und den wir schon beide Male in Gilgit getroffen haben, wartet hier. Anderntags werden die Grenzformalitäten erledigt. Da der Punjab von den Indern als Krisengebiet eingestuft wurde, sollen wir nachts mit einem Militärkonvoi bis an die Grenze zum Bundesstaat Haryana geleitet werden. Somit haben wir den ganzen Tag Zeit, die Grenzformalitäten zu erledigen. Bei den Pakistanis brauchen wir ca. 3 Stunden und bei den Indern das dreifache. Wir merken zum ersten Mal, wie bürokratisch die Inder sein können. Den Hans mit seinem VW-Bus lassen sie nicht hinein. Angeblich hat er einen falschen Buchstaben auf seinem Carnet de Passage. Es kostet ihn alle Mühe und einen Haufen Bakschisch, dass er das Auto hier stehen lassen kann, und per Bus nach Indien einreisen darf. Er muss auf dem Automobilklub in Delhi eine Bestätigung holen, dass sein Carnet de Passage gültig ist. Sobald es eindunkelt, fahren wir los. An der Spitze fährt ein Indischer Lieferwagen mit zwei Soldaten, die unsere Pässe haben, und die anderen Fahrzeuge fahren hinterher. Wir fahren die ganze Nacht und erreichen gegen Morgen bei Ambala die Grenze zu Haryana. Es kostet uns einige Mühe, die Pässe ohne Bakschisch zurückzukriegen. Die Italiener wenden sofort und fahren zurück in den Punjab, was von hier aus komischerweise erlaubt ist. Sie wollen noch nach Ladakh. Wegen der fortgeschrittenen Jahreszeit verzichten wir darauf. Im Uebrigen gilt unser Nepal-Visum nur bis zum 16. Dezember, und wir wollen vorher noch Rajastan besichtigen.
Die Bilder zur Reise 1987-1988 findest du hier: Flickr