Pakistan

Im Gegensatz dazu klappt die Einreise nach Pakistan vorzüglich und schnell. Freundlich und ohne unnötige Bürokratie werden wir willkommen geheissen. Unser erstes Ziel ist Islamabad. Hier lassen wir uns auf dem Tourist Camp nieder. Dieser etwas heruntergekommene Campingplatz ist am Rand des Zentrums in einem Wald gelegen. Durch die vielen Bäume ist es angenehm kühl. Hier treffen wir auch ein paar andere sogenannte Overlander, d.h. Reisende mit dem eigenen fahrbaren Untersatz. Da hat es eine österreichische Musikband, ein deutscher Tourist mit einem Sattelschlepper und eine Schweizerin, die bereits seit neun Jahren alleine in ihrem Kastenwagen die Welt bereist. Nord‑ und Südamerika, Australien und den grössten Teil Asiens hat sie hinter sich, jetzt wartet noch der Nahe Osten und Afrika auf sie. Park, den südkoreanischen Velofahrer, treffen wir hier auch wieder an. Er ist also wirklich ebenso schnell wie wir unterwegs!

Nachdem ich Passfotos mit Kopftuch habe machen lassen, gehen wir auf die iranische Botschaft und füllen die Visaantragsformulare aus. Da wir vorhaben, den Norden Pakistans zu bereisen, müssen wir unsere Pässe wieder mitnehmen. In der Zwischenzeit werden die Anträge aber behandelt, so dass wir bei unserer Rückkehr nach Islamabad nur drei Tage auf das Visum werden warten müssen.

Nach getaner Arbeit brechen wir unsere Zelte ab und kehren der Hitze den Rücken zu. Die Karakorum Highway, die dem Indus Fluss in den Himalaya folgt, soll laut Reiseführer das letzte Abenteuer dieser Welt sein. Für unseren Landy scheint’s wirklich ein Abenteuer zu sein. Wie sonst kommt es, dass sich die Federn beim Kurvenfahren hin und her bewegen? In Mansehra lassen wir die Sache begutachten: Die Federaugen sind hin! Für uns kein Problem! Als erfahrene Landybesitzer sind wir gerüstet und haben Ersatzteile mit dabei. Die Mechaniker der Freiluftgarage wollen davon aber gar nichts wissen. Es sei eine Verschwendung, die noch fast intakten Federaugen zu ersetzen, wenn man sie doch reparieren könne. Albi lässt die Mechaniker gewähren und setzt sich mit dem Chef in den Schatten. Da es in dieser Ortschaft keine Frauen zu geben scheint, bleibe ich im Auto sitzen. Wie es sich hier gehört, werde ich nicht beachtet. Nur als der Tee serviert wird, erhält Albi zwei Gläser, damit auch ich nicht zu kurz komme. Mittlerweile werden die Federaugen mit viel Gefühl aus der Halterung geschlagen. Dann werden sie mit Blech von leeren Konservendosen umwickelt und wieder eingesetzt. Albi traut der Sache nicht so recht und ist überzeugt, dass sich die Federn bereits in der nächsten Kurve wieder bewegen. Wenn es so sein sollte, kehren wir eben wieder zurück und bestehen darauf, dass die neuen Teile eingesetzt werden. Die Mechaniker sind jedoch überzeugt, dass ihre Reparatur erfolgreich war.
Albi fährt los, und wir strengen unsere Ohren ganz schön an, um das verdächtige Knacken von der Vorderachse zu hören. Aber dort ist und bleibt alles ganz ruhig, die Federaugen bleiben, wo sie sein sollen. Toll!

Über Gilgit fahren wir weiter Richtung Norden, bis wir in Sust, der letzten pakistanischen Ortschaft sind. Von hier aus wollen wir bis zur chinesischen Grenze auf den 5000 m hohen Kunjerab Pass fahren. Dazu müssen wir hier unsere Pässe bei der Polizei abgeben, damit wir nicht illegal aus Pakistan ausreisen. Mit dem eigenen Fahrzeug ist es unmöglich, nach China einzureisen, also haben wir auch kein Visum und dürfen nur bis zur 80 km entfernten Grenze fahren. Als wir uns um halb fünf Uhr nachmittags ins Kontrollbuch der Polizei einschreiben, sehen wir, dass heute um elf Uhr der Südkoreaner Park hier durchgeradelt ist. Wir werden ihn morgen wohl aufholen. Weit gefehlt bereits ein paar Stunden später, kurz vor Einbruch der Dunkelheit, kommt er uns entgegen. Auf dem Pass war er bereits und ist nun auf dem Rückweg. Wir kochen gemeinsam etwas Warmes. Weil es zu hageln beginnt, setzen wir uns zu dritt in den Landy und essen zusammengepfercht unser Mahl.

Nach einer eiskalten Nacht (das Thermometer fiel auf 5° C) können wir unsere steifen Glieder kaum mehr bewegen. Aber Park schwingt sich voller Energie aufs Fahrrad und winkt uns fröhlich zu. Wir befinden uns ca. 10 km vor dem Pass und machen uns nun auf den Weg dorthin. Kaum losgefahren rennt eine grosse helle Katze über die Strasse: ein Schneeleopard! Natürlich geht alles viel zu schnell, um auch nur an den Fotoapparat zu denken, geschweige denn, ihn zur Hand zu nehmen. So bleibt uns die Erinnerung an ein fast weisses Raubtier, das vor uns ihn langen Sprüngen die Strasse überquert. Viel später überzeugen wir uns in einem Zoo, dass es wirklich ein Schneeleopard war. Genug zu essen gibt es für dieses Tier hier auf jeden Fall. Überall hat es Murmeltiere und zwar Riesendinger, die gar nicht scheu sind.

Auf dem Pass stehen wir dann auf 5000 m ü.M., bewundern die schönen Grenzpfosten und das grandiose Bergpanorama und frieren uns beinahe alles ab. Der Wind bläst eiskalt aus China, wie um zu sagen: Touristen nicht erwünscht! Wir kehren um und fahren gemütlich zurück nach Sust.

Pünktlich zum Mittagessen sind wir in Sust und setzen uns ins Restaurant, wo Park gerade dabei ist, seine erste von drei Portionen zu vertilgen. Wir setzen uns zu ihm, begnügen uns aber mit je einem Teller. Wir erzählen den Leuten, dass wir einen Schneeleoparden gesehen haben und fragen, ob das hier üblich sei. Nein, kriegen wir zu hören, es sei sehr, sehr selten, dass man eines dieser Tiere sehe. Auch benötigen sie ein solch grosses Revier, dass es nur wenige Exemplare hat. Gerade vor ein paar Wochen sei ein amerikanisches Filmteam hier gewesen, auf der Suche nach einem Schneeleoparden, jedoch erfolglos. Nach einem Monat seien sie wieder abgereist.

Um nach Karimabad, dem Heimatort vom Aga Khan zu gelangen, müssen wir einen Jeep‑Track fahren, weil die Karakorum Highway wegen einer Veranstaltung gesperrt ist. Vom Besitzer eines gemütlichen Guest Houses erfahren wir, dass es sich dabei um ein shiitisches Fest handelt. Dabei geisseln sich die Gläubigen öffentlich mit der Peitsche. Er finde es abscheulich, dass sich Leute den Rücken blutig schlagen, spuckt Richtung Festzug und verkündet voller Stolz, er sei eben kein Schiite sondern ein Ismaili. Uns soll’s egal sein. Wir erfreuen uns lieber der umwerfenden Aussicht aufs Tal und vor allem auf die Berge. Vor uns steht schneebedeckt der Rakaposi, mit über 7700 m Höhe einer der höchsten Berge der Gegend.

Bei der Dorfbesichtigung treffen wir auf ein englisches Ärzteteam, das eine Studie übers Altern macht. Sie versuchen herauszufinden, weshalb die Leute in diesem Tal so alt werden, obschon es hier fast keine medizinische Betreuung gibt. Sie glauben, es liege an der Höhe und dem mineralhaltigen Wasser. Dieses Wasser ist so mineralhaltig, dass es gar nicht mehr durchsichtig ist. Die Glimmerteilchen sieht man sogar noch im Tee! Für die Einheimischen scheint dieses Wasser äusserst gesund zu sein, aber wir Touristen sind uns nicht soviel Mineralien gewöhnt. Alle Ausländer, die wir in dieser Gegend treffen, klagen über leichte bis mittelschwere Darmprobleme. Kaum ist man weg vom mineralhaltigen Wasser, sind auch die Beschwerden weg. Aber trotz diesem kleinen Übel geniessen wir den Aufenthalt in dieser wunderschönen Landschaft.

In Gilgit, dem Hauptort im Karakorum bleiben wir ein paar Tage. Die meiste Zeit verbringen wir mit den paar Reisenden, die sich ebenfalls im Tourist Cottage niedergelassen haben. Wir tauschen Erfahrungen und Erlebnisse aus und geniessen es, mit Leuten richtig diskutieren zu können.

Bevor wir die Berge wieder verlassen, machen wir noch einen Abstecher ins Skardu Tal. Für uns ist diese Fahrt am Indus entlang eine Sackgasse, aber eigentlich wäre es der logische Weg nach Ladakh, wo ja der Indus seinen Ursprung hat. Aber politisch ist es nicht möglich, von hier ins ein paar Kilometer nach der Grenze gelegene Dorf Kargil zu fahren. Unterwegs treffen wir erneut auf Park, den Radfahrer. Sein nächstes Ziel ist der K2, oder besser gesagt, das Basislager dieses zweithöchsten Berges. Sozusagen als Abwechslung zum ewigen Velo fahren möchte er hoch hinauf wandern. Zum letzten Mal verabschieden wir uns herzlich und wünschen einander alles Gute für die Weiterreise.

Am 1. August 1991 treffen wir wieder in Islamabad ein. Wir decken uns in der French Bakery mit feinen Sachen ein und lassen uns im Tourist Camp nieder. Der nächste Tag ist Freitag, und somit ist alles geschlossen. Am Samstag können wir dann Traveller Checks besorgen und auf der iranischen Botschaft unsere Pässe abgeben. Nach zwei Stunden Wartezeit, geben die Beamten uns Bescheid, dass es mindestens eine Woche dauern wird, bis wir die Visa erhalten. Auf unser Drängen sind sie dann doch bereit, uns zu versprechen, dass wir die Pässe am Donnerstag abholen können.

Weil es auf dem Tourist Camp auch tagsüber nur so von Mücken wimmelt, quartieren wir uns in ein günstiges Hotel ein. So kurz vor der Regenzeit ist es sehr heiss und schwül. Abgesehen vom Essen und Einkaufen verbringen wir die meiste Zeit im Hotel.

Am Donnerstag ist es dann soweit. Nach erneutem zweistündigem Warten auf der iranischen Botschaft erhalten wir die Pässe mit den Visa zurück. Uff, geschafft! Es gibt recht viele Reisende, die in Islamabad stecken bleiben, weil ihnen die Iraner grundlos (oder weil sie Engländer, Deutsche oder sonst wer sind) das Visum verweigern. Dass die Amerikaner keine Durchreiseerlaubnis bekommen, ist ja klar, aber von denen wagt sich auch kaum einer in diese Gegend. Wir jedenfalls packen unsere Sachen und fahren südwärts. Immer wieder kommen wir in ein Gewitter mit starkem Wind und Regen.

In Deragazi Khan fahren wir westlich ins Gebirge. Hier durchfahren wir sogenanntes Stammesgebiet. Dabei handelt es sich um ein Gebiet, wo das pakistanische Recht nur ganz beschränkt gültig ist. Für die meisten Dinge gilt Stammesrecht, das von Stamm zu Stamm unterschiedlich sein kann. Solange wir jedoch auf der Strasse bleiben, kann uns nichts passieren, denn hier gilt noch das pakistanische Recht. Die meisten Männer in diesem Grenzgebiet zu Afghanistan haben sich ihr Spielzeug (Gewehr und Munitionsgürtel) umgehängt und sehen dementsprechend wenig vertrauenserweckend aus.

In Quetta, der letzten Stadt in Pakistan machen wir noch einen Halt, bevor wir in die Wüste fahren. Ab jetzt wird es einsam, nur ab und zu hat es ein paar Häuser neben der immer schlechter werdenden Strasse. Als wir am Abend draussen sitzen, bekommen wir ein grandioses Spektakel geboten: Ohne irgend eine störende Lichtquelle sitzen wir unter einem Sternenhimmel, wie wir es noch nie erlebt haben. Wir sehen die Milchstrasse und Millionen von Sternen. Dazu kommen die vielen Sternschnuppen. Alle zwei, drei Minuten erblicken wir einen dieser Leoniden und kommen gar nicht dazu, uns etwas zu wünschen. Aber was sollen wir uns auch wünschen – wir haben ja alles! Grenzenlos glücklich geniessen wir diese wunderbare Nacht.

In Nokkundi, dem letzten Dorf vor der Grenze, bekommen wir weder ein Frühstück noch sonst was, und ab hier gibt es auch keine Strasse mehr. Die ersten 100 km sind gute Piste, und auf den restlichen 20 km werden wir wegen dem Wellblech heftig durchgeschüttelt.
Der Grenzort Taftan besteht nur aus ein paar Dreckhütten, tonnenweise Unrat und einem Zollposten, den man beinahe nicht findet. Dort werden unsere Personalien ganz sorgfältig und langwierig eingetragen und das Carnet de Passages abgestempelt. Um ein Uhr wird die Grenze für drei Stunden geschlossen, und natürlich hält uns der Zollbeamte so lange mit seiner Bürokratie auf, dass wir erst kurz nach ein Uhr am Grenztor sind. Es ist unbeschreiblich heiss, und es weht ein noch heisserer Wind. In einem Nomadenzelt, dem Café des Ortes, bekommen wir ein paar Linsen mit Chappati und eine warme Cola. Die Leute sprechen gar kein englisch, so dass wir uns die meiste Zeit anschweigen.

Die Bilder zur Reise 1990-1991 findest du hier: Flickr

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