Weil es sehr heiss ist, fahren wir nach Ooty. Das ist ein Hill Resort auf 2300 m. Hierher haben sich die Briten bei zu grosser Hitze zurückgezogen. Kühl ist es, aber das ist auch schon alles. Deshalb fahren wir am anderen Tag wieder in die Tiefe. In den Nationalparks von Mudumalai und Bandipur fahren wir durch feuchtes Urwaldgebiet, sehen leider aber keine der hier ansässigen Elefantenherden. Die sind aus Wassermangel nordwärts gezogen.
Mysore ist eine wunderschöne Stadt. Nicht zu gross aber trotzdem voller Leben. Hauptanziehungspunkt ist natürlich der prunkvolle Maharajapalast, den wir ausgiebig besichtigen. Ehrfurchtsvoll laufen wir durch die unzähligen Gemächer mit Marmorböden, kostbaren Teppichen und vielen Bildern aus der Zeit der Kolonialherrschaft.
Mysore ist die Sandelholzstadt. Aus den Wäldern der Umgebung kommen die wohlriechenden Hölzer, die hier verarbeitet werden. Es werden Schachteln und Figuren geschnitzt, und aus dem Pulver werden Räucherstäbchen und Seife hergestellt. Mysore ist die wohlriechendste Stadt Indiens! Der Geruch hängt in jeder Gasse und lenkt die Nase von den üblichen Gestänken (Fäkalien, Abfälle, Abgase, Kochfeuer aus Kuhdung) ab.
In Sravanabelgola betätigen wir uns mal wieder sportlich. Auf einem Steinhügel haben die Jains (eine hinduistische Sekte) eine Statue aus dem Fels gemeisselt. Der ganze Hügel ist ein Heiligtum, so dass wir die Schuhe unten lassen müssen und barfuss hinauf steigen. Es ist sehr heiss und das dunkle Gestein ist von der Sonne so richtig schön aufgeheizt. Wir können nicht anders, als schnell zu gehen! Auch so verbrennen wir uns fast die Fusssohlen. Bei jedem Stück Schatten machen wir einen Halt, um unsere armen Füsse zu kühlen. Oben angekommen stehen wir vor der riesigen Statue. Sie ist 17 Meter hoch und aus einem einzigen Stück Fels gehauen. Wenn man ihm zu Füssen steht, erscheint er noch viel grösser. Es findet gerade eine Zeremonie statt. Leider wissen wir nicht, worum es geht, aber im Schatten eines Gebäudes sitzend verfolgen wir die Zeremonie und geniessen die friedliche Stimmung.
Den uralten Tempeln von Belur und Halebid statten wir ebenfalls einen Besuch ab. Aber bei den Wasserfällen von Jog, den höchsten in Indien, gibt es für uns nicht viel zu sehen. Es fliesst fast kein Wasser, von Fällen kann man da gar nicht sprechen.
In Panjim angekommen, fühlen wir uns nach Portugal versetzt. Der kleine Gliedstaat Goa war zusammen mit Diu portugiesisches Kolonialgebiet, bis sich die Inder 1961 das Gebiet aneigneten. Die prachtvollen Kirchen, die Kleidung der Menschen sowie deren Namen wie Fernandez oder De Sousa zeugen von der Vergangenheit. Wir steuern gleich die Vagator Beach an. Hier treffen sich zu Weihnachten die Überlandfahrer, aber jetzt, Mitte Mai und kurz vor Beginn der Regenzeit steht weit und breit kein Fahrzeug. So ist es uns hier zu langweilig, und wir machen uns auf die Suche nach einem Ort, wo etwas Betrieb herrscht, es aber trotzdem ruhig ist. Am Strand von Calangute werden wir fündig. Bei einem kleinen Guesthouse können wir unter Palmen den Landy hinstellen. Wir schlafen im Dachzelt und haben eine Dusche/Toilette zur Verfügung. In unmittelbarer Umgebung hat es ein paar Strandcafés und weitere Restaurants. Aber ebenso wie in Thailand sind die Touristen nicht sehr zahlreich. Der Golfkrieg scheint die Leute vom Fliegen abzuhalten. Auch wir spüren die Auswirkungen des Krieges. Jeden Morgen liegt eine feine schwarze Puderschicht auf der Windschutzscheibe des Landys. Der Westwind bringt Russ von den brennenden Ölfeldern Kuwaits bis an den indischen Kontinent.
Wir verbringen zwei Wochen in Goa. Eigentlich wollten wir nicht so lange bleiben, aber am 21. Mai 1991 wird Rajiv Gandhi während einer Wahlkampagne in Madras ermordet. In manchen Orten des Landes kommt es daraufhin zu Ausschreitungen. Wir warten ein paar Tage im friedlichen Goa ab und lassen das Land wieder zur Ruhe kommen.
Als wir den ersten Tag wieder unterwegs sind, verfolgen uns dunkle Wolken. In der Nacht entladen sie sich dann als Gewitter. Wir stehen auf einer Ebene ohne irgendwelchen Schutz. Um uns herum blitzt und donnert es unaufhörlich. Weil uns das Dachzelt bei einem eventuellen Blitzschlag nicht schützt, setzen wir uns ins Auto. Nach einer Weile hat sich das Gewitter etwas verzogen, und wir legen uns hundemüde schlafen. Aber nach ein, zwei Stunden werden wir erneut geweckt. Das Gewitter befindet sich wieder in unmittelbarer Nähe. Also klettern wir runter und warten ein Stündchen auf den Sitzen, die sich leider nicht nach hinten klappen lassen. (Es ist schliesslich ein Landrover!) So vergeht die Nacht. Dreimal müssen wir insgesamt unser weiches Bett verlassen.
Am Morgen sind wir zwar nicht ausgeschlafen, dafür ist es ein wenig kühler geworden. Aber bereits nach ein paar Stunden Fahrt gegen Norden ist es erneut sehr heiss. Wir stellen fest, dass die Zeit vor dem Monsun nicht die angenehmste Reisezeit ist.
Als wir uns Bombay nähern, wird der Verkehr schlagartig dichter, und die Luft ist voller Abgase. Hier würde ein ordentlicher Regenguss auch gut tun! 50 km vor dem Zentrum müssen wir am Strassenrand anhalten und eine Notreparatur durchführen. Jedes Mal beim Steuern klemmt die vordere linke Bremse. Wir nehmen das Rad weg, und schon passiert etwas typisch Indisches: Innert Sekunden befindet sich eine ganze Traube Leute ums Auto. Jeder möchte uns helfen, sei’s mit tatkräftiger Hilfe, mit Werkzeug oder auch nur mit guten Ratschlägen. Wenn man bei grösster Hitze und stinkendem und lärmendem Verkehr nur knapp neben der Haupteinfallstrasse nach Bombay steht, kann man eigentlich auf die gut gemeinten Fragen verzichten. Aber die Inder sind so nette und hilfsbereite Menschen, dass wir uns die Zeit nehmen, mit ihnen über das Woher und Wohin, Name, Monsun, Verkehr und festklemmende Bremsen zu sprechen.
Nachdem Albi die Bremsen etwas gelockert hat, fahren wir in die Riesenstadt. Die Hauptstrasse ins Zentrum ist eine grosse Baustelle. Wir müssen höllisch aufpassen, dass wir im schnell schwindenden Licht der Dämmerung nicht in tiefen Gräben landen. Absperrungen gibt es natürlich keine, es kann ja jeder selber schauen, wo die Strasse durchführt. Erschöpft, durchnässt und mit russverdreckten Köpfen lassen wir uns in einem alten Hotel an der Strandpromenade nieder. Auf dem eingezäunten Grundstück kann Albi am nächsten Tag das Rad zerlegen und den Schaden beheben.
Weil uns die Hitze beinahe lahmlegt, lassen wir Bombay den Einheimischen und setzen unsere Reise nordwärts fort. Uns locken die kühlen Bergen des Himalayas. Aber auf dem Weg dorthin müssen wir noch heftig schwitzen. In den nächsten Tagen klettert das Thermometer regelmässig auf 50° C hoch, und nachts kühlt es dann auf etwa 44° ab! Dazu kommt ein heisser Wind, der Staub aus der Wüste bringt. Wie sehr würden wir uns eine Klimaanlage wünschen! Nachts liegen wir im 110 cm breiten Dachzelt und versuchen, uns nicht zu bewegen, denn nähern wir uns bis auf ein paar cm aneinander, brechen wir sofort in Schweiss aus. Aus lauter Erschöpfung schlafen wir etwas. Wenn’s geht, quartieren wir uns in ein Hotel mit Klimaanlage ein. Nur gibt es unterwegs nicht viele Ortschaften mit einer solchen Infrastruktur. Ab und zu erwischen wir ein Hotel mit Air‑Cooler. Das ist keine richtige Klimaanlage, sondern ein lärmender Kasten, wo mittels eines Ventilators durch Wasser gekühlte Luft ins Zimmer dringt. Bei dem Krach kann man sich fast nicht verständigen, geschweige denn schlafen. Aber sobald man das Ding ausschaltet, wird es sofort wieder drückend heiss. Also doch lieber mit Ohropax in den Ohren einigermassen kühl (ca. 35° C) schlafen.
Die National Highway zwischen Bombay und Agra ist gut ausgebaut, und entsprechend hat es viel und schnellen Verkehr. Wenn man mit 60, 70 km/h fährt, kommt es einem so vor, als wäre man auf einer europäischen Schnellstrasse. Natürlich hat es auch auf dieser wichtigen Verbindung alle nur erdenklichen Verkehrsmittel, vom Pilger, der mit Mundschutz versehen den Teer vor seinen Füssen mit einem Besen wischt, damit er ja keine Ameise zu Tode tritt, über Ochsengespanne, Velofahrer, Motorräder, Dreiräder, Autos, Lastwagen und natürlich Busse, das Schnellste, was sich auf der Strasse fortbewegt. Ab und zu war dann auch einer zu schnell unterwegs, und er landet neben der Strasse. Wir sehen sehr viele Unfälle, ein paar mit Bussen, aber das meiste sind Lastwagen. Manchmal versagen die Bremsen oder die Lenkung oder es geht plötzlich eine Achse verloren. Häufig sind es jedoch Frontalkollisionen. Weil die Tatas und Ashok Leylands immer massiv überladen sind, fahren sie grundsätzlich in der Mitte der Strasse. Wegen den starken Regenfällen sind die Strassen gewölbt, so dass das Wasser schnell von der Strasse abfliessen kann. Was aber den Nachteil hat, dass die Fahrzeuge in dauerndem Neigezustand fahren müssen. Bei den hoch geladenen Lastwagen besteht dann erhöhte Kippgefahr, also fahren sie am liebsten in der Mitte. Die entgegenkommenden kleineren Fahrzeuge müssen selber sehen, wie sie daran vorbeikommen. Bei zwei Lastwagen geht es darum, wer mehr Mut hat. Der Mutige geht davon aus, dass der andere mehr Platz macht, so dass man nur ein wenig zur Seite rücken muss. Normalerweise funktioniert diese Vorgehensweise ja auch, aber manchmal gibt es zwei Fahrer, die beide gleich mutig sind, oder einer, der verzweifelt ist, weil sein Fahrzeug so hoch und massiv überladen ist, dass er wirklich nicht ausweichen kann. Dann knallt es! Überlebende gibt es bei solchen Unfällen meist keine, und speziell bei den Frontlenkern empfiehlt es sich, beim Vorüberfahren nicht in die zerquetschte Führerkabine zu schauen. Die Fahrzeugwracks werden jeweils ziemlich schnell weggeräumt. Im Gegensatz zu den überfahrenen Kühen. Die werden an Ort und Stelle kremiert. Dazu wird der Kadaver mit einer Ladung Stroh zugedeckt und angezündet. Der Verkehr muss dann schauen, wie er das Hindernis umfahren kann.
Eines Nachmittags, wir sind gerade am Rand eines Dorfes, macht Albi eine Vollbremsung, stürzt aus dem Auto und schafft es gerade noch, die Hosen runter zu lassen, bevor es zu spät ist. Übergeben muss er sich auch noch. Die paar umherstehenden Kinder scheinen an solche Darbietungen gewöhnt zu sein, und Albi ist es zu elend, sich darum zu kümmern, ob ihm jemand zuschaut. Nur mit Mühe schleppt er sich wieder ins Auto, nun aber auf den Beifahrersitz, denn er ist viel zu schwach um zu fahren. Ich fahre ein paar Kilometer weiter auf einen Weg, der bei einem eingefallenen Gebäude endet. Hier setzen wir uns in den spärlichen Schatten und ruhen uns aus. Mein schlaues Medizinbuch sagt mir, dass Albi eine Hitzeerschöpfung hat. Mit viel Wasser, trinkend und auf der heissen Haut verdunstend, fühlt er sich schon bald wieder besser. Wir wissen jetzt, weshalb die indischen Chauffeure hauptsächlich nachts fahren und bei Tag ruhen. Es ist einfach zu heiss zum Fahren! Wir bleiben hier, bis es ein paar Grad kühler ist und fahren dann bei Dunkelheit in die nächste Stadt. Wegen einer Panne kurz vor dem Ziel (diesmal eine verstellte Zündung) erreichen wir das Hotel erst um 2300 Uhr. Zum Glück ist noch jemand dort, der uns ein Zimmer geben kann, zwar nur mit Air‑Cooler, aber was soll’s, wir sind froh um alles! Die Küche ist zwar schon lange geschlossen, aber ein Fried Rice können sie uns trotzdem noch kochen. Wieder einmal sind wir äusserst dankbar, dass die Leute hier so ausserordentlich hilfsbereit sind. Nach dem guten Essen, stopfen wir die Ohropax in die Ohren und schlafen wunderbar.
Gut erholt sind wir bereit, die restlichen 100 km bis Agra zu fahren. Vom kühlen Hotelzimmer aus machen wir Sightseeing. Am frühen Morgen statten wir Fatehpur Sikri einen Besuch ab und am späten Nachmittag ist der Taj Mahal an der Reihe. Dieses Grabmal ist wirklich einmalig schön, obwohl man es bis zur Genüge immer wieder auf Prospekten, in Bücher oder auf Postkarten gesehen hat. Der weisse Marmor wirkt inmitten des Staubes und Drecks einer Grossstadt noch viel mehr.
Den nächsten Halt legen wir in New Delhi ein. Hier haben wir ein paar Dinge zu erledigen. Dazu quartieren wir uns im angenehmen YWCA ein. Jeden Abend werden wir hier mit einem köstlichen Essen verwöhnt. Auch wenn wir die indischen Curries sehr gerne haben, ist es doch toll, einen Braten mit Kartoffelstock und anschliessendem Caramelpudding zu verzehren. Oder einen Wasserbüffelragout.
Auf der Schweizer Botschaft ist Post für uns da: Die neuen Kreditkarten, die Tauchausweise und ein neues Werkstatthandbuch, weil sich das alte in Algerien mit Ruedi aus dem Staub gemacht hat. Wir hatten diese Sachen auf die Botschaft in Jakarta schicken lassen. Weil es uns aber nicht möglich war, mit dem Auto nach Indonesien einzureisen, haben wir dem Botschaftspersonal einen Brief geschrieben und sie gebeten, das Paket nach New Delhi weiter zu senden. Jetzt sitzen wir hier im Botschaftsgebäude und können es kaum glauben, dass es geklappt hat. Wir sind überglücklich und bedanken uns herzlich. Immer wieder stellen wir fest, dass das Personal der Schweizer Botschaften uns äusserst zuvorkommend behandelt. Offenbar scheint das bei anderen Ländern nicht immer der Fall zu sein. Oder vielleicht kommt es auch darauf an, wie man sich benimmt.
Auf der pakistanischen Botschaft sind sie auch freundlich und stellen uns über Nacht ein Visum aus. Dort lernen wir Jean‑Louis und Danièle mit ihren vier Kindern kennen. Sie haben Frankreich für ein Jahr verlassen und Afrika durchquert. Von der ostafrikanischen Küste aus haben sie ihren VW‑Bus nach Bombay verschifft und fahren jetzt über Indien und Pakistan in die Heimat zurück. Sie wollen ebenfalls nach Ladakh, so dass wir uns in Manali verabreden, um gemeinsam über den 4000 m hohen Rohtang Pass zu fahren.
In einer Apotheke decken wir uns mit Chloroquin ein. Bisher haben wir zur Malariaprophylaxe Lariam geschluckt, so wie es uns der Arzt im Tropeninstitut Bern empfohlen hat. Aber bereits in Thailand hatten wir Nebenwirkungen des starken Mittels gespürt. Nur wussten wir damals noch nicht, woher diese kamen. Erst hier in Indien kam die Vermutung, dass es vom Lariam kommen könnte. Mir war es morgens jeweils übel, und ich musste mich immer zwingen, etwas zu essen. Dazu kamen die leichten Kopfschmerzen, die Appetitlosigkeit und die allgemeine Mattigkeit, die uns das Reisen nicht immer zur Freude machten. Nachdem wir auf dem Packungszettel gelesen haben, dass bei Überdosierung des Medikamentes (aber bei Behandlung, nicht bei Prophylaxe!) genau diese Nebenwirkungen auftreten können, haben wir mit der Einnahme sofort aufgehört. Man darf also auch die Ratschläge des Tropeninstitutes in Frage stellen.
Die Bilder zur Reise 1990-1991 findest du hier: Flickr