Um acht Uhr abends dürfen wir aufs Schiff der Adriatica Lines fahren. Hier sind wir bereits wieder in Europa: Alles ist organisiert, und unsere Kabine ist ein Traum. So neu, so sauber, sogar WC‑Papier hat es! Und erst das Abendessen! Italienisches Essen vom Feinsten!
In der Nacht beginnt das Schiff stark zu schaukeln. Wir sind offenbar in einen Sturm geraten. Den ganzen nächsten Tag bewegt sich mein Bett auf und ab, hin und her. Aber die meiste Zeit bleibe ich trotzdem in flacher Stellung, weil das Stehen noch schlimmer ist. Albi ist topfit und bewegt sich als einer der wenigen auf dem Schiff. Das wunderbare Buffet teilt er sich mit den paar Passagieren, die sich auf den Füssen halten können. Er balanciert ein Tablett in die Kabine, damit auch ich etwas in den Magen bekomme.
Eigentlich hätten wir am Abend in Heraklion auf Kreta ankommen sollen, aber wegen dem Sturm verbringen wir eine zweite Nacht auf dem Schiff. Am Morgen hat sich das Meer beruhigt und wir verlassen das Schiff. Wir haben einen Stopover in Kreta gebucht und werden dann in einer Woche mit dem nächsten Schiff der Adriatica nach Athen fahren.
Die Kälte wirft uns beinahe um. Wir hoffen, das ist nur vorübergehend, wegen dem Sturm der letzten Tage. Jetzt, wo die Sonne wieder da ist, wird es wohl schnell wieder wärmer. Wir kaufen eine Strassenkarte und machen uns auf, die Insel zu erkunden. Viel Zeit brauchen wir dafür nicht. Es gibt einfach nicht viel zu sehen hier. Mit Knossos können wir uns nicht anfreunden, zu grossartig waren da die ägyptischen Bauten, die alles andere in den Schatten stellen.
Wieder zurück in Heraklion suchen wir den Landrover‑Händler auf. Unser Landy braucht nämlich dringend einen neuen Luftfilter. Der Benzinverbrauch ist nämlich mittlerweile wieder wie schon in Indien unanständig hoch, der Motor bekommt einfach nicht genügend Luft. Den Filter zu putzen ist nicht möglich, er ist viel zu verdreckt. Aber leider haben sie unser Modell nicht an Lager, also verschieben wir den Wechsel auf später in Athen.
Die Touristensaison ist auf Kreta vorbei. Es ist leer hier. In der Stadt übernachten wir verbotenerweise vor dem Campingplatz, weil der geschlossen ist. Ausserdem hat sich das Wetter nicht gebessert, so dass wir uns darauf freuen, die Insel zu verlassen. Auf dem Büro der Adriatica Lines erkundigen wir uns nach der genauen Abfahrzeit der nächsten Fähre. Sie teilen uns mit, dass es nicht möglich ist, mit der Adriatica Lines von Heraklion nach Athen zu fahren. Die italienische Fähre darf zwar Passagiere zwischen Ägypten und Griechenland befördern, nicht jedoch zwischen zwei griechischen Destinationen. Da haben die griechischen Fährgesellschaften das Monopol. Wir zeigen unsere Tickets, wo klar geschrieben steht, dass wir ein Überfahrt von Alexandria nach Athen mit Stopover in Heraklion gebucht und bezahlt haben. Es wird uns nochmals erklärt, dass sie uns unter keinen Umständen befördern können, bei einem Verstoss würden sie hoch gebüsst. Uns bleibt nichts anderes übrig, als bei einer griechischen Gesellschaft eine Überfahrt zu buchen. Wir versuchen vergeblich bei der Adriatica das zuviel bezahlte Geld zurück zu erhalten. Der Fehler liege nicht bei Ihnen, sondern beim ägyptischen Reisebüro. Dort hätten sie uns dieses Ticket gar nicht verkaufen dürfen. Wir sehen, dass sich hier nichts machen lässt und verwünschen nochmals die Mitarbeiter des Reisebüros in Alexandria.
Die nächste griechische Fähre fährt erst in drei Tagen, weil morgen und übermorgen die Hafenarbeiter streiken werden. Also kaufen wir ein Ticket für Samstag und fahren auf den einzigen offenen Campingplatz der Insel.
Kurz bevor wir auf die Fähre fahren, ist schon wieder ein Reifen platt. Es scheint, als gefalle es dem Landy nicht, auf eine Fähre zu gehen. Die Kabinen sind in Ordnung, das Essen gerade geniessbar. Mit etwas Wehmut denken wir an das italienische Buffet, das uns nun verwehrt bleibt.
An einem Sonntag in Athen anzukommen ist nicht sehr praktisch. Alles ist geschlossen, so dass wir uns auf den Campingplatz verkriechen. Dafür geht’s am nächsten Morgen gleich zu einem Landrover‑Händler. Der schickt uns weiter zu einer Firma, die Landrover‑Teile verkauft. Dort erhalten wir die niederschmetternde Antwort: Nein, einen solchen Luftfilter haben sie nicht an Lager! Offenbar fahren in Griechenland entweder Diesellandys oder eben solche mit vier oder sechs Zylindern rum, jedenfalls keine V8. Der Mensch hat Bedauern mit uns und sagt, wir sollen einen Moment warten. Darauf nimmt er das Telefon zur Hand und verbringt die nächste halbe Stunde damit, einen passenden Luftfilter ausfindig zu machen. Und wirklich, er hat Erfolg! Weil wir’s sonst wohl kaum finden würden, fahren wir mit einem Taxi an die Adresse, die er uns gibt. Erst als wir dort sind und den Filter in den Händen haben, sind wir sicher, ja es ist der richtige. Zurück beim Landy bauen wir ihn an Ort und Stelle gleich ein. Und sofort läuft der Motor wieder wie geölt.
Nun sind wir gewappnet, Athen ein wenig zu besichtigen. Natürlich fahren wir auf die Akropolis, von wo wir einen schönen Überblick über die Stadt haben. Dank dem kalten und windigen Wetter hat es keinen Smog. Obschon wir, ehrlich gesagt, gerne die Aussicht gegen Wärme getauscht hätten.
Weil im Balkan neuerdings Krieg geführt wird, wissen wir noch nicht, ob wir durch Jugoslawien zurück fahren können. Um ausweichen zu können, holen wir auf der rumänischen Botschaft die nötigen Visa. Es dauert fünf Minuten, bis wir das Visum im Pass haben. Wirklich, wir befinden uns wieder in Europa! Das merken wir auch eine halbe Stunde später, als wir in einen grossen Supermarkt gehen. Mit riesigen Augen und offenen Mündern klammern wir uns an einen Einkaufswagen. Hier gibt es alles, aber wirklich alles! Wie kleine Kinder rennen wir mit unserem Wägelchen von Regel zu Regal und kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Es ist doch gar nicht möglich, dass es soviel zu kaufen gibt! An der Kasse angekommen, haben wir unseren Wagen natürlich gefüllt. Mit den leckersten Dingen, die man sich nur vorstellen kann. Zum Glück können wir mit der Kreditkarte bezahlen.
Es hält uns nichts mehr in Athen. Wir machen uns auf den Heimweg. Es wird immer kälter, so dass wir die schönen Klöster von Meteora nur vom Auto aus besichtigen.
Bei Thessaloniki müssen wir uns entscheiden, ob wir durch Jugoslawien durchfahren wollen oder nicht. Wir stellen uns neben die Kreuzung und warten ab, welchen Weg die vielen Überlandlastwagen nehmen. Ausnahmslos fahren alle Richtung Jugoslawien, so dass wir uns ihnen anschliessen. Auf dem Autoput kommen wir recht zügig voran. Hoffentlich, denn die Gebühren sind unanständig hoch. Weil es keine durchgehenden Hauptstrassen gibt, bleibt uns und allen anderen nichts anderes übrig, als das Geld zu bezahlen, das wohl gleich in den Krieg gesteckt wird.
Nach Belgrad verlassen wir die Autobahn und fahren zusammen mit den LKWs Richtung Ungarn. Südlich von Vukovar hören wir Donnerschläge, die wohl von der Kriegsmaschinerie herrühren. Wir sind froh Jugoslawien (oder sollte man eher Serbien sagen) verlassen zu können.
Ungarn macht auf uns einen sehr angenehmen Eindruck. Das Essen ist sehr gut, die Leute sind freundlich, und es scheint der Bevölkerung nicht schlecht zu gehen. Von einem Ostblockland ist nicht mehr viel zu erkennen. Überall hat es Supermärkte, neue Autos, und sogar der amerikanische Fastfood ist angekommen. Weil es aber auch hier Spätherbst ist, halten wir uns nicht länger in Ungarn auf.
In Österreich erreicht uns dann bereits der Winter. Es ist eiskalt, und für Schnee sind wir wirklich noch nicht abgehärtet genug. Darauf wird jedoch keine Rücksicht genommen. Sehr vorsichtig fahren wir auf den teilweise glatten Strassen, denn die Reifen haben kein Profil mehr. In Salzburg versuchen wir vergebens, neue Finken für den Landy zu kaufen, unsere Grösse gibt es hier nicht. Ist der Landy eigentlich ein exotisches Fahrzeug, wo man nie die benötigten Ersatzteile findet? Wir fahren über die Grenze nach Deutschland. Aber auch in Rosenheim bekommen wir die gleiche Antwort. Die gewünschte Grösse (einfach für ganz normale Landrover-Felgen) ist nicht erhältlich.
So treffen wir dann auf dem letzten Gummi sozusagen, am 20. November 1991 wieder in der Schweiz ein. Nach einem Jahr, einem Monat, einer Woche und einem Tag auf Reisen sind wir ziemlich pleite aber trotzdem unermesslich reicher.
Die Bilder zur Reise 1990-1991 findest du hier: Flickr