Gujarat

12. November 1995

Wir sind nun im Gliedstaat Gujarat unterwegs. Es fällt uns hier ausgesprochen schwer, ein Restaurant zu finden. Die meisten Leute hier sind strenggläubige Hindus, die nichts essen, das von jemandem aus einer anderen Kaste zubereitet worden ist. So kocht hier offensichtlich jede Familie ihr eigenes Mahl, und wer unterwegs ist, packt sich die Verpflegung ein.
Auch zum übernachten ist es hier nicht einfach. In Desa, wo wir gar ein Restaurant entdeckt haben, sind die Leute irgenwie unfreundlich, und ein Junge wirft uns sogar einen Stein nach, etwas was wir in Indien noch nie erlebt haben. Nachdem wir nachts von einem Platz weggejagt werden, stellen wir uns dann bei einer Lastwagenwägestelle hin.

13. November 1995

Zum Frühstück gibt es für Prinz Babybiscuits (das ist zuckerfreies Gebäck) und Banane in Milch, und wir kriegen Biscuits und Cai (der indische Tee, wo Wasser, Tee, Milch und Zucker gemeinsam aufgekocht wird). So gestärkt machen wir uns auf den Weg nach Mount Abu, einem Pilgerort der Jain-Sekte. Beim besten Hotel im Ort, dem Palace Hotel, können wir uns für die nächsten paar Tage im riesigen Park niederlassen. Bezahlen dürfen wir dafür nichts. Sie seien fasziniert von unserer Art zu reisen und erfreut, uns bei ihnen haben zu dürfen.
Das vegetarische Drei-Gang-Menü wird mit weissen Handschuhen wie zu Kolonialzeiten serviert und schmeckt ausgezeichnet.

14. und 15. November 1995

Die touristische Sehenswürdigkeit von Mount Abu ist der Jain Tempel von Dilwara, den wir natürlich auch besichtigen, gemeinsam mit Hunderten von indischen Touristen, die einen gewaltigen Lärm verursachen.
Wir schlendern durch das Städtchen und essen, worauf wir gerade Lust haben. Albi lässt sich die Haare schneiden und ich kaufe zwei neue Shalwar Kameez, den Dress der muslimischen Frauen. Ausser in Goa am Strand trage ich die ganze Zeit den Shalwar Kameez, einfach weil er so bequem ist, mit den weiten Hosen und dem langarmigen, knielangen Oberteil. Damit bin ich auch überall gut angezogen, denn in ganz Indien kleiden sich die Frauen ausschliesslich entweder in einen Sari oder eben den Shalwar Kameez.

16. November 1995

Auf kleinen Nebenstrassen mit wenig Verkehr fahren wir nach Modhera, wo der verlassene Sonnentempel steht. Nach einer ausgiebigen Besichtigung der Anlage machen wir uns auf den Weg Richtung Diu.

17. November 1995

Nach ein paar Stunden und nur wenigen Kilometern auf schlechten Nebenstrassen beschliessen wir, ab jetzt auf Hauptstrassen direkt nach Diu zu fahren. In den Städten ist das einfacher gesagt als getan, weil wir nie die Umfahrungsstrasse finden und dann mitten in der Stadt landen, von wo wir uns mühsam wieder in die richtige Richtung herausfragen müssen. Bei den nicht gerade aufgeweckten Gujaratis ist dies kein leichtes Unterfangen. Da werden wir auch schon mal mit unserem über zwei Meter breiten Wohnmobil über eine Brücke geschickt, wo gerade ein Dreirad durchschlüpfen kann.
An einer Kreuzung zieht ein Mann seinen Karren mit einem Abstand von 10 cm an unserem Auto vorbei und übersieht dabei, dass die geladenen Äste mehr als einen halben Meter seitlich über den Karren herausrägt. Die Äste kratzen und kreischen am ganzen Floh entlang. Diese Ortschaft haben wir deshalb von Surendranagar auf Surrender Nagar umgetauft – da ist alles verloren.

18. November 1995

Auf unserer Strasse, der State Highway Nr. 33, sind die Kilometersteine mit „Kodinar 70 km“ angeschrieben – wunderbar, dorthin wollen wir. Nach 20 km ist die Fahrt jedoch zu Ende: Wir stehen am Tor des Nationalparks, wo zwar die Strasse durchführe, aber nur für Geländefahrzeuge tauglich sei. Wir sollen die Route weiter östlich über Una nehmen. Soviel zum gujaratischen Strassensystem.
Unterwegs kreuzen wir immer wieder Herden mit Kühen und Wasserbüffeln. Dabei arbeiten wir im Team: Albi fährt und hupt, ich schlage mit einem Stock die dummen Büffel zur Seite (Albi sagt dauernd „fester, fester, sonst spüren sie nichts!“), und Prinz bellt lauthals. So passiert es später in der Schweiz, dass Prinz zu bellen beginnt, wenn wir wegen einem Velofahrer abbremsen müssen.
Auch die östliche Route führt durch den Nationalpark, aber auf geteerter Strasse. Den sehr seltenen indischen Löwen sehen wir natürlich nicht, dafür viele Spotted Deer, eine Hirschart mit weissen Punkten.

In Diu, der ehemals portugiesischen Insel, fahren wir direkt an die Nagoa Beach, wo wir uns, wie alle anderen Travellers auch, beim General einquartieren. Der General ist die strenge 50jährige Besitzerin des einzigen Guesthouses am Strand. Check-out ist um 8 Uhr morgens. Mittag- und Abendessen müssen bis 10 Uhr detailliert vorausbestellt werden, mit genauer Mengenangabe von Reis, Dhal und sogar die genaue Anzahl Chappattis! Ausserdem behandelt sie ihre Gäste recht unfreundlich, nur wir sind eine Ausnahme. Da sie stolze Besitzerin von Haushunden ist (so etwas kennt man in Indien kaum), können wir uns mit unserem Prinz schon bald gute Freunde nennen.

19. – 25. November 1995

Wir geniessen ein paar Ferientage am Strand. Es läuft hier nicht viel, ausser am Sonntag, da ist Diu voller Gujarati, die ihren „trockenen“ Staat verlassen, um hier Bier trinken zu kommen. Wir lesen viel, gehen mit Prinz spazieren, unterhalten uns mit anderen Rucksackreisenden, und Albi versucht mittels Betriebshandbuch herauszufinden, ob er nicht doch etwas an unserem Wohnmobil schrauben könnte. Als alter Landrover-Fahrer ist er sich solch lange Zeit ohne schmutzige Hände gar nicht mehr gewohnt! Aber unser Floh ist kerngesund.

26. November 1995

Heute ist genug gefaulenzt! Wir müssen wieder weiter. Auf Gujarats Strassen kommen wir wie gewohnt nur langsam voran und erreichen erst am Nachmittag Palitana, eine Pilgerstadt der Jain.

Schreibe einen Kommentar

Scroll to top