Rajastan

Kaum lassen wir die Berge hinter uns, sind wir wieder in der Hitze. Wir haben vergessen, wie heiss es hier unten ist. Nachts können wir wie gewohnt kaum schlafen. So sind wir froh, wieder nach New Delhi zu kommen, wo uns ein kühles Zimmer im YWCA erwartet. Wir haben in der Stadt einiges zu erledigen. Zuerst beantragen wir eine Verlängerung des dreimonatigen Visums. Dann schicken wir die Pakete mit unseren Souvenirs ab und erkundigen uns, ob Post für uns bereit liegt. Das Mittagessen nehmen wir im Nirula’s ein. Hier gibt es die berühmten Burger, aus Lamm, da die Kühe ja heilig sind und deshalb nicht gegessen werden dürfen. Am Nachmittag gehen wir einkaufen und schreiben Postkarten.
Den folgenden Tag verbringen wir abwechselnd im Nirula’s oder auf der Post. Es ist in Indien nicht einfach, Briefmarken zu kaufen, die frankierten Karten am Schalter abzugeben und darauf zu bestehen, dass der oder die Beamte/r alle 50 Postkarten vor unseren Augen abstempelt. Wirft man die Karten einfach in einen Briefkasten, kann es vorkommen, dass die Briefmarken entfernt werden und die Karten natürlich nie ankommen.

Unsere Hoffnung, dass der kommende Monsun in der Zwischenzeit die Temperatur etwas gesenkt hat, wurde nicht erfüllt. Es ist heiss wie eh und je. Seit 37 Jahren wurden keine solchen Hitzewerte mehr erreicht. Aber auf Rajastan verzichten wir trotzdem nicht. Wenn immer möglich, werden wir in Hotels übernachten.
Über Amber erreichen wir Udaipur. Dort steigen wir in einem Mittelklassehotel ab und ziehen am nächsten Morgen unsere feinsten Kleider an. Schliesslich wollen wir den heutigen Tag und die Nacht im Lake Palace Hotel verbringen, dem durch den James Bond Film berühmten Luxushotel mitten im See. Wir lassen uns mit dem Schiff dorthin fahren und geniessen den Komfort in dieser Oase der Ruhe. Das Essen ist ausgezeichnet, die Musik angenehm, und bezahlen können wir zum Glück mit der Kreditkarte.

So gestärkt kann uns auch das hektische Treiben von Udaipur nichts anhaben, dafür haben wir den ersten platten Reifen auf dieser Reise. Wir lassen ihn flicken und fahren weiter nach Ranakpur. Hier steht der Jain Tempel, der für seine Säulen bekannt ist. Jede dieser 1444 Säulen ist verschieden geschnitzt. Wir sind beeindruckt von diesem wunderschönen Tempel, der sich abseits in einem Wald befindet.

Auf dem Weg nach Amritsar durchqueren wir das sogar für indische Verhältnisse stinkende und lärmende Jodhpur und besichtigen den Rattentempel in der Nähe von Bikaner. Hier werden die Ratten (die als Heilige wiedergeboren werden) gefüttert, vergöttert und mit Netzen vor Raubvögeln beschützt. Es ist ziemlich eklig, barfuss durch diesen Tempel zu gehen und die mit Tumoren übersäten Ratten zu betrachten. Aber gesehen haben muss man es!

Die Reifen des Landys sind bereits ziemlich abgefahren. So erstaunt es uns nicht, dass wir erneut mit einem Plattfuss dastehen. Irgendwo in einem kleinen Wüstendorf lassen wir den Reifen mit einem neuen Schlauch montieren. Während Albi mit dem Pneuhändler beschäftigt ist, bildet sich um mich herum eine Menschentraube. Ich werde angestarrt, angesprochen, ausgefragt und bewundert, hauptsächlich wegen meinem blonden Haar. Es scheint sich kaum ein Tourist hierher zu verirren, entsprechend gross ist der Andrang, ein paar Worte mit mir zu sprechen.

Wieder unterwegs stellen wir fest, dass wir kaum noch indische Rupees haben. Nach der Extraausgabe für den neuen Schlauch sind wir noch im Besitz von 200 Rupees, was etwa 15 Franken entspricht. Das sollte eigentlich problemlos bis Amritsar reichen, aber wir stellen fest, dass unser Landy aus irgend einem unbekannten Grund plötzlich die doppelte Menge Benzin verbraucht als gewohnt. So wird der Treibstoff nicht bis nach Amritsar reichen. Überhaupt ist das Benzin die teuerste Ausgabe hier in Indien. Für den Liter bezahlen wir 12 Rupees, also 85 Rappen. Für indische Verhältnisse, wo ein einfaches vegetarisches Essen 5‑10 Rupees und ein gutes Essen mit Fleisch 30 Rupees kostet, sind die Treibstoffpreise enorm hoch. Die Taxifahrer stellen bei jeder sich bietenden Gelegenheit, wie z.B. bergab, den Motor ab, um ein paar Tropfen zu sparen. Mit unseren 200 Rupees können wir nicht einmal 20 Liter tanken, und damit kommen wir gerade mal 100 km. In Bathinda haben wir Glück und können in einem Hotel ein paar Dollars wechseln. Natürlich ist heute Samstag, und die Banken haben heute und morgen geschlossen.

Irgendwann halten wir am Rand der Strasse an und nehmen uns den Landy mal genauer vor. Er säuft so viel, dass wir immer wieder nach einem Leck im Tank gesucht hatten – vergebens. Beim Luftfilter werden wir nun endlich fündig. Als wir sehen, was er in diesen drei Monaten Indien alles an Staub und Dreck angesaugt hat, bekommen wir grosse Augen. Da muss ihm ja die Puste ausgehen! So gelangte viel zu wenig Luft in die Brennkammer, und entsprechend viel Benzin wurde unnötig verbrannt. Wir setzen einen neuen Filter ein und fahren beruhigt weiter.

In Amritsar besichtigen wir natürlich den Goldenen Tempel, das Heiligtum der Sikhs. Albi muss sich dazu den Kopf mit einem Tuch bedecken. Die Anlage ist wunderschön, und die Atmosphäre ist ausgesprochen feierlich. Wir fühlen uns richtig privilegiert, auf den kühlen weissen Marmorplatten um den kleinen See zu laufen. Aus Lautsprechern ertönt in leisem Gemurmel die Lesung aus dem heiligen Buch der Sikhs, und die Gläubigen nicken uns wohlwollend zu. Vor ein paar Wochen wurden wir von einer Sikh Familie aufgefordert, unbedingt den Goldenen Tempel zu besuchen, wenn wir in Amritsar seien. Jetzt können wir bestätigen, dass sich der Besuch auf jeden Fall lohnt.

Das war es jetzt! Indien ade! Wir sind froh, Dich verlassen zu können, denn Du bist ganz schön anstrengend. Aber wir wissen schon jetzt, dass wir Dich bereits in ein paar Tagen vermissen werden!

Doch auch die Ausreise soll nicht ganz so einfach sein. Das Carnet de Passages und Albis Pass sind kein Problem, aber mich will der gut genährte turbantragende Beamte nicht ausreisen lassen. Mein in Singapore ausgestelltes Indienvisum ist nicht unterschrieben! Irgend jemand hat vergessen, seine Unterschrift unter den Stempel zu geben. Bei der Einreise in Madras hat das niemanden gestört, und auch bei der Visaverlängerung in Delhi hat niemand bemerkt, dass eine Unterschrift fehlt. Nun, meint dieser Beamte, das sei nicht sein Problem. Er sei zwar „very, very sorry, Madam“ aber in Madras hätten sie mich mit diesem fehlerhaften Visum nicht einreisen lassen dürfen, also müsse ich dort wieder ausreisen, er könne mir da nicht helfen. Es ist ihm auch sonnenklar, dass wir nicht wieder durch ganz Indien nach Madras fahren, um dort auszureisen. Also geht es nur um Bakshish. Innerlich reibt er sich bereits die Hände und malt sich wohl aus, wieviel er uns abknöpfen kann. Da ist er an die Falschen gelangt, denn wir haben in Asien noch nie Schmiergeld bezahlt und wollen nicht hier an der dafür berüchtigten Grenze anfangen. Schliesslich waren wir in Westafrika und haben gelernt, uns mit geeigneten Mitteln zur Wehr zu setzen. Albi setzt eine versöhnliche Miene auf und sagt ihm, dass er ihn vollkommen verstehe. So würden wir jetzt das Auto wenden und nach Delhi zurück fahren. Dort würden wir schauen, dass wir von der Fremdenpolizei eine spezielle Ausreisegenehmigung für mich erhalten. Um dort vorstellig zu werden, müssen wir jedoch den Namen und die Identifikationsnummer der zuständigen Beamten, also von ihm und seinem Vorgesetzten, haben. Wir können ja nicht einfach dort auftauchen, ohne sagen zu können, wer diesen Fehler im Visum entdeckt hat. Natürlich sähen wir ein, dass er mich so nicht ausreisen lassen kann, aber er verstehe sicher auch, dass wir in Delhi ihre Namen melden müssen.
Daraufhin weist er uns an zu warten und verschwindet im Büro seines Vorgesetzten. Nach einer Viertelstunde bittet er uns hinein. Sein Chef eröffnet uns, er wolle sich für einmal grosszügig zeigen und uns die lange Fahrt nach Delhi ersparen und mir die Ausreise auch ohne die Unterschrift auf dem Visum erlauben. Dass es nicht anders kommen konnte, davon waren wir überzeugt. Notfalls hätten wir ja immer noch, als zweitletzten Versuch sozusagen, den Ausreisestempel mit einem kleinen Geschenk erkaufen können. Und hätte das nicht geklappt, oder wäre der Preis des Beamten zu hoch gewesen, hätten wir eben das Auto wirklich gewendet und wären nach Delhi gefahren.

Die Bilder zur Reise 1990-1991 findest du hier: Flickr

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